1. Startseite
  2. Politik

Kamala Harris: „Es ist ein Fehler, sie zu unterschätzen“

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Sebastian Moll

Kommentare

„Ihr wurde das Kämpfen in die Wiege gelegt“, sagt Marie-Astrid Langer: Kamala Harris Ende November in Washington.
„Ihr wurde das Kämpfen in die Wiege gelegt“, sagt Marie-Astrid Langer: Kamala Harris Ende November in Washington. © imago images/MediaPunch

Korrespondentin Marie-Astrid Langer hat eine Biografie über Kamala Harris geschrieben: Wie ist es der Einwanderertochter gelungen, zur mächtigsten Schwarzen Frau in Washington aufzusteigen?

Die Erwartungen an Kamala Harris waren hoch: Die erste Frau im zweithöchsten Amt der Vereinigten Staaten, die erste Person of Color. Doch so recht scheint sie sich noch nicht profilieren zu können, zuletzt hörte man eher wenig von ihr, und politische Beobachter:innen fragen sich schon, warum Kamala Harris abgetaucht zu sein scheint. Die USA-Korrespondentin Marie-Astrid Langer hat die Ausnahmekarriere dieser Frau seit vielen Jahren verfolgt und porträtiert Kamala Harris nun in einer Biografie. Sie sagt: „Wer verstehen will, wer Kamala Harris ist, wofür sie steht, was sie will – der muss verstehen, woher sie kommt.“

Kamala Harris’ Ernennung zur Vizepräsidentin der USA wurde als Durchbruch für die USA gefeiert. Sie ist die erste Woman of Color in einem derart hohen Amt. Sie wurde als Zukunft des Landes und der demokratischen Partei gehandelt, nicht zuletzt auch, weil Joe Biden bei seinem Amtsantritt 78 Jahre alt war. Seither ist es still um sie geworden. Was macht Kamala Harris eigentlich?

Harris hat derzeit vor allen Dingen zwei Aufgaben. Die eine ist es, die Zahl der Zuwanderer, die an die amerikanische Südgrenze kommen, einzudämmen. Als Zweites soll sie eine Wahlrechtsreform durch den Kongress bringen. Das sind zwei Mammutaufgaben, an denen die amerikanische Politik seit langer Zeit scheitert. Aber es sind auch sehr wichtige Themen, die Biden ihr da zugetragen hat.

Speziell die Wahlrechtsreform hat sie sich ja selbst ausgesucht. Warum ist das für sie so wichtig?

Harris bezeichnet sich selbst als Afroamerikanerin, und es ist nun leider so in den USA, dass nichtweiße Wählergruppen oft nicht denselben Zugang zur Wahlurne haben wie Weiße. Historisch gesehen ist es in den USA so, dass systematisch versucht wurde, Afroamerikaner daran zu hindern, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Harris will versuchen, daran etwas zu ändern, solange sie an den Hebeln der Macht sitzt.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris kümmert sich um Wahlrecht und Einwanderung

Sie haben gerade angesprochen, dass es in den USA immer wieder Bemühungen gibt, das Wahlrecht von Minderheiten zu beschneiden. 18 Staaten, zumeist republikanische, haben seit der Wahl von Biden Gesetze erlassen, die den Zugang zur Wahlurne erschweren sollen. Was kann eine Vizepräsidentin daran ändern?

Um eine Wahlrechtsreform durchzusetzen gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens kann es auf der Ebene der Bundesstaaten geschehen, und da waren, wie Sie schon gesagt haben, republikanische Bundesstaaten bereits sehr umtriebig. Gleichzeitig kann der Kongress auch Wahlgesetze erlassen. Das ist allerdings angesichts der Mehrheitsverhältnisse dort sehr schwierig. Die Demokraten haben im Senat nur eine hauchdünne Mehrheit, und die Republikaner haben kein Interesse an einer Reform.

Das zweite Gebiet, mit dem sie sich gerade beschäftigt ist das Thema Einwanderung, nicht zuletzt, weil ihr Heimatstaat Kalifornien davon stark betroffen ist.

