Kein Rückzug aus Bachmut
Entgegen westlicher Erwartungen will die ukrainische Führung die Stadt im Donbass halten

In den vergangenen Tagen hatten viele im Westen – und wohl auch manche in der Ukraine – darauf gebaut, dass die Militärs sich durchsetzen würden. Dass der ukrainische General Walerij Saluschnyj seinen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj davon überzeugen würde, Bachmut aufzugeben und somit dem „Fleischwolf“ (russischer Jargon) keine neue menschliche Nahrung mehr zu bieten.
Am Dienstagabend aber verlautbarte Kiew, dass sich die politischen und militärischen Spitzen darauf verständigt hätten, die Stadt im westlichen Donbass weiterhin zu verteidigen. Saluschnyj sagte, das von westlichen Fachleuten als strategisch bedeutungslos angesehene Bachmut, bleibe „von übergeordneter strategischer Bedeutung“.
Die Kernaussage dessen muss wohl das „übergeordnet“ sein. Das Wort kann auf verschiedene Weisen interpretiert werden:
Politisch: Die Ukraine hat im ersten Invasionsjahr der Welt bewiesen, dass sie eine selbstbewusste Nation und wehrhafte Demokratie ist. Die Kämpfe dafür waren schrecklich, aber die Kämpfe des zweiten Jahres werden noch fürchterlicher. Für die Ukraine muss der Primat der Politik gelten (will sie sich als europäische Demokratie behaupten) und der darf 2023 nicht wanken. Ergo kann sich die Regierung Selenskyj Niederlagen nicht leisten.
IN EIGENER SACHE
„Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit.“ Dieses traurige Wort gilt leider auch in der Ukraine. Angesichts der sich ständig entwickelnden Frontlage lassen sich Meldungen von ukrainischer wie von russischer Seite her kaum je unabhängig überprüfen. Die Frankfurter Rundschau bemüht sich anhand breiter Recherchen m weitestmögliche Genauigkeit. FR
Militärisch: Hält das Zentrum von Bachmut, werden die westlichen Flanken der von Nord und Süd umgreifenden russischen Zange geschwächt. Kann die Ukraine diese aufreiben, könnte ein tiefer Keil in die russische Front getrieben werden.
Ideell: Es ist fast egal, wo in den ukrainischen Weiten der russische Nimbus von der großen Kulturnation und der noch größeren Militärmacht seinen letzten angeblichen Glanz verliert. Jeder Ort wird dafür bitter leiden, und das menschliche Leid wird nicht beziffert werden können. Also kann auch der Trümmerhaufen, der einst Bachmut hieß und 74 000 Menschen die Heimat bedeutete, diese traurige Rolle übernehmen. Bachmut wird aber leider nicht der letzte Ort sein, der als Erinnerung und als Mahnmal endet.