Russische Truppen in Kasachstan: Einsatz kann Putin teuer zu stehen kommen

Der Einsatz der OVKS-Bündnistruppen in Kasachstan gilt als Erfolg von Russlands Präsident Wladimir Putin. Dieser könnte für ihn jedoch noch teuer werden.
Almaty/Moskau – Wladimir Putin macht Mode. Als sich am Montag (10.01.2022) die sechs Staatsführer des Militärbündnisses OVKS zum Videogipfel trafen, stand neben dem Belarussen Alexander Lukaschenko ein geschlossener Kunststoffbecher. So ein Trinkgefäß trägt sein russischer Kollege schon lange mit sich herum, angeblich aus Angst vor Giftmördern. Auch der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte ein Glas mit Deckel neben sich platziert.
Putin, Lukaschenko und Tokajew gelten aktuell als Schlüsselfiguren der „Organisation des Vertrags für Kollektive Sicherheit“ (OVKS). Und das von Moskau geführte Bündnis selbst wird als Neuauflage des Warschauer Pakts diskutiert. „Ein militärpolitischer Block zur kriegerischen Lösung der Probleme befreundeter Diktaturen“, schreibt der russische Dissident Alexander Podrabinek auf dem belarussischen Exilportal „Belsat“.
Wie kasachische Oppositionelle befürchtet auch er, dass Tokajew die Waffenhilfe der zum Großteil aus Russen bestehenden OVKS-Truppen mit einem Teilverlust der staatlichen Souveränität bezahlen muss. In Kasachstan, so Podrabinek, werde jetzt das gleiche Schema angewandt wie 1968 in der Tschechoslowakei, als Warschauer-Pakt-Einheiten die antikommunistischen Proteste unterdrückt hätten. „Am meisten hat Putin gewonnen“, titelte Radio Swoboda.
Unruhen in Kasachstan: Allein in Almaty Hunderte Tote vermutet
Aber am Dienstag strafte Tokajew alle Kritiker:innen Lügen: Der Kasache verkündete, das mehrheitlich aus Russen bestehende OVKS-Kontingent habe seine Mission in Kasachstan erfolgreich abgeschlossen, am Donnerstag beginne sein Abzug. Tatsächlich ist die Revolte niedergeschlagen, die mit Protesten gegen Steigerungen der Gaspreise begann und im Süden der zentralasiatischen Republik zu blutigen Straßenkämpfen führte.
Laut Polizei wurden bis Dienstag fast 10.000 Menschen festgenommen, mehrere Tausend sollen verwundet sein. Die Behörden meldeten am Montag 164 Todesopfer, dementierten diese Zahl später aber wieder. Angesichts der Warteschlangen vor den Leichenschauhäusern gehen Medienschaffende aber allein in der Großstadt Almaty von Hunderten Toten aus.
Russische Truppen in Kasachstan zeigen Wirkung
Viele Beobachter glauben, Kasachstans Armee und Nationalgarde hätten den Aufstand praktisch allein niedergeschlagen. Aber auch das Auftauchen der russischen Fallschirmjäger des OVKS-Kontingents zeigte Wirkung. „Die OVKS hat den Flughafen und andere lebenswichtige Objekte in Almaty unter Kontrolle genommen“, sagte der Moskauer Kasachstan-Experte Juri Solosobow der Frankfurter Rundschau. „Sonst wären dort womöglich Flugzeuge aus Afghanistan mit Partisanen und Waffen gelandet.“ Aber vor allem hätte das Erscheinen der OVKS-Truppen den zum Teil demoralisierten Sicherheitskräften neuen Mut gegeben.
Solosobow glaubt, hinter der Eskalation der Proteste stünden der inzwischen verhaftete Staatssicherheitschef Karim Maximow und seine Umgebung. „Sein Stellvertreter wurde ebenfalls festgenommen, mehrere hohe Offiziere haben offenbar Selbstmord begangen.“

Die Verschwörer hätten enge Kontakte zu Finanzmagnaten, Kriminellen und Verwandten des verschwundenen Präsidenten Nursultan Nasarbajew gepflegt. Und sie hätten Tausende junger, armer, oft islamistisch gesonnener Dorfbewohner auf die Straße gebracht. Außerdem Kasachen und andere Zentralasiaten mit Guerillakriegs-Erfahrung aus Syrien. „Hätten sie ein paar Tage mehr freie Hand behalten, aus Kasachstan wäre vielleicht ein zweites Syrien oder Afghanistan geworden.“
Kasachstan könnte Russland teuer zu stehen kommen
Auch wenn Tokajew die Verbündeten jetzt nach Hause schickt, ist diese Gefahr keineswegs endgültig beseitigt. Bei dem OVKS-Videogipfel sprach der tadschikische Staatschef Emomali Rachmon von 6000 Terroristen, die in mehr als 40 afghanischen Ausbildungslagern an den Südgrenzen des Gebiets des Militärpakts lauerten. Von dort sickere auch extremistisches Gedankengut des „Islamischen Staats“ in die zentralasiatischen Republiken ein. Und Experte Solosobow befürchtet, dieser destabilisierende Einfluss könne über die Grenze zu Kasachstan nach Russland vordringen. „Hier leben und arbeiten ebenfalls Millionen Bürger Mittelasiens“, warnt die Zeitung „Komsomolskaja Prawda“.
Kasachstan mag Russland noch teuer zu stehen kommen. In den vergangenen Tagen waren dort etwa 2500 OVKS-Soldaten im Einsatz, insgesamt zählt die Einsatztruppe 3500 Mann. „Die Infrastruktur der OVKS muss sich weiterentwickeln“, sagt Solosobow. Auch andere Fachleute in Kasachstan wie in Russland hoffen, Wladimir Putin werde Finanzmittel für eine deutliche Aufstockung finden. (Stefan Scholl)