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Kaum Frieden in Tigray, droht Krieg in Amhara

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Von: Johannes Dieterich

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Der Friedensnobelpreisträger, der zum Kriegsfürsten wurde: Ministerpräsident Abiy Ahmed.
Der Friedensnobelpreisträger, der zum Kriegsfürsten wurde: Ministerpräsident Abiy Ahmed. © AFP

Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed geht mit Ausgangssperren gegen Proteste in der Provinz Amhara vor

Kaum hat Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed einen blutigen Konflikt in seinem Staat beendet, bricht der Friedensnobelpreisträger einen neuen vom Zaun. Abiys in der vergangenen Woche geäußerte Absicht, die paramilitärischen Einheiten in den elf Provinzen des ostafrikanischen Staates aufzulösen, hat vor allem in der Amhara-Provinz gewalttätige Proteste ausgelöst. Ihnen fielen mehrere Menschen – darunter zwei Mitglieder einer internationalen Hilfsorganisation – zum Opfer. Täglich gehen in den Städten der zweitgrößten Provinz Äthiopiens Tausende Menschen auf die Straße: Die Regierung begegnet dem Aufruhr mit der Verhängung von Ausgangssperren, bislang ohne Erfolg.

Der Hintergrund der Unruhen ist derselbe, der schon vor zweieinhalb Jahren zum Bürgerkrieg in der benachbarten Tigray-Provinz führte. Abiy Ahmed will die äthiopische Bundesrepublik in einen Zentralstaat umwandeln: Zu diesem Zweck gründete der 46-Jährige auch eine Partei, die „Prosperity Party“.

Ein großer Teil der Bevölkerung steht diesen Plänen allerdings skeptisch gegenüber: Viele befürchten, bei der Abschaffung des erst vor drei Jahrzehnten eingeführten Föderalismus unter die Räder zu geraten. Die größte Bevölkerungsgruppe des 115 Millionen Einwohner:innen zählenden Landes sind die Oromo mit 34,5 Prozent, gefolgt von den Amhara mit knapp 27 Prozent sowie den Tigray und Somali (beide ungefähr sechs Prozent).

Nach der Befreiung Äthiopiens vom „roten Terror“ der Derg-Offiziere hatte es eine aus Tigray stammende militärische und politische Elite Anfang der 1990er-Jahre verstanden, sich im neuen Bundesstaat als „heimliche Herrscher“ zu etablieren – zum Leidwesen zahlreicher Oromo und Amhara.

Als Abiy Ahmed als erster Regierungschef mit Oromo-Vater im Jahr 2018 an die Macht kam, sahen nationalistische Oromo ihre Zeit gekommen: Eine Hoffnung, die der „Zentralist“ jedoch zerschlug. Immerhin verdrängte Abiy die Elite aus Tigray aus ihren Schlüsselstellungen. Als diese ihre Provinz im Norden des Landes zum Refugium und zur Trutzburg ausbauen wollten, zettelte der zum Kriegsfürsten gewendete Friedensnobelpreisträger einen Krieg gegen sie an. Ihm fielen Hunderttausende zum Opfer, die von den äthiopischen Streitkräften abgeriegelte Provinz wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Damals kämpften auch paramilitärische Einheiten aus der Amhara-Provinz auf der Seite der Regierungstruppen, welche die Verfassung jeder Region zugebilligt hatte. Das Verhältnis zwischen den Milizionären aus Tigray und Amhara war besonders angespannt: Beide Volksgruppen streiten sich seit Jahrzehnten um Siedlungsgebiete.

Dieser Konflikt wurde auch durch den Friedensschluss zwischen der Zentralregierung und Tigray im vergangenen November nicht beigelegt: Noch immer ist der fruchtbare Westen der Tigray-Provinz von Regierungstruppen und Amhara-Milizionären besetzt. Der Streit könnte jederzeit eskalieren: Deshalb meint das zweitgrößte Volk Äthiopiens, auf eine eigene Schutzmacht angewiesen zu sein.

Überhaupt lehnt ein Großteil der äthiopischen Bevölkerung Abiys zentralistische Politik ab und fordert eher mehr als weniger „Selbstbestimmung“ – ob es sich um Oromo, Tigray, Amhara oder Somali handelt. In einem offenen Brief forderte eine Gruppe Intellektueller jetzt den Regierungschef auf, endlich einmal den Dialog statt immer nur die Konfrontation mit der Bevölkerung zu suchen. „Unser Land scheint in die Hände eines ehrgeizigen, unerfahrenen und machthungrigen jungen Mannes gefallen zu sein“, heißt es darin: Dem zweifellos unwürdigsten Friedensnobelpreisträger in der Geschichte der Auszeichnung.

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