1. Startseite
  2. Politik

Kein sicherer Fluchtort

Erstellt:

Von: Johannes Dieterich

Kommentare

Sudanesische Geflüchtete kochen in einem Lager in Koufroun im Tschad.
Sudanesische Geflüchtete kochen in einem Lager in Koufroun im Tschad. Gueipeur Denis Sassou/AFP © Gueipeur Denis Sassou/AFP

Der Konflikt im Sudan schafft in einer instabilen Region neue Krisen.

Während sich die Lage in der sudanesischen Hauptstadt Khartum zwei Tage nach Beginn eines Waffenstillstands etwas entspannt, spitzt sich die Situation in Sudans Nachbarländern, besonders dem Tschad, dramatisch zu. Dort sind in den vergangenen Wochen bis zu 90 000 Flüchtlinge vor allem aus den sudanesischen Darfur-Provinzen eingetroffen: Die derzeitige Waffenruhe wird von zahllosen Sudanesinnen und Sudanesen als Gelegenheit zur Flucht wahrgenommen.

Fachleute warnen vor einer „humanitären Katastrophe“: Sobald die Regenzeit beginne – was bereits in wenigen Tagen erwartet wird – könnten die Flüchtlinge nicht mehr ausreichend versorgt werden, ist Pierre Kremer von der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung (IFRC) überzeugt. „Wir versuchen derzeit, so viele Menschen wie möglich in Sicherheit zu bringen. Aber für alle wird uns das nicht gelingen.“

Die Situation in dem Flüchtlingslager Koufroun nahe der Grenzstadt Adré wird von Hilfsorganisationen als „herzzerreißend“ beschrieben. Viele der Flüchtlinge hätten weder Zelte noch Planen zum Schutz, berichtet Ali Salam von der Sudanesisch-Amerikanischen Ärzte-Vereinigung: Sie müssten unter Bäumen im Freien schlafen und seien Schlangenbissen oder Stichen von Skorpionen ausgesetzt. „Es gibt nicht genug Trinkwasser, nicht genug zu essen und keine Medikamente“, sagt Salam dem Guardian. Rund 80 Prozent der Flüchtlinge seien Frauen und Kinder, so das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR). Viele der Kinder seien von ihren Eltern getrennt worden. „Viele haben keine Ahnung, wo ihre Eltern sind oder ob sie überhaupt noch leben“, so UNHCR-Sprecherin Eujin Byun.

Der erwartete Regen wird weite Teile des Landes unzugänglich machen, Hilfsgüter können nur noch eingeschränkt transportiert werden, die Gesundheitslage wird sich durch den Ausbruch von Malaria und möglicherweise auch Cholera weiter verschlechtern. „Der Tschad kann mit diesen Herausforderungen nicht alleine fertig werden“, sagt Abdelhakim Tahir von der „Wirtschaftlichen und Sozialen Entwicklungsagentur“ des Landes der Deutschen Welle. „Wir müssen das Schlimmste befürchten“, sagt er.

hUMANITÄRE kATASTROPHE AM hORN VON aFRIKA

Vor der UN-Geberkonferenz für das Horn von Afrika hat die Welthungerhilfe an die internationale Staatengemeinschaft appelliert, schnell deutlich mehr Hilfsgelder für die Region zur Verfügung zu stellen. „43 Millionen Menschen in der Region werden in diesem Jahr auf humanitäre Hilfe angewiesen sein – doch den Hilfsorganisationen droht das Geld auszugehen“, sagte der Klimaexperte der Welthungerhilfe, Michael Kühn, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Finanzbedarf für Somalia, Äthiopien und Kenia für das laufende Jahr sei nur zu etwa einem Fünftel gedeckt. Die internationale Gemeinschaft müsse schnell zusätzliches Geld bereitstellen. Menschenleben könnten gerettet werden, wenn Hilfe rechtzeitig komme. „Deshalb brauchen wir mehr Mittel für vorausschauende humanitäre Hilfe, damit schon beim Anzeichen einer Katastrophe gehandelt werden kann, und nicht erst, wenn es zu spät ist“, sagte Kühn.

Die Länder am Horn von Afrika litten unter immer häufiger auftretenden klimabedingten Katastrophen wie auch an ungewöhnlich hohen Lebensmittel- und Rohstoffpreisen und anhaltenden Konflikten. Uno-Generalsekretär Antonio Guterres hat für den Mittwoch zu der Geberkonferenz geladen. Für 2023 seien für die Hilfe sieben Milliarden US-Dollar nötig. Nach UN-Angaben brauchen 28,6 Millionen Menschen in Äthiopien, 6,4 Millionen Menschen in Kenia und 8,3 Millionen Menschen in Somalia humanitäre Hilfe. Auch die UN verweisen auf Dürren und darauffolgende Überschwemmungen sowie auf Cholera- und Masernausbrüche. vat

Regenzeit verschärft Lage

Schon heute sind laut UN über 250 000 Menschen aus dem Sudan in die Nachbarländer geflohen. Halten die Kämpfe an, sei mit weiteren 600 000 zu rechnen. Die meisten steuern Ägypten an: Dort sollen mehr als 110 000 Menschen Zuflucht gefunden haben, wirklich aufatmen können sie aber nicht: Das Land steckt selbst in einer tiefen Wirtschaftskrise mit hoher Inflation und einem unter anderem vom Krieg in der Ukraine verursachten Nahrungsmittelmangel. Die UN sagten Ägypten fünf Millionen Dollar als Flüchtlingshilfe zu: Viel zu wenig.

Im südlichen Nachbarland des Sudans, dem vor zwölf Jahren unabhängig gewordenen Südsudan, sieht die Lage noch schlimmer aus. Der jüngste Staat der Welt ist mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 280 Dollar auch einer der ärmsten. Vor dem Ausbruch der Gefechte im Sudan lebten dort mehr als 800 000 aus dem Südsudan geflohene Menschen: Mehr als 65 000 von ihnen sollen inzwischen in ihre Heimat zurückgekehrt sein. Tausende von ihnen sind auf einem verlassenen Universitätsgelände im Renk-Distrikt untergebracht, wo sie vom UNHCR notdürftig über Wasser gehalten werden.

In dem seit Jahrzehnten von Unruhen mitgenommenen Staat haben zwei Millionen Menschen ihr Zuhause verloren, ein Viertel der Bevölkerung ist auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. „Schon jetzt ist die südsudanesische eine der am wenigsten unterstützten Krisen der Welt“, klagt UNHCR-Sprecherin Charlotte Hallqvist. Außer Ägypten gelten alle sieben Nachbarstaaten des Sudans als instabil: Auch die Zentralafrikanische Republik, Äthiopien und Eritrea werden von den Flüchtlingsströmen mit Herausforderungen konfrontiert. Das Welternährungsprogramm (WFP) braucht für das kommende halbe Jahr nach eigenen Angaben mindestens 160 Millionen Dollar, um die Region mit den wichtigsten Lebensmitteln versorgen zu können.

Auch interessant

Kommentare