Kommunalwahl in Großbritannien: Kleines britisches Beben
Bei den Kommunalwahlen in Großbritannien werden Premierminister Boris Johnson und seine Torys ein wenig gerupft. Macht Johnson aber nichts aus. Wie üblich.
London – „Schwierig“ seien die Kommunalwahlen für seine Partei gewesen, räumte Boris Johnson am Freitagmittag (6. Mai) mit. Doch ehe die Presse nach möglichen Ursachen, beispielsweise den zahlreichen Lockdown-Partys in Downing Street, fragen konnte, fügte der sichtlich erleichterte Premierminister eilig hinzu: „Aber es gab doch auch einige erstaunliche Zugewinne.“ Sprach’s und verschwand ins Wochenende, wo er sich mit seinem engsten Kreis über die Details des kommende Woche anstehenden Regierungsprogramms für die neue Parlamentsperiode in Großbritannien berät.
Tatsächlich ergaben sich weder in England, noch in Schottland oder Wales klare Hinweise darauf, wen das Land bei der spätestens 2024 anstehenden Unterhauswahl obenauf sehen will. Zwar fiel der national umgerechnete Stimmanteil der Torys gegenüber um fünf Punkte auf rund 30 Prozent, während die größte Oppositionspartei Labour ihre Marke 35 von vor vier Jahren halten konnte, die Liberaldemokratische Partei sogar auf 19 Prozent zulegte. Eine nominelle Mehrheit für eine linksliberale Regierung, gewiss – wenn man das Mehrheitswahlrecht ebenso außer Acht lässt wie die Gewohnheit, der jeweiligen Regierungspartei in der Mitte der Legislaturperiode einen Nasenstüber zu versetzen.

Großbritannien: Kleine Renaissance in Schottland?
Unbeirrt sprach Labour-Oppositionschef Keir Starmer von einem „Wendepunkt“, freute sich vor allem an der Übernahme langjähriger Londoner Tory-Bezirke wie Westminster, Wandsworth und Barnet. Von Durchbruch aber könne man nur sprechen, so Professor John Curtice von der Glasgower Strathclyde-Universität, wer die Ergebnisse mit der verheerenden Unterhauswahl von 2019 vergleiche. „Im Vergleich zu 2018 ging Labours Stimmanteil außerhalb Londons sogar ein wenig zurück“.
Tatsächlich hielten in Nordengland die Menschen überwiegend dem Brexit-Vormann Johnson die Treue – vor allem in jenen Bezirken, die Jahrzehnte lang brav Labour gewählt hatten, bei der Brexit-Wahl 2019 aber zu den Torys überliefen. In dieser „Red Wall“ werden die Leute, so scheint es, nicht warm mit dem etwas hölzernen Ex-Kronanwalt Starmer, der einen Londoner Wahlkreis im Unterhaus vertritt. Oder sie leiden, wie der frühere Tory-Justizminister Robert Buckland in Analogie zu Long Covid spottet, an „Long Corbyn“: Nach vier Jahren unter dem Linken Jeremy Corbyn trauen sie der Arbeiterpartei einen pragmatischen Kurs nicht zu. Vielleicht aber auch nur: Noch nicht?
Immerhin bahnt sich in Schottland, der einstigen, von der Schottischen Nationalpartei (SNP) gründlich geschliffenen Labour-Hochburg, eine kleine Renaissance an: Mit ihrem jugendlich wirkenden Regionalchef Anas Sarwar belegte Labour vor den Torys Platz Zwei, wenn auch klar hinter der SNP der Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon.

Wahlen in Großbritannien: Lockdown-Partys auch in Durham?
Einen Dämpfer erlitt Labours Stimmung allerdings am Tag nach der Wahl: Nach tagelangem Drängen durch die Konservativen sowie die Medien, angeführt von der Daily Mail, kündigte die Polizei der nordenglischen Grafschaft Durham die neuerliche Prüfung einer angeblichen Corona-Party mit Keir Starmer an. Der hatte vor Jahresfrist im Wahlkampf abends mit Getreuen Pizza gegessen und Bier getrunken. Damals waren soziale Zusammenkünfte verboten, höchstens Arbeitstreffen wurden erlaubt. Es habe „keinen Verstoß gegen die Vorschriften gegeben“, insistierte ein Parteisprecher.
Die völlig hemmungslose Saufkultur in Johnsons Downing Street dürfte kommende Woche wieder ins Blickfeld geraten, wenn Scotland Yard weitere Geldbußen verhängt oder die Spitzenbeamtin Sue Gray ihren lang erwarteten Bericht über die Partys veröffentlicht. Selbst innerparteiliche Gegner:innen aber schrecken vor neuerlichen Rücktrittsforderungen an Johnson zurück. Die Torys, analysiert der Professor und Labour-Lord Stewart Wood, könnten 2024 nur gewinnen, „wenn sie das Brexit-Thema weiterhin hochkochen. Und deshalb halten sie an Johnson fest.“ (Sebastian Borger)