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Klimaschutz: Individueller Verzicht ist nicht der richtige Weg

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Von: Jörg Staude

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Es muss für die Menschen einfacher werden, ihre Verhaltensmuster umzustellen, sagt Studienautorin Anke Weidlich.
Es muss für die Menschen einfacher werden, ihre Verhaltensmuster umzustellen, sagt Studienautorin Anke Weidlich. © dpa

Deutschland muss seinen Energiebedarf senken. Eine Studie fordert „aktive Suffizienzpolitik“

Kritiker:innen der Windkraft, die ja nach eigener Aussage die Energiewende oft befürworten, sollten sich eine jetzt veröffentlichte Studie zur Klimaneutralität vornehmen. Zwei Jahre lang wertete eine Forschungsgruppe des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (Esys) Studien aus und entwarf eigene Szenarien. Thema: Wie erreicht Deutschland bis 2045 die Netto-Null bei den CO2-Emissionen?

Bei sechs der untersuchten Studien fand das Esys-Team: Sie betrachten eine Reduzierung des Energiebedarfs oder auch nur dessen Stagnieren nur unter dem Blickwinkel der „Sensitivität“. Bei Sensitivitäts-Betrachtungen wird, einfach gesagt, ein Parameter geändert, beispielsweise der Erdgaspreis, alle anderen bleiben konstant. So wird getestet, wie „empfindlich“ ein Klimaszenario auf den geänderten Parameter reagiert.

Lediglich das Umweltbundesamt, so die Esys-Leute, habe in seiner sogenannten Rescue-Studie einen „Suffizienz“-Ansatz gewagt, also ein echtes Weniger an Material und Energie angenommen. Darauf aufbauend schufen die Esys-Fachleute nun ein eigenes Klimaneutralitäts-Szenario und nannten es Nachfragereduktion.

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In dem Szenario vermindert sich vieles, etwa das Verkehrsaufkommen oder die zu beheizende Wohnfläche. Es geht um weniger Konsum, weniger Bauten, weniger Autos und insgesamt darum, den Bedarf an Energiedienstleistungen eben zu senken.

Selbst bei reduzierter Nachfrage rechnet die Esys-Studie damit, dass sich etwa die Windenergie-Kapazität bis 2030 gut verdoppeln muss – auf 123 000 Megawatt. Das ist aber ein Sechstel weniger als das Wind-Ausbauziel von 145 000 Megawatt, das unter anderem die Bundesnetzagentur für 2030 ausgibt.

Tausende Windräder, um die jetzt oder künftig hart gestritten wird, müssten im Suffizienz-Szenario nicht gebaut werden. Anstrengungen, die Nachfrage zu reduzieren, könnten „den Druck auf den Ausbau der Windenergie etwas reduzieren“, schlussfolgert denn auch das Esys-Team.

Anderes Beispiel bei Esys: Bei ehrgeiziger Nachfragesenkung würde die Kapazität der Batteriespeicher in den kommenden Millionen E-Pkw ausreichen, um das Stromsystem flexibel genug zu machen. Der zusätzliche Bau großer Mengen stationärer Batterien wäre verzichtbar.

Suffizienz ist dabei inzwischen weniger ein Kann, vielmehr ein Muss. Ohne Nachfrage-Änderungen sind Deutschlands Klimaziele „kaum erreichbar“, betonte Hans-Martin Henning, Chef des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE), vergangene Woche in einer Debatte zur Studie.

Studie zur Suffizienz: Fossile Gewohnheiten ändern

Dementsprechend müssten Verbrauchsmuster, die sich etabliert hätten, weil fossile Energie sehr günstig gewesen sei, jetzt auf Optionen mit weniger Energiebedarf und weniger CO2-Intensität umgebaut werden, forderte Studienautorin Anke Weidlich, Professorin für Energieforschung an der Uni Freiburg.

Energie einfach nur zu verteuern, sei wegen der sozialen Folgen aber kein Weg, warnte sie zugleich. Nötig sei vielmehr eine aktive Suffizienzpolitik. So dürfe nicht weiter gefördert werden, dass Menschen weit aus den Städten zögen, lange Wege hätten oder darauf setzten, dass man mit dem Auto überall hinkomme, erklärte die Forscherin. CO2-arme Lösungen müssten zur „naheliegendsten“ Option werden, von sich aus attraktiver sein – was heute eben nicht der Fall sei. Die Studie selbst weist hier auf den bekannten Fallstrick der Verzichtsdebatte hin: Suffizienzpolitik dürfe nicht als Nachfragereduktion durch einen vor allem mittels Preissignalen angereizten individuellen „Verzicht“ gesehen werden.

Eine aktive Suffizienzpolitik sei nicht mit dem Reizwort Verzicht gleichzusetzen, pflichtete Eike Blume-Werry vom Industrieverband BDI in der Debatte bei. In einer Demokratie sei die Transformation zur Klimaneutralität ohnehin nicht durch Verzicht erreichbar.

Der Lobbyverband setzt stattdessen vor allem auf die „Circular Economy“. Bei der Kreislaufwirtschaft könne Deutschland ein Leitanbieter neuer Technologien werden, so Blume-Werry. Weltweit stammten erst 8,5 Prozent des Rohstoffeinsatzes aus Recycling.

Suffizienz sei nicht gerade die Priorität des Wirtschaftsministeriums, räumte seinerseits Jan Klatt, Energiewende-Referent im Haus Habeck, angesichts der Studienergebnisse ein. Suffizienz sei auch nicht besonders populär, weil es immer die Tendenz gebe, in eine Verbots- und Verzichtsdebatte abzugleiten und im politischen Raum dann instrumentalisiert zu werden.

Studie zur Suffizienz: Referent des Klimaministeriums vorsichtig

Klatt äußerte sich zurückhaltend dazu, wie im Esys-Szenario eine echte Nachfragereduktion ins Energiesystem aufzunehmen wäre. Alle Szenarien zur Klimaneutralität zeigten, dass die Transformation eine „absolute Herkulesaufgabe“ sei. Dafür müsse alles Verfügbare aufs Gleis gesetzt werden, einschließlich einer gesellschaftlichen Verständigung zur Suffizienz, so Klatt weiter. Diese Debatte könne man aber nicht politisch oktroyieren.

Auch für das deutsche Klimaschutzgesetz hält die Esys-Studie keine gute Nachricht bereit. Die mit dem Gesetz zugelassenen Emissionen liegen in der Nähe des Werts für eine globale Temperaturerhöhung um bis zu 1,75 Grad Celsius mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 Prozent, geben die Forscher:innen an. Das CO2-Budget, um das 1,5-Grad-Limit mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit einzuhalten, werde auf jeden Fall deutlich überschritten werden.

Das heißt nichts anderes als: Verfehlt Deutschland 2030 die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes, reißt das Land bereits das 1,75-Grad-Limit. Eigentlich ein guter Grund mehr, sich ernsthaft um die Suffizienz zu kümmern.

Transparenzhinweis: In einer früheren Fassung des Textes war von 123 000 Megawattstunden installierter Leistung an Windkraft die Rede, die bis 2030 nötig ist. Die richtige Einheit wäre Megawatt gewesen. Wir haben das korrigiert.

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