Justizirrtum: Wie ein dänischer Agent als Terrorist ins Gefängnis kam

Ein möglicher Justizirrtum um einen inhaftierten Geheimdienstler bringt die Regierung in Kopenhagen in Erklärungsnot.
Spaniens Regierung tönte stolz, man habe mit dem dänischen Urlauber Ahmed Samsam „womöglich den gefährlichsten Dschihadisten in Europa“ dingfest gemacht. Für den 33- Jährigen hatte dies bis heute fünfeinhalb Jahre hinter Gittern zur Folge – als „Syrienkrieger“ für die Terrororganisation „IS“. Jetzt fordern zwei Kopenhagener Ex-Staatssekretäre, Samsam als Opfer eines wahrscheinlichen Justizirrtums schleunigst aus der Haft zu entlassen.
Schwer wiegt die Frage, die die zwei Pensionäre in einem Zeitungsbeitrag aufwerfen: „Warum haben die dänischen Behörden die Verurteilung Samsams in Spanien nicht verhindert, indem sie die Behörden dort darüber informierten, dass er als Agent unserer Geheimdienste PET und FE gehandelt hat?“
Für die neue große Koalition hinter der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat die Affäre Samsam bedrohliche Ausmaße angenommen. Die rituell gemurmelten Hinweise auf das zwangsläufig Geheime bei Geheimdienstarbeit helfen wenig. Niemand in Kopenhagen zweifelt nach immer neuen Enthüllungen daran, dass sich der in einem dänischen Dorf geborene Sohn syrischer Flüchtlinge 2012 bis 2014 im Auftrag des Inlandsgeheimdienstes PET und später des Auslandsgeheimdienstes FE in Syrien dem „IS“ angeschlossen hat. Von dort lieferte er als Undercover-Agent die gewünschten Namen und andere Informationen über Terrorist:innen und lebte nach dem Ende dieser Zusammenarbeit unbehelligt in seinem Geburtsland. Bis er 2017 nach Spanien reiste.
Diese vor allem von der Zeitung „Berlingske“ ans Licht gebrachte Geschichte hat auch seinen Anwalt Erbil Kaya ins Grübeln gebracht: „Ich hätte nie gedacht, dass der Staat so vorsätzlich, kalt und zynisch zum Täter werden kann.“ Wobei der Ausgangspunkt offenbar tölpelhafte Fehler im dänischen Staatsapparat waren.
So interessierten sich die spanischen Behörden im Juni 2017 für den Besucher Ahmed Samsam mit dänischem Pass, weil er von dort aus in das für den gesamten Schengenraum geltende Fahndungs- und Überwachungssystem SIS als „IS“-Kämpfer eingetragen war. Laut „Berlingske“ geschah dieser Eintrag noch während der laufenden Zusammenarbeit und ohne dass mit Samsam direkte befasste Geheimdienst-Bedienstete des PET davon wussten.
Die spanischen Ermittlungen gegen den Dänen brachten zigtausende Videos, Chats und anderen Online-Aktivitäten mit „IS“-Propaganda und zum Teil extrem brutaler Gewalt zutage. Vor Gericht verwies der junge Mann dazu auf seine Rolle als dänischer Agent. Hier nahm ihm das niemand ab. Zu den Enthüllungen in „Berlingske“ zwei Jahre später gehörte auch, dass die spanische Polizei ein ausdrückliches Nein aus Kopenhagen auf ihre Frage bekommen hatte, ob Samsam tatsächlich für die Geheimdienste aktiv gewesen sei.
2020 vereinbarten beide Länder die Verbüßung der Reststrafe in Dänemark, wo Samsam bis heute im Hochsicherheits-Gefängnis Horsens einsitzt. Sein Anwalt Kaya verweist darauf, dass man seinen Mandant spätestens bei der Auslieferung in sein Heimatland hätte freilassen müssen. Aber das blieb weiter aus. Stattdessen brachten ihm zweimal ominöser Besuch erhebliche Geldsummen in Gefängnis, Samsam zufolge Sendboten der Geheimdienste.
Jahrelang in Spanien in Haft
An ihrem eisernen Schweigen in der Öffentlichkeit aber hielten PET und FE fest. So eisern, dass im Dezember 2021 ein hauptamtlicher Geheimdienstler wegen Verdacht auf Landesverrat in Haft kam, weil er sich zwei „Berlingske“-Journalisten über Samsams Rolle anvertraut hatte. Der Beamte mit 38 Dienstjahren auf dem Buckel war „Agentenführer“ des Undercover-Dschihadisten und konnte nach eigener Aussage nicht mehr damit leben, dass PET einen Mitarbeiter so schmählich im Stich ließ.
Im November steht die Haftentlassung an. Die Opposition im „Folketing“ hat eine als sicher geltende Untersuchungskommission nicht durchsetzen können. Denn die neue Regierungsmehrheit hat es sich anders überlegt. Sie setzt vor den Wahlen im November weiter auf Aussitzen unter ständiger Betonung des „Geheimen“. Lediglich eine „Voruntersuchungskommission“ ist beschlossen.
Ahmed Samsam selbst hat für seine Klage auf Schadensersatz gegen die Geheimdienste einen Prozess zugestanden bekommen. Es soll sofort in zweiter Instanz vor einem Oberlandesgericht verhandelt werden – wegen der „prinzipiellen Bedeutung“ des Falles. Jakob Scharf, bis 2013 PET-Chef, warnt: „Die Unsicherheit in der Öffentlichkeit macht es den Geheimdiensten möglicherweise unmöglich, in Zukunft die menschlichen Quellen anzuheuern und zu führen, die man braucht.“