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„Zuversichtlich, dass wir Geschichte schreiben“ -Menschenrechts-Gerichtshof behandelt erste Klimaklage

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Von: Katharina Brumbauer

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Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasst sich erstmals mit Beschwerden in Sachen Klimawandel. Das Verfahren hat Signalwirkung.

Straßburg - Ein solches Verfahren gab es noch nie: Erstmals wird vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt, ob Staaten verpflichtet sind, ihre Bürgerinnen und Bürger vor den Auswirkungen des Klimawandels besser zu schützen. Die Schweizer „Klimaseniorinnen“ hatten vor dem EGMR geklagt, dass ihr Land seine Bevölkerung nicht ausreichend vor den Folgen der Erderwärmung schütze und damit gegen Menschenrechte verstoße. Zahlreiche Mitglieder des Vereins waren am Mittwoch nach Straßburg gereist.

Die Frauen mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren sehen ihre Gesundheit durch die steigenden Temperaturen bedroht. Mit ihrer Klage vor dem EGMR wollen die Klimaseniorinnen erreichen, dass die Schweiz per Gerichtsbeschluss zu mehr Klimaschutz gezwungen wird. „Wir sind zuversichtlich, dass wir in diesem Fall Geschichte schreiben, erklärte Anne Mahrer, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen Schweiz. „Wir haben seit Jahren dafür gekämpft“, sagte die 81-jährige Bruna Molinari der Nachrichtenagentur AFP. „Wir hoffen, dass das Gericht uns Recht gibt und die Schweiz mehr unternehmen muss, als sie es bisher tut.“

Anne Mahrer, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen Schweiz spricht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Anne Mahrer, Co-Präsidentin der Klimaseniorinnen Schweiz spricht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. © Jean-Christophe Bott/dpa

Klage vor dem Gerichtshof für Menschenrechte: Können Staaten zu mehr Klimaschutz verpflichtet werden?

Bei ihrer Klage können die Klimaseniorinnen auf die Unterstützung der Umweltschutzorganisation Greenpeace zählen. „Der heutige Tag hat das Potenzial, als Meilenstein in die Geschichte im weltweiten Kampf gegen die sich immer deutlicher abzeichnende Klimakatastrophe einzugehen“, erklärte Greenpeace. Das Verfahren werde klären, „ob und inwieweit ein Land wie die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen stärker reduzieren muss, um die Menschenrechte zu schützen“.

Ebenfalls am Mittwoch sollte das Verfahren über eine Klima-Klage aus Frankreich beginnen. Ein Bürgermeister eines Ortes aus dem Norden Frankreichs hatte für die Einhaltung der Pariser Klimaziele geklagt. In seiner Gegend seien die Menschen wegen des Anstieges des Meeresspiegels besonders bedroht. Zu einem späteren Zeitpunkt, vermutlich im Sommer, verhandelt der EGMR noch die Klage portugiesischer Jugendlicher, die 33 Mitgliedsstaaten des Europäischen Rates wegen ihrer umweltschädlichen Treibhausgasemissionen zur Verantwortung ziehen wollen. Auch mit den CO2-Emissionen eines Landes hat sich der EGMR noch nie auseinander gesetzt.

Klimaklagen: 2020 bis 2022 mehr als 2000 Beschwerden, in Deutschland läuft ein Verfahren gegen RWE

Klagen für den Klimaschutz liegen im Trend. Laut dem Grantham Institute der London School of Economics wurden bislang weltweit über 2000 Klimaklagen erhoben, ein Viertel davon zwischen 2020 und 2022. Verfahren liefen in den USA, in Schweden oder auch in Brasilien. Demnächst kommt es in der Entwicklung zu einem weiteren Meilenstein: eine ganze Nation zieht für mehr Klimaschutz vor Gericht. Der Inselstaat Vanuatu im Südpazifik hat den Internationalen Strafgerichtshof angerufen.

In Deutschland hingegen wurde jungst im Koalitionsgipfel das geplante Öl- und Gasheizungsverbot ab 2024 gekippt. Zudem sind zuletzt mehrere Klagen gegen Autohersteller gescheitert. Klimaschützer schauen nun mit Spannung auf das Oberlandesgericht Hamm. Dort ist ein Verfahren eines peruanischen Bauern gegen den Energiehersteller RWE anhängig. Im Moment läuft die Beweisaufnahme.

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Umweltrechtliche Fragen bisher kein Thema beim EGMR: Erfolg der Klage ungewiss

Ob die Klage der Schweizer Klimaseniorinnen Erfolg hat, ist ungewiss. Eben weil Gerade weil umweltrechtliche Fragen bisher keine große Rolle vor dem EGMR gespielt haben, ist eine Vorhersage schwierig. „Das Spektrum der möglichen Entscheidungen, die das Gericht treffen kann, ist weit gespannt: Es reicht von der Unzulässigkeit der Klage bis hin zu detaillierten gerichtlichen Vorgaben für die schweizerische Klimapolitik“, erklärt der Umweltrechtler Johannes Reich von der Universität Zürich.

Jedoch: basierend auf der Beschwerde der Klimaseniorinnen könnte der EGMR Grundsätze für ähnlich gelagerte Fälle ausarbeiten, vermutet Reich weiter. Deswegen wird das Verfahren mit besonderer Spannung erwartet. „Die Schweizer Klimaklage kann zum Vorbild für ganz Europa werden“, twitterten am Mittwoch die Jungen Grünen Schweiz. „Wir stehen solidarisch hinter den Klimaseniorinnen.“

Zahlreiche Mitglieder der Klimaseniorinnen Schweiz waren nach Straßburg gereist. Die Aktivistinnen im Durchschnittsalter von 73 Jahren wollen die Schweiz per Gerichtsbeschluss zu mehr Klimaschutz verpflichten.
Zahlreiche Mitglieder der Klimaseniorinnen Schweiz waren nach Straßburg gereist. Die Aktivistinnen im Durchschnittsalter von 73 Jahren wollen die Schweiz per Gerichtsbeschluss zu mehr Klimaschutz verpflichten. © Jean-Christophe Bott/dpa

Klimaklagen am EGMR: ein Urteil für strengere Vorgaben beim Klimaschutz hätte Signalwirkung

Sollten die Klimaseniorinnen gewinnen, würde das zunächst nur die Schweiz binden. Aber: Der EGMR mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Zum Europarat gehören die EU-Staaten, aber auch andere große Länder wie die Türkei oder Großbritannien. Spräche sich dieses supranationale Gericht nun etwa für strengere Vorgaben beim Klimaschutz aus, hätte das in jedem Fall große Signalwirkung.

„Wenn generelle Aussagen getroffen würden, dass Menschenrechte im Klimawandel Pflichten begründen, müssen auch andere Vertragsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention diese Art der Auslegung beachten“, sagt die Völkerrechtlerin Birgit Peters von der Universität Trier. Es sei aber schwierig, daraus für Deutschland konkrete Politikempfehlungen abzuleiten. Diesbezüglich stehe den Staaten ein weiter Ermessensspielraum zu. Mit einem Urteil ist frühestens im Herbst, wahrscheinlicher wohl aber erst im kommenden Jahr zu rechnen. (kb/AFP/dpa)

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