Es leben mehr als elf Millionen illegale Einwanderer in den USA und die Migrationsbewegung reißt nicht ab. Es bräuchte eigentlich eine grundsätzliche Reform der Migrationsgesetze, aber daran beißen sich die USA seit Jahrzehnten die Zähne aus. Deshalb muss die Regierung an anderer Stelle ansetzen. Und das ist die Aufgabe von Harris. Sie soll versuchen, die Einwanderungsbewegung aus Mittelamerika zumindestens zu verlangsamen. Sie war deshalb schon im Juni in Guatemala, einem der bedeutendsten Herkunftsländer für Migranten. Sie hat dort ganz klar gesagt: „Do not come.“ – „Kommt nicht.“ Aber es ist nun einmal so, dass die Lage der Menschen dort wirtschaftlich oft sehr schlecht ist und dass sie großen Gefahren ausgesetzt sind. Hoffnung ist nun einmal ein großer Pull-Faktor, und daran wird auch Harris nicht viel ändern können.

Die Wahl von Joe Biden hat ja diese Hoffnungen geschürt.

In der Tat haben Biden und Harris in Aussicht gestellt, dass die elf Millionen undokumentierten Menschen in den USA eingebürgert werden. Deshalb nehmen viele trotz allem den Weg und das Risiko auf sich.

Hat es sich schon auf die Popularität von Harris ausgewirkt, dass sie sich an diesen schweren Themen die Zähne ausbeißt?

Ja, absolut. Das sind Sisyphusaufgaben. Die Popularität von Harris liegt deshalb derzeit nach Umfragen nur noch bei 28 Prozent.

„Der Kamala-Harris-Moment ist im Augenblick auf jeden Fall vorbei“

Ist der Kamala-Harris-Moment vorbei?

Im Augenblick ist er auf jeden Fall vorbei. Es gibt derzeit eine gewisse Desillusionierung, auch an der demokratischen Basis, mit dieser Regierung. Viele große Initiativen, die Biden versprochen hat, hängen im Kongress fest, und bei den Gesetzen, die verabschiedet wurden – das Infrastrukturpaket beispielsweise – musste Biden große Zugeständnisse machen. Es ist offensichtlich geworden, dass es für einen tiefgreifenden Wandel mehr braucht, als nur einzelne schillernde Figuren. Aber ich glaube auch, dass es zu früh ist, Kamala Harris abzuschreiben. Diese Frau wurde schon sehr oft in ihrer Karriere abgeschrieben, und sie war schon sehr oft genau dann am erfolgreichsten, wenn man sie unterschätzt hat.

Harris hat als Woman of Color in den USA Hindernisse überwinden müssen, die andere in der Politik vielleicht nicht überwinden mussten.

Harris wurde stark durch ihre Familie geprägt. Ihre Mutter war Zuwanderin aus Indien, sie kam mit 19 Jahren hierher. Ihr Vater kam mit Anfang 20 aus Jamaika. Beide kamen als Nicht-Weiße in ein nach heutigen Maßstäben noch ausgesprochen konservatives Kalifornien. Sie gaben Kamala Harris von Anfang an mit, dass man für Dinge kämpfen muss, die einem wichtig sind. Das heißt, ihr wurde das Kämpfen gegen Ungerechtigkeit in die Wiege gelegt. Ihre Mutter hat ihr mitgegeben, sich von niemandem sagen zu lassen, wer sie ist, sondern selbst zu bestimmen, wer sie sein möchte.

Wie hat sich das auf ihre Biografie ausgewirkt?

Harris hat etwa nach ihrem Grundstudium an der traditionell Schwarzen Howard University den kontroversen Entschluss getroffen, Staatsanwältin zu werden. Man kann sich gar nicht bewusst genug machen, was das damals als junge, nichtweiße Frau bedeutete, sich auf die Seite des Staates zu stellen und nicht beispielsweise für eine Bürgerrechtsorganisation zu arbeiten. Ähnlich war es während ihrer Zeit als Staatsanwältin in Kalifornien. Sie ist immer wieder angeeckt. Es wurde zum Beispiel hier in San Francisco ein Polizist erschossen, sie hat sehr schnell als Staatsanwältin die Entscheidung getroffen, dass sie nicht die Todesstrafe für den Täter fordern will. Das war selbst im sehr progressiven San Francisco damals sehr kontrovers. Sie hat immer wieder gezeigt, dass sie sich von öffentlichem Druck nicht beirren lässt.

