Kampfdrohnen über dem Kreml

Der Kreml schürt Ängste vor einer ukrainischen Attacke – und fordert Widerstandsgeist. Auch in den Staatsmedien macht sich Unruhe breit.
Kiew hat es anscheinend auf Wladimir Putin abgesehen. Dessen Pressedienst meldete am Mittwoch, in der Nacht seien zwei feindliche Drohnen beim Angriff auf den Kreml unschädlich gemacht worden. Allerdings befand sich Putin laut seinem Sprecher Dmitri Peskow in seiner Vorstadtresidenz Nowo-Ogarjowo, wo er meistens übernachtet.
Trotzdem spricht der Kreml-Pressedienst von einem Attentat auf den Präsidenten und von einem Terrorakt kurz vor der großen 9.-Mai-Parade, zu der man auch ausländische Gäste erwarte. Und nicht nur im Kreml wächst die Unruhe. „Der Gegner setzt seine Vorbereitungen für einen breiten Gegenangriff fort“, hieß es am Vortag beim staatlichen TV-Sender „Rossija 1“. Dort bezeichnete Reporter Jewgeni Poddubnyj einen Bericht der britischen „Times“, wonach der Ukraine eigentlich die Mittel für eine Offensive fehlten, als „info-psychologisches Spielchen“. Der Feind habe 100 000 Mann an Angriffstruppen gesammelt und Nachschublager so hinter der Front verteilt, dass seine Streitkräfte in jeder Angriffsrichtung aktiv werden könnten.
Medien, Behörden und der Kreml selbst kultivieren eine wenn nicht angstvolle, so doch gespannte Erwartungshaltung. Militärblogger benutzen für den möglichen Großangriff schon die etwas saloppe Abkürzung „kontrnastup“, zu Deutsch etwa „Gegenoff“. Und scheinbar fordert Putins Präsidialverwaltung schon seit längerem, die Gefahr nicht zu verharmlosen. Laut dem Exilportal „meduza.io“ hat sie ein Rundschreiben an staatsnahe Medien und Propagandastellen herausgegeben. Darin heiße es, niemand solle davon sprechen, dass „Kiew angeblich nicht zur Gegenoff bereit ist“.
Stattdessen müsse man betonen, dass der Westen der Ukraine Waffen liefere und auf alle mögliche Weise unterstütze. Ein anonymer Kremlbeamter erklärte „meduza.io“, dass so eine erfolgreiche Abwehr aufgewertet und etwaige Gebietsverluste leichter erklärbar werden sollten: „Der ganze Westen hat gewaltige Kraftanstrengungen übernommen, aber im Vergleich damit sind seine Erfolge sehr bescheiden.“
In Moskau fällt der Massenumzug anlässlich des Siegs über Hitlerdeutschland aus
Angesichts der erwarteten Unannehmlichkeiten an der Front solle man auch weniger über die Proben für die Paraden berichten, die für den 9. Mai anstehen, dem Gedenktag des Sieges über Hitlerdeutschland. Außer der annektierten Krim verzichten auch die Grenzregionen Kursk und Belgorod dieses Jahr auf Feiern. Und selbst in Moskau fällt der populäre Massenumzug „Unsterbliches Regiment“ aus, bei dem Zehntausende Fotos von Kriegsteilnehmern aus ihren Familien durch die Straßen tragen.
Stattdessen brachte man unlängst mehrere greise Überlebende der Leningrader Blockade durch die Nazis zur Eröffnung einer Straßenbahnlinie ins besetzte Mariupol, das bei der russischen Belagerung vergangenes Frühjahr schwer zerstört wurde – offenbar um die Moral der Verteidigungsschlachten des Weltkrieges neu zu entfachen.
Russland propagiert Defensive. Gouverneure trainieren im Kampfanzug Krieger der neu gegründeten „Territorialabwehr“ oder präsentieren bei illegalen Holzfällern beschlagnahmte Raupenfahrzeuge. Die wollen sie an die Front schicken, damit sich die eigenen Truppen noch besser verschanzen können.
Die Ukraine veranstaltet ihre eigene Propaganda
Das US-amerikanische Institute for the Study of War vermutet, auch die in den vergangenen Tagen wieder aufgenommenen massierten Raketenschläge gegen ukrainische Städte seien eine „vorbeugende Reaktion“ auf die Unruhe in Russland angesichts der vermuteten Gegenoffensive.
Allerdings veranstaltet die Ukraine ihre eigene Propaganda. In den vergangenen Tagen häufen sich Meldungen von in Russland entgleisten Frachtzügen und in die Luft gejagten Starkstrommasten. Der russische Geheimdienst FSB meldete die Festnahme mehrerer feindlicher Agenten, die Attentate und Terroranschläge auf der Krim geplant hätten. So eine Nachricht allerdings kann kaum zur Beruhigung in Russland beitragen.