Entscheidung zur „Judensau“ erwartet: Relief an Wittenberger Stadtkirche umstritten
Die Menschen säugende Sau an der Stadtkirche in Wittenberg ist heftig umstritten. Die Darstellung gilt als antijüdisch. Nun landet der Streit vor dem BGH.
Karlsruhe – Sie sorgt für einen handfesten Streit, über den jetzt der BHG entscheiden muss: Über eine als „Judensau“ bezeichnete Schmähplastik an der Stadtkirche Wittenberg in Sachsen-Anhalt wird am Montag (30 Mai) am Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe verhandelt. Ein Kläger will, dass das antijüdische Sandsteinrelief aus dem 13. Jahrhundert entfernt wird (Az. VI ZR 172/20). Es zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Schweins und blickt ihm in den After. Die Stadtkirchengemeinde bezeichnet die „Wittenberger Sau“ als „ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte“.
Vor dem Landgericht Dessau-Roßlau und dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg war der Kläger gescheitert. Dietrich Düllmann, der nach eigenen Angaben 1978 zum Judentum konvertiert ist und sich seither Michael nennt, ist fest entschlossen, auch im Fall einer weiteren Niederlage nicht aufzugeben: „Ich werde den ganzen juristischen Weg ausschöpfen“, sagte der 79-Jährige der Deutschen Presse-Agentur schon im Vorfeld. Im Zweifel wolle er am Bundesverfassungsgericht und schließlich am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vorstellig werden. Ob der BGH schon am Montag ein Urteil spricht, ist offen.
Dass sich der Bonner überhaupt durch die Instanzen klagt, ist nach seinen Worten eher einem Zufall geschuldet: In einem Artikel habe er vor einigen Jahren über die „Judensau“ gelesen, berichtete Düllmann. Damals habe es Demonstrationen deswegen in Wittenberg gegeben, an denen er dann auch teilgenommen habe. Dort sei er gefragt worden, ob er nicht juristisch gegen das Schweine-Relief vorgehen wolle.
Fall mit Brisanz: Antijüdisches Relief prangt an Stadtkirche in Wittenberg
Der Fall hat Brisanz, weil das Relief nicht an irgendeiner Kirche prangt: In der Wittenberger Stadtkirche hatte einst Martin Luther (1483-1546) gepredigt. Sie gilt als Mutterkirche der Reformation. Wegen seiner antijüdischen Äußerungen geriet der Theologe in die Kritik. Luther „von seinem Sockel zu stoßen“, sei auch sein Anliegen, sagte Düllmann. „Er muss als Erz-Antisemit klar benannt werden.“

Das OLG hatte 2020 entschieden, zwar stelle die Skulptur isoliert betrachtet eine Beleidigung dar. Zur Zeit der Entstehung habe sie das Ziel gehabt, Juden verächtlich zu machen. Denn im jüdischen Glauben gelten Schweine als unrein. Doch ist die Plastik nach Auffassung des Gerichts seit 1988 Teil eines Mahnmals und hat keinen beleidigenden Charakter mehr. Eine Erklärtafel in der Nähe der Abbildung weist auf den Kontext hin.
Schmähplastik: Zentralrat der Juden fordert Kontext und Erklärung
Schmähplastiken dieser Art seien besonders im Mittelalter verbreitet gewesen, heißt es dort. „Es existieren noch etwa fünfzig derartige Bildwerke.“ Der Zentralrat der Juden hat keine sicheren Informationen über die Gesamtzahl derartiger Darstellungen. Von anderen Rechtsstreitigkeiten, die sich an einem BGH-Urteil orientieren könnten, weiß man dort aber laut einer Sprecherin nichts.
Zentralratspräsident Josef Schuster hatte nach der OLG-Entscheidung erklärt, „umso mehr bedarf es der Anbringung einer Tafel, die das Schmährelief eindeutig erläutert und in den historischen Kontext einordnet“. Auf Nachfrage antwortete er nun, die Kirche müsse eine klare Abgrenzung und Verurteilung zum Ausdruck bringen. Das sei aus der aktuellen Erläuterung nach seinem Verständnis nicht ersichtlich.
„Die antijudaistische Geschichte der Kirche lässt sich nicht ungeschehen machen“, räumte Schuster ein. „Daher ist die Anbringung einer Erklärtafel besser, als eine solche Schmähplastik einfach zu entfernen und damit zu verleugnen.“ Einordnende Erklärungen seien zwingend notwendig. „Sie müssen Hintergrundinformationen liefern und die Aussagen des Bildwerks unzweideutig verurteilen.“ Gelungene Beispiele gibt es nach Angaben des Zentralrats am Regensburger Dom und an der Ritterstiftskirche St. Peter in Bad Wimpfen bei Heilbronn. (kh/dpa)