Kamala Harris: Langfristigen Wandel herbeiführen durch mächtige Position

Sie haben angesprochen, wie problematisch es für eine Afroamerikanerin war, sich auf die Seite des Staates zu schlagen, weil der Staat ja für politisch bewusste Schwarze die Gegenseite verkörpert. Wie ist dieser Entschluss gefallen?

Harris schreibt in ihrer eigenen Biografie, dass die einzige Möglichkeit, wirklich langfristigen Wandel herbeizuführen, ist, wenn man selbst in einer Position ist, Entscheidungen zu treffen. Deshalb war es ihr sehr wichtig, Staatsanwältin zu werden. Dazu muss man verstehen, dass Staatsanwälte hier in den USA eine enorme Macht haben. Das hat sie früh verstanden und hat dann auch an diesem Entscheid festgehalten. Sie musste sogar innerhalb der Familie diese Entscheidung hart verteidigen. Sowohl ihre Schwester als auch ihre Mutter waren da sehr kritisch.

Sie schreiben, dass Kamala Harris bei ihrer eigenen Präsidentschaftskandidatur überschätzt hat, wie stark ihr Rückhalt in der afroamerikanischen Bevölkerung ist. Hat ihre Vergangenheit als Staatsanwältin sie diesen Rückhalt gekostet?

Die Basis der demokratischen Partei ist in den vergangenen zehn Jahren stark nach links gerückt. Mittlerweile haben auch viele weiße Wähler ein schlechtes Bild von der Polizei, und einige verstehen es als Verrat, wenn jemand sich auf die Seite des Staates schlägt. Man muss dazu aber auch sagen, dass Biden bei den nichtweißen Wählern enorm beliebt ist. Viele sehen ihn als Erben von Obama.

Es gibt Vorwürfe, dass Kamala Harris ja gar nicht so richtig Schwarz sei, einerseits wegen ihrer Vergangenheit als Staatsanwältin, andererseits auch, weil ihre Eltern keine Afroamerikaner im engeren Sinn sind. Wie sehen Sie das?

Prinzipiell ist das Thema Identität in den USA enorm wichtig. Man muss ständig sagen, wie man sich selbst identifiziert – ob Native, Asian, Latino oder sonstwas. Harris bezeichnet sich als Afroamerikanerin. Ihre Eltern waren zwar Einwanderer, aber sie ist hier in San Francisco, in Oakland, in einer afroamerikanischen Community groß geworden. Und dann hat sie sich entschieden, die Howard University zu besuchen, die älteste und traditionsreichste Schwarze Universität des Landes.

Aber die „Street Credibility“ fehlt ihr im entscheidenden Augenblick trotzdem.

Ich bin mir da nicht sicher. Sie hat durchaus einen Rückhalt in der Schwarzen Bevölkerung hat. Sie hat etwa mit vielen Auftritten in Schwarzen Communities erreicht, die dort vorhandene Impfskepsis zu senken. Davon liest man nur nicht so viel.

Kamala Harris ist im Kampf um die Präsidentschaftskandidatur das Geld ausgegangen

Wir hatten über Harris’ eigene Kandidatur gesprochen. Sie lag nach der zweiten Debatte sehr stark im Rennen, dann kollabierte ihr Wahlkampf. Was ist passiert?

Ihr ist schlicht das Geld ausgegangen. Sie hat es nicht geschafft, langfristig die Spender zu überzeugen. Das lag daran, dass sie nicht so gut vermitteln konnte, wofür sie eigentlich steht. Bernie Sanders beispielsweise stand ganz klar für einen Linkskurs, Elizabeth Warren stand für den Feminismus. Harris stand hingegen bei den verschiedenen Themen mal links, mal rechts. Sie hatte einen starken Moment in der Fernsehdebatte mit Joe Biden, als sie in einem heftigen Schlagabtausch klargemacht hat, dass sie für die Belange der afroamerikanischen Bevölkerung steht. Diesen Rückenwind hat sie aber recht schnell wieder verloren. Es gab mehr als 20 Kandidaten bei den Demokraten, und Harris konnte sich nicht differenzieren.

