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Tag der Pressefreiheit: Journalismus ist kein Verbrechen

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Von: Bascha Mika

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Presseleute gedenken im mexikanischen Veracruz mit Kerzen und Bildern ihrer ermordeten Kolleginnen und Kollegen. Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende.
Presseleute gedenken im mexikanischen Veracruz mit Kerzen und Bildern ihrer ermordeten Kolleginnen und Kollegen. Mexiko ist eines der gefährlichsten Länder für Medienschaffende. © dpa

Fast nirgendwo auf der Welt können Medienschaffende ihrer Arbeit in Sicherheit nachgehen - auch in Deutschland nicht, zeigt das Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen.

Im Türkischen gibt es den schönen Spruch: „Beni sokmayan yilan bin yil yasasin.“ Die Schlange, die mich nicht beißt, kann tausend Jahre leben. Frei übersetzt: Wenn mich etwas nicht betrifft, braucht es mich auch nicht zu kümmern. Scheint es nicht so, als hätte sich ein guter Teil der türkischen Community in Deutschland dieses Motto zu eigen gemacht? Zumal vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei Mitte Mai? Egal wie repressiv Recep Tayyip Erdogan das Land regiert, egal ob er Rechtsstaatlichkeit und demokratische Werte verhöhnt, egal wie viele Oppositionelle er verfolgen und einkerkern lässt – nach jetzigen Umfragen wird er dennoch die Stimmen von über der Hälfte der hiesigen türkischstämmigen Wahlberechtigten bekommen. Sie wählen die Schlange der Unfreiheit, denn von ihr gebissen werden andere.

Die 32 Journalist:innen zum Beispiel, die in der Türkei im Knast sitzen, weil sie ihren Job gemacht haben. Die kurdischen Presseleute, gegen die im vergangenen Jahr eine Verhaftungswelle einsetzte. Die zahlreichen anderen Medienvertreter:innen, die wegen ihrer kritischen Berichterstattung die Gefängnisse füllen, obwohl ihnen offiziell andere Delikte vorgeworfen werden. Die Nutzer:innen Sozialer Medien, die seit 2022 vom sogenannten Desinformationsgesetz eingeschüchtert sind, weil ihnen bei „Falschinformation“ drei Jahre Haft drohen. Die türkischen Exil-Journalist:innen, die von Agenten des Regimes aufgespürt, bedroht und zusammengeschlagen werden.

Ranking der Pressefreiheit: Die Türkei ist um 16 Plätze abgerutscht

Die Lage der Pressefreiheit in der Türkei ist „sehr ernst“, so Reporter ohne Grenzen (ROG). Zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai erstellt die Nichtregierungsorganisation eine jährliche Rangliste, mit der sie die Situation von Medien und Journalist:innen in 180 Staaten und Territorien vergleicht. Das Ranking stützt sich auf fünf Indikatoren: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit. Auf dieser Rangliste ist die Türkei innerhalb eines Jahres um 16 Plätze abgerutscht und rangiert inzwischen in der schlimmsten Kategorie ganz weit unten auf Nummer 165.

Warum irritiert das Erdogans Wählerschaft in Deutschland so wenig? Wohl, weil sie glaubt, dem Gift der Schlange entgehen zu können. Doch das ist mitnichten der Fall. Denn in zwanzig Jahren an der Macht hat der Präsident über 90 Prozent der türkischen Medien unter seine Kontrolle gebracht – und es ist diese regierungstreue Propagandapresse, die der türkischen Community hierzulande als Hauptinformationsquelle dient. Kein Wunder also, dass sehr viele Wähler:innen zugunsten von Erdogan manipuliert sind. Kritisches Bewusstsein gegenüber den Herrschenden ohne Meinungsfreiheit und -vielfalt? Wie soll das gehen? Nur eine freie Presse kann Missstände von Regierungen aufdecken, Korruption und Machtmissbrauch aufzeigen und öffentliche Debatten anstoßen.

Tag der Pressefreiheit: In diesem Jahr wurden bereits sechs Berichterstatter und ein Mitarbeiter ermordet

Weil genau das die wichtigste Arbeit von Journalist:innen ist, leben sie in weiten Teilen der Welt ausgesprochen gefährlich. Morde und Entführungen, Verhaftungen und körperliche Angriffe sind an der Tagesordnung. Journalismus ist kein Verbrechen, Journalist:innen nicht kriminell. Dennoch werden sie verfolgt, inhaftiert, gefoltert, getötet. Allein in den ersten vier Monaten diesen Jahres sind sechs Berichterstatter und ein Medienmitarbeiter umgebracht worden. Derzeit sitzen weltweit 540 Journalist:innen und 20 Mitarbeiter in Haft. Dabei sind nicht nur gewalttätige Konflikte eine Gefahr für Medienschaffende; es gibt vielfältige Repressionen, mit denen Regierungen und auch andere Akteure die Informationshoheit zu gewinnen versuchen.

