Kein Asyl für Tschetschenen: Abschiebung zur Hinrichtung

Die deutschen Behörden verweigern einem jungen Tschetschenen und seiner Mutter Asyl – obwohl ihnen in der Heimat die mörderische Sippenhaft Ramsan Kadyrows droht.
Am 25. Dezember 2016 hämmerten Bewaffnete in Kampfanzügen an die Tür. „Sie holten mich aus dem Haus, stießen mich in einen Mercedes. Dort saß ein junger Bursche mit blutigem Gesicht, der Polizist neben ihm hielt eine Taschenlampe“, erzählt Achmed. „Der Junge verneinte, als sie ihn fragten, ob er mich kenne. Ein riesiger Bluterguss hatte sein linkes Auge fast ganz zugedrückt.“ Sie ließen Achmed laufen. Der Bursche aber war des Todes.
Jetzt droht auch Achmed Serijew, 23, das Schlimmste. Jeden Tag können Deutschlands höchste Richter:innen über eine Verfassungsbeschwerde seiner deutschen Anwältin gegen die Abschiebung Serijews und seiner Mutter Sila Aidajewa entscheiden. Sollten sie der endgültigen Ablehnung ihrer Asylanträge durch das Verwaltungsgericht Bayreuth zustimmen und ihn deportieren lassen, fürchtet Achmed, dass in Moskau schon tschetschenische Sicherheitsleute auf ihn warten.
Die hatten Achmed schon als 17-Jährigen aus seiner Jugend gerissen. Am 21. September 2015 verschleppten Schutzmänner den Oberschüler aus seinem Heimatdorf nahe Grosnys in die Polizeikaserne des „2. Kadyrow-Regiments“ in der Republikhauptstadt. In der ersten Nacht verprügelte man ihn fünf Stunden lang mit einem Polypropylen-Rohr, danach wurde er in einem Keller festgehalten, mit etwa 50 Mitgefangenen, ohne Haftbefehl oder Anklage. Er glaubt, weil die Kadyrow-Leute seine Nummer im Handy eines Freundes gefunden hatten, den sie als Kadyrow-Gegner verdächtigten.
Nach seiner Freilassung im März flog der Abiturient von der Schule. Und in der Nacht auf den 24. Dezember 2016 drangen Polizisten ins Haus ein, zerrten diesmal Achmeds Bruder Magomed aus dem Bett. Auch er verschwand ohne Haftbefehl oder Anklage. Sein Vater suchte ihn, fuhr von einem Polizeirevier zum anderen, seine Mutter bat Tschetschenenchef Ramsan Kadyrow in einem Brief um Hilfe. „Aber niemand gab uns Informationen, im Gegenteil, man drohte meinen Eltern, mir würde dasselbe wie Magomed passieren, wenn sie nicht aufhören, ihn zu suchen.“
Im Juli 2017 berichtete die Zeitung „Nowaja Gaseta“ von einer Massenexekution in Grosny in der Nacht auf den 26. Januar, die Menschenrechtsorganisation Memorial veröffentlichte eine Liste von 27 der bis zu 56 Opfer. Darauf stand auch Magomed Serijew, ebenso Ismail Bergajew, der Junge mit dem Bluterguss, den Achmed am 25. Dezember 2016 im Mercedes gesehen hatte.
Der aber nach offiziellen Angaben schon am 20. Dezember in einem Krankenhaus gestorben sein soll. „Kadyrow weiß, dass Achmed Zeuge ist“, sagt Achmeds Anwältin Olga Gnesdilowa. „Auch deshalb ist er in Lebensgefahr.“
Schon 2016 forderte Kadyrows Polizei von der Familie, sie solle unterschreiben, dass Magomed als IS-Terrorist nach Syrien gegangen sei. Der Druck wuchs, im Dezember 2017 reisten Achmed und seine Mutter aus, nach Deutschland. Sie leben in Bayern. Achmed versuchte von dort mit Hilfe der Menschenrechtsgruppe Stichting Justice Initiative in Russland ein Strafverfahren gegen die mutmaßlichen Mörder seines Bruders zu erreichen, scheiterte in allen Instanzen, hat mit anderen Hinterbliebenen eine Beschwerde beim Straßburger Menschenrechtsgericht eingereicht.
Die deutschen Behörden lehnten derweil die Asylanträge Achmeds und seiner Mutter ab. Das Verwaltungsgericht Bayreuth antwortete auf Anfrage der „Deutschen Welle“, dass Serijew „nicht derart heraussticht, dass ihm eine Verfolgung in der gesamten Russischen Föderation drohen würde“. Ramsan Kadyrow sieht das wohl anders. In Tschetschenien sind Folter, Morde und Verschleppung Alltag. Die genauen Opferzahlen kennt niemand. Aber allein vom Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges 1999 bis 2009 verschwanden dort 7700 Menschen spurlos.
Sippenhaft ist gängig. Erst vergangene Woche verschleppte Kadyrows Polizei die Mutter des tschetschenischen Exilmenschenrechtlers Abubakar Jangulbajew aus der kernrussischen Großstadt Nischni Nowgorod nach Grosny. Laut Jangulbajew sind schon 40 Angehörige seiner Familie gekidnappt worden. Und Anwältin Gnesdilowa glaubt, Achmed werde eine Rückkehr nach Russland nicht überleben. „Die deutschen Behörden schicken ihn faktisch zu seiner Hinrichtung.“
Achmed sagt, das Bayreuther Verwaltungsgericht habe die Ablehnung auch damit begründet, er habe nach dem Verschwinden seines Bruders ja noch fast ein Jahr in Tschetschenien gelebt. „Das klingt, als hätte ich erst sterben müssen, um erfolgreich Asyl beantragen zu können.“ Es hilft ihm auch nicht, dass zwei andere tschetschenische Familien, die bei der Massenerschießung in Grosny Verwandte verloren, inzwischen deutsches Asyl bekommen haben. Obwohl sie erst nach den Serijews ausgereist sind.