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Keine Aufklärung im Fall Nemzow

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Von: Stefan Scholl

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Die Angeklagten in einem Glaskäfig des Militärgerichts in Moskau.
Die Angeklagten in einem Glaskäfig des Militärgerichts in Moskau. © dpa

Ein Moskauer Gericht spricht die mutmaßlichen Auftragskiller des prominenten Putin-Kritikers Boris Nemzow schuldig. Die Hintermänner des Verbrechens aber bleiben im Dunkeln.

Zweieinhalb Verhandlungstage diskutierten die Geschworenen hinter verschlossenen Türen. Dann sprachen sie alle Angeklagten schuldig. Auf eine einstimmige Entscheidung hatten sie sich nicht einigen können, aber bei der Endabstimmung im Moskauer Militärkreisgericht sahen zehn der zwölf Geschworenen die Schuld des Hauptangeklagten Saur Dadajew als erwiesen an, zwei stimmten dagegen. Der ehemalige tschetschenische Polizeioffizier soll am 27. Februar 2015 den Oppositionspolitiker Boris Nemzow auf der Moskwa-Brücke am Kreml hinterrücks erschossen. Nemzow, in den 1990er Jahren unter Boris Jelzin noch Vizepremier, galt als lautstarker Kritiker Wladimir Putins, aber auch des Tschetschenenführers Ramsan Kadyrow.

An der Tat unmittelbar beteiligt waren nach Ansicht der Geschworenen auch der Mitangeklagte Ansor Gubaschew sowie der bei seiner Festnahme in Grosny umgekommene Beslan Schawanow. Drei weitere tschetschenische Angeklagte haben sich nach dem Verdikt des Kollegiums als Beihelfer schuldig gemacht; sie spionierten Boris Nemzow vor der Bluttat wochenlang aus.

In der nächsten Woche wird der Richter in seinem Urteil das Strafmaß bestimmen. Nach dem russischen Strafrecht drohen Auftragskillern und ihren Komplizen lebenslange Haftstrafen.

Alle Angeklagten nahmen den Schuldspruch schweigend auf. Wenige Tage zuvor hatten sie in ihren Schlussworten noch ihre Unschuld beteuert. „Ich bin rein wie die Träne eines Engels“, sagte damals Temirlan Eskercha-now, der wegen Beihilfe angeklagt ist. Dadajew selbst erklärte: „Tschetschenen schießen niemandem in den Rücken.“ Er schäme sich einzig für sein falsches Geständnis.

Allerdings sprechen neben den wieder zurückgezogenen Geständnissen Dadajews und mehrerer seiner Mitangeklagten auch die Aufnahmen zahlreicher Überwachungskameras, Mobilfunkdaten, Zeugenaussagen und Expertisen gegen Dadajew und die anderen Tschetschenen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sie hätten Boris Nemzow getötet, um ein Kopfgeld von umgerechnet gut 220 000 Euro zu kassieren. Auch die Familie des Ermordeten und ihr Anwalt Wadim Prochorow halten die Angeklagten für schuldig. „Die Geschworenen haben über die Männer entschieden, die diese Tat ausgeführt haben“, sagt Ilja Jaschin, ein enger politischer Mitstreiter Nemzows, der FR. Aber Familie und Freunde des Opfers kritisieren, das Motiv und die Drahtzieher des Mordes seien im Dunkeln geblieben.

Der Staat mit den schlagkräftigsten Geheimdiensten der Welt zeige sich unfähig, in zweieinhalb Jahren Organisatoren und Auftraggeber des Verbrechens zu finden, klagt Anwalt Prochorow. „Die Ermittlungen haben sich festgefahren, als Spuren sichtbar wurden, die in Richtung Kadyrow führten“, sagt Jaschin.

Anfangs wurde Ruslan Geremejew als Drahtzieher verdächtigt. Er ist Bataillonskommandeur im Regiment „Sewer“, im dem auch Dadajew gedient hatte – und ein enger Verwandter des Duma-Abgeordneten Adam Delimchanow, der wiederum als Vertrauter Kadyrows gilt. Aber alle Versuche, Geremejew in Tschetschenien festzunehmen, scheiterten. Er soll sich nach Dubai abgesetzt haben. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte am Donnerstag, außer den Tätern müsse man auch ihre Auftraggeber zur Verantwortung ziehen. Aber das sei kompliziert. „Diese Prozedur dauert manchmal Jahre.“

Ilja Jaschin äußert sich noch pessimistischer: „Solange Wladimir Putin an der Macht ist, wird dieser Mord nicht aufgeklärt.“

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