So war das vergangene Jahr kein gutes Jahr für die Pressefreiheit. „Krisen, Kriege und die anhaltende Ausbreitung des Autoritarismus haben dazu geführt, dass im Jahr 2022 die Lage der Pressefreiheit so instabil war wie seit langem nicht“, schreibt ROG. Verschärfend hinzu kamen medienfeindliche Hetze und Desinformation.

China, Myanmar und der Iran sind die größten Gefängnisse für Medienschaffende

Laut aktueller Pressefreiheitsskala ist die Lage in 31 Ländern „sehr ernst“, in 42 „schwierig“, in 55 gibt es „erkennbare Probleme“. Was heißt, dass Journalist:innen in rund 70 Prozent der Länder schlechte bis sehr problematische und gefährliche Arbeitsbedingungen haben. China, Myanmar und der Iran sind die größten Gefängnisse der Welt für Medienschaffende. Allein in China sitzen mindestens 100 von ihnen hinter Gittern, nicht wenige sind vom Tode bedroht. Chinas Machthaber Xi Jinping nutzt seine dritte Amtszeit, um seinen vor zehn Jahren begonnenen Feldzug gegen den Journalismus fortzusetzen. Nirgendwo auf der Welt ist die Lage übler – außer noch in Nordkorea. Die beiden Länder landen auf den allerletzten Plätzen im ROG-Ranking.

„Gut“ oder wenigstens „zufriedenstellend“ ist der Zustand der Pressefreiheit in nur 52 Ländern. Die meisten davon in Europa. Während Norwegen zum siebten Mal in Folge den ersten Platz auf der Skala belegt, hat es Irland diesmal auf den zweiten geschafft. Die Gründe: Der Pluralismus auf dem Medienmarkt hat auf der Insel zugenommen, es gibt ein neues Verleumdungsgesetz, das Journalist:innen vor missbräuchlichen Klagen schützt, zudem will die irische Regierung die Zukunft der Medien mit gezielten Maßnahmen sichern.

Tag der Pressefreiheit: Auch in Europa steht nicht alles zum Besten

So erfreulich die Entwicklung in einigen wenigen Ländern ist, so erschreckend und bedrohlich für die Demokratie ist eine andere Tendenz. Nicht nur Diktatoren oder autokratische Regime sind am Werk, wenn die Pressefreiheit wenig oder gar nichts gilt. Auch in einer Reihe angeblicher Rechtsstaaten befinden sich Politiker:innen im Amt, die jede Form öffentlicher Kontrolle ihrer Regierungsgeschäfte behindern oder verhindern wollen – und das mit Unterstützung ihrer Wählerschaft.

So ist Erdogans Fußvolk keineswegs das einzige, das sich um Pressefreiheit nicht schert. Diese Haltung der Bevölkerungsmehrheit zeigt sich beispielsweise ebenso in Ungarn und Polen, bei zwei EU-Staaten, die im Ranking von Reporter ohne Grenzen auf dem peinlichen 72 und 57 Platz stehen – und damit bereits in der Kategorie „erkennbare Probleme“ gelandet sind (siehe auch „Hebel meint“, S. 18).

Große Sorgen macht Reporter ohne Grenzen, dass Journalist:innen fast nirgendwo auf der Welt ihrer Arbeit in Sicherheit nachgehen können: „Die Aggressivität gegenüber Medienschaffenden steigt weiter. Viele Regierungen und gesellschaftliche Gruppen versuchen, kritische Berichterstattung zu unterbinden.“

In Deutschland wird bei manchen Demos Jagd auf Medienschaffende gemacht

Und das auch in Deutschland. Verschwörungsideologische, rechtsextreme und antisemitische Gruppierungen machen bei Demonstrationen und Versammlungen gezielt Jagd auf Journalist:innen. 103 physische Angriffe wurden im vergangenen Jahr dokumentiert - ein neuer Höchststand (2021 gab es 80 Attacken, 2020 waren es 65). Und als wäre es ein Bagatelldelikt, wenn freie Berichterstattung mit Gewalt verhindert wird, machen sich Polizei und Justiz wenig Mühe bei der Verfolgung der Täter, die kommen meist straffrei davon. ROG fordert deshalb dringend, dass Medienleute hierzulande besser geschützt werden.

