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Macron „von Sinnen“? Nach seiner Aussage zu Taiwan hagelt es Kritik

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Von: Stefan Brändle

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Der französische Präsident setzt sich mit seinem Spruch über die europäischen „Mitläufer“ der USA im Taiwan-Konflikt in die diplomatischen Nesseln – vier Gründe, warum das keineswegs ein Fauxpas war.

Von Washington bis Prag hagelt es Kritik am französischen Präsidenten Emmanuel Macrons. Auf seinem Rückflug aus China sagte er nämlich zur Taiwan-Frage: „Das Schlimmste wäre zu denken, dass wir Europäer Mitläufer sein sollen und uns dem amerikanischen Rhythmus und einer chinesischen Überreaktion anpassen müssen.“ In Deutschland erregten sich „Atlantiker“ wie der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen und das Magazin Spiegel: Ob Macron denn „von Sinnen“ sei. Andere halten dagegen, der Franzose werfe die berechtigte Frage auf, wie sich Europa nach etwaigen US-Sanktionen gegen Peking verhalten sollte. Die „Mitläufer“ haben auf jeden Fall mehrere mögliche Erklärungen:

1. Macron lässt sich von anderen blenden:

Der Präsident ist beeinflussbarer, als es den Anschein macht. Vielleicht wirkte der pompöse Empfang durch Chinas Xi Jinping bei Macron auch während des Rückflugs noch nach – und damit auch Pekings Sicht, Taiwan sei eine innenpolitische Affäre, die das Ausland nichts angehe. Macron soll den Taiwan-Konflikt auch gar nicht angesprochen haben; seine Priorität war die Ukraine. Bewusst oder nicht übernahm der Franzose damit die Positionen Xis, so wie er schon nach zig Telefonaten mit Wladimir Putin erklärt hatte, man dürfe diesen „nicht erniedrigen“. Frankreichs Diplomat:innen, die sonst zu den gewieftesten der Welt zählen, raufen sich über so heikle Aussagen die Haare. Der Politologe Bruno Tertrais ätzte schon vor Monaten, Macron beschäftige seine außenpolitischen Berater nur der Form halber. „Sein Spezialberater in Außenpolitik, das ist er selbst.“

Frankreichs Präsident Macron bei einer Rede in Peking.
Frankreichs Präsident Macron bei einer Rede in Peking. © Ludovic Marin/afp

2. Frankreich ist ein „freier“ Alliierter:

Das Wort von den „Mitläufern“ ruft Erinnerungen an den Eklat wach, als Macron die Nato als „hirntot“ bezeichnete – das war 2019, lange vor der Reaktion auf die russische Invasion der Ukraine. In Paris sind solche antiamerikanischen Reflexe seit Jahrzehnten gang und gäbe. Charles de Gaulle blieb dem Militärkommando der Nato fern und situierte sein Land auf gleicher Distanz zu den USA wie zur damaligen Sowjetunion. Der entscheidende Beitrag der US-Streitkräfte bei der Befreiung Frankreichs von den Nazis ist nicht vergessen, aber lieber gedenkt man einer heroischen Résistance und der Befreiung von Paris durch den französischen Panzergeneral Leclerc. Ähnlich verhält es sich auch heute im Krieg in der Ukraine, in dem die französische Militärhilfe bedeutend geringer ausfällt als die der USA. Umso mehr brauche Europa eine eigene, von den USA unabhängige Armee, um sich aus eigener Kraft verteidigen zu können, sagt Macron. Die Entscheidung über den Einsatz der französischen Atomwaffen will er aber nicht mit anderen teilen.

3. Macron hat mit Biden noch eine Rechnung offen:

Dass sich Macron klar von der Taiwan-Politik Washingtons abgrenzt, lässt sich auch als Retourkutsche nach der „Aukus-Affäre“ lesen. Frankreich hatte Australien 2016 zwölf U-Boote im Wert von 34 Milliarden Euro verkauft; 2021 kündigte Australien den Vertrag aber auf Betreiben von Joe Biden, der mit Großbritannien und Australien die Allianz „Aukus“ gegen China lancierte. Frankreich, das im Südpazifik über große Gebiete wie Polynesien und Neukaledonien verfügt, fühlte sich betrogen. Seither meint Macron, Frankreichs Interessen im Pazifik entsprächen nicht denen der USA. Insbesondere habe man kein Interesse an einer Eskalation wegen Taiwan oder des Handelsstreites mit China.

4. Macron will vom Rentenkonflikt ablenken:

Der Präsident zieht seit einiger Zeit die prestigeträchtigere Außenpolitik vor. Nach Besuchen in den USA und China zeigte sich Macron diese Woche in den Niederlanden. Die innenpolitische Krise wegen der Rentenreform, die am Freitag beim Verfassungsgericht ihrem Höhepunkt zutreibt – muss ihn nicht kümmern, soll die Reisediplomatie wohl vermitteln. Macron hält sein Kabinett an, volksnahe Anliegen wie Inflation, Energie oder Migration zu thematisieren. So sieht er sich dem Vorwurf ausgesetzt, er betreibe eine „Scheherazade-Strategie“ – wie die Erzählerin von „Tausendundeine Nacht“, erfinde er jede Nacht eine neue Geschichte.

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