Marie-Astrid Langer, geboren 1985, arbeitet seit 2012 für die „Neue Zürcher Zeitung“. Als Silicon-Valley-Korrespondentin in Kalifornien begleitete sie den Aufstieg von Kamala Harris publizistisch aus nächster Nähe.
Marie-Astrid Langer, geboren 1985, arbeitet seit 2012 für die „Neue Zürcher Zeitung“. Als Silicon-Valley-Korrespondentin in Kalifornien begleitete sie den Aufstieg von Kamala Harris publizistisch aus nächster Nähe. © privat

Hatte es vielleicht letztlich auch damit zu tun, dass das Land vielleicht doch noch nicht für eine Woman of Color als Präsidentin bereit ist?

Das kann natürlich durchaus eine Rolle gespielt haben. Wenn man Präsident werden will, muss man ja in einer Handvoll Swing States gewinnen, beispielsweise Wisconsin oder Virginia. Solche Staaten sind häufig noch konservativer, als wir das in Europa glauben. Dort hat man es als nichtweiße Frau noch einmal schwerer.

Sie haben davon gesprochen, dass Kamala Harris Joe Biden im Wahlkampf sehr hart angegangen hat. Warum hat er sich dann trotzdem für sie entscheiden?

Harris war für Biden dann am Ende doch ein sehr attraktiver „Running Mate“, weil sie eine ganz andere Lebensperspektive eingebracht hat. Sie ist jung, sie ist eine Frau, sie ist nichtweiß, und sie ist relativ neu auf der politischen Bühne in Washington. Biden ist genau das Gegenteil, und er ist vor allem der älteste Präsident der amerikanischen Geschichte. Viele Wähler haben bei ihm die Befürchtung, dass er gar nicht mehr das Amerika des Jahres 2020 repräsentiert. Harris tut das durchaus. Sie ist für ihn ein ganz wichtiges Bindeglied in die Bevölkerung.

Kamala Harris: US-Präsident Joe Biden schätzt ihr Durchsetzungsvermögen

Wir haben über ihr Selbstbewusstsein gesprochen, das sie nicht zuletzt in den Kongressanhörungen um das oberste Bundesgericht hat durchblicken lassen, bei denen sie Kandidaten von Donald Trump wie Brett Kavanaugh hart in die Zange genommen hat. Ist das auch etwas, was Biden an ihr schätzt?

Absolut. Wer sich mit Kamala Harris auf einen Streit einlässt, sollte besser gute Argumente mitbringen. Die Frau hat gezeigt, dass sie sich durchsetzen kann und dass sie sich nichts gefallen lässt. Man muss ja auch daran denken, dass sie die USA auch immer wieder nach außen repräsentiert. Er muss darauf zählen können, dass sie sich nicht unterbuttern lässt und schlagkräftig ist.

Joe Biden hat zu Obama gesagt, er möchte immer der letzte im Raum sein, wenn Entscheidungen fallen, und Harris hat das zu Biden auch gesagt. Ist sie das?

Ihren eigenen Worten zufolge ist das so. Man kann natürlich nicht hinter die Türen des Oval Office schauen. In jedem Fall treten die beiden geschlossen auf und sind auf einer Linie. Für Harris ist das natürlich insofern wichtig, als alles, was man Biden zuschreibt, auch ihr zuschreiben wird.

Ihr politisches Geschick ist sehr eng an Bidens Geschick gebunden.

Genau. Ein Vizepräsident ist immer nur so erfolgreich wie der Präsident. Im Hinblick auf den großen Elefanten im Raum, also auf die Frage, ob Harris 2024 antritt, ist relevant, wie erfolgreich er ist, und Harris ist gut damit beraten, alles daran zu setzen, dass Biden Erfolg hat.

Ihre Geschichte ist also noch nicht zu Ende geschrieben?

Auf keinen Fall.

Interview: Sebastian Moll

Auch interessant

Kommentare