Zur Zielscheibe werden Journalist:innen in Deutschland auch, wenn sie über Queerfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus berichten. Wer Diversität und LGTBQIA+Menschen verachtet, die Abwertung von Frauen für ein Männerrecht hält und nur weiße Bio-Deutsche im Land sehen will, verfolgt mit seinem Hass nicht nur die entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen, sondern auch Medienvertreter:innen, die für Öffentlichkeit sorgen. Gegen diese Anfeindungen ist ebenso ein effektiver Schutz gefragt.

So sähe ein Zeitungsartikel in einem Land ohne Pressefreiheit aus
So sähe ein Zeitungsartikel in einem Land ohne Pressefreiheit aus. © FR

Es ist zum einen der Indikator „Sicherheit“, der Deutschland auf der Rangliste der Pressefreiheit um fünf Stellen absacken lässt: 21. Platz, nur „zufriedenstellend“, das ist ein beschämendes Ergebnis. Zum anderen spielt der Indikator „Sozialer Kontext“ eine wichtige Rolle. Denn einschlägig interessierte Kreise schüren systematisch das Misstrauen gegenüber Medien und ihren Vertreter:innen. Der Spruch von der „Lügenpresse“ ist zwar seit langem out, doch der Hetzgedanke dahinter lebt.

Nicht nur die AfD setzt auf gezielte Verleumdungen

Dabei ist es keineswegs nur die AfD, die auf Verleumdungstour geht, um sich ungestört von kritischer Presse ihren demokratiefeindlichen Zielen zu widmen. Selbst Medienhäuser wie der Springer-Konzern beteiligen sich gern an üblen Kampagnen, zumal wenn es gegen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk geht. Dass hässliche Affären, wie jüngst beim Landessender rbb, zurecht skandalisiert werden, versteht sich. Doch was bei Springer daraus gemacht wird, befeuert gezielt Medienhäme und -hatz und schädigt den Ruf des gesamten Metiers.

Dass Leser:innen, Hörer:innen, Zuschauer:innen und Nutzer:innen ihren Medien vertrauen, ist konstitutiv für eine funktionierende Presselandschaft – und hängt nicht zuletzt an der Vertrauenswürdigkeit der Medienschaffenden. Und auch hier gibt der Springer-Konzern keineswegs ein gutes Bild ab. Allen voran Springers Vorstandsvorsitzender und Miteigentümer Mathias Döpfner, einer der mächtigsten Verleger Europas.

Menschen in herausgehobenen gesellschaftlichen Positionen tragen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. In hohem Maße trifft das auf einen Verlagschef zu, mit dessen Publikationen die öffentliche Meinung massiv zu beeinflussen ist. Doch dieser Verantwortung will sich Mathias Döpfner offenbar nicht stellen, im Gegenteil scheint er seine Rolle bewusst missbraucht zu haben.

Das Renommee von Springer-Chef Döpfner ist deutlich angeschlagen

Glaubt man den jüngsten Enthüllungen über geleakte Chat-Nachrichten und E-Mails, hat Döpfner nicht nur extrem abfällig und pauschal über Ostdeutsche geurteilt – „Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten“ – sondern seinen Redaktionen auch eine positive Haltung zur FDP im Wahlkampf verordnet. Dass er Julian Reichelt trotz aller Missbrauchsvorwürfe unerträglich lange als Bild-Chefredakteur gestützt hat, dass er aus Eigeninteresse auch im Hamburger Cum-Ex-Skandal die Berichterstattung gesteuert haben soll, ist seinem Ruf darüber hinaus schwer abträglich. Verdirbt zu viel Macht und Geld den Charakter?

Zumindest haben sie das Renommee des einstigen Präsidenten des Bundesverbands der Zeitungsverleger gründlich verdorben – womit auch die Branche und ihre Integrität insgesamt in ein schiefes Licht geraten ist. Vielleicht ist das sogar der eigentliche Skandal. Nie war die Verantwortung von Medienschaffenden angesichts der Weltlage so groß wie heute. Doch während die einen immer wieder Leib und Leben riskieren, um für das Ideal einer freien Presse zu kämpfen, beschädigen und verschleudern die anderen saturiert, fahrlässig und verantwortungsvergessen dieses hohe Gut. Und entziehen damit womöglich der Demokratie eines ihrer wichtigsten Lebensmittel.

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