„Jetzt müssen wir profitieren“

DerOrtsteil Lützerath ist Geschichte, aber die Stadt Erkelenz will sich nun eine Zukunft sichern - trotz RWE.
Gute zehn Kilometer Luftlinie trennen das Rathaus der Stadt Erkelenz von der Fläche, auf der sich noch vor drei Wochen ihr östlichster Ortsteil Lützerath befand. Zwar hat sich die Staubwolke über dem zerstörten Dörfchen inzwischen gelegt, doch das Medieninteresse ist der 45 000-Seelen-Kommune am Rand des Braunkohle-Tagebaus Garzweiler erhalten geblieben.
So begleiteten mehrere Kamerateams Ende Januar eine nüchterne Pressekonferenz im Erkelenzer Rathaus, bei der es um die Zukunft der fünf nun vom Tagebau verschonten Dörfer ging. 20 Quadratkilometer Stadtgebiet, das bereits als aufgegeben galt, wollen jetzt gestaltet werden, und die, die um den Erhalt der sogenannten Keyenberger Dörfer gekämpft haben, sollen dabei genau so mitsprechen können wie die bereits umgesiedelten Menschen – und die im relativ fernen Erkelenzer Zentrum.
Als das Amsterdamer Planungsbüro „Must“ jetzt seine Ideen für das dörflich geprägte Gebiet zur öffentlichen Diskussion stellte, mussten Kameras und Mikros zwar draußen bleiben, doch im Foyer vor dem Saal waren sie unvermindert vertreten.
Und so verzeichnete es David Dresen, Anwohner aus Kuckum und Aktivist bei „Alle Dörfer bleiben“, als Erfolg der Klimabewegung, „dass in keinem der Modelle Gewerbegebiete auftauchen. Ich finde es interessant, wie sehr sich das Planungsbüro bemüht hat, seine Entwürfe modern und nachhaltig zu gestalten. Die Welt schaut halt hin.“
Ähnlich sieht es auch Ralf Bussberg aus dem Ortsteil Bellinghoven: „Ich finde, die Entwürfe enthalten eine Menge Gutes. Jetzt muss man es nur noch gut zusammensetzen. Und dafür sehe ich eine reelle Chance, weil nach Lützerath so viel Aufmerksamkeit auf diesen Prozess gerichtet ist. Es ist den Menschen in Lützerath zu verdanken, dass wir jetzt in dieser Form über die weitere Planung reden.“
Lokalpolitiker Hans-Josef Dederichs (Grüne) ist selbst bereits vor einigen Jahren umgesiedelt, hat aber immer auf den Erhalt der alten Heimat gehofft, den er jetzt mit zwei Wünschen verbindet: „Ich würde mich freuen, wenn die Menschen, die in den Dörfern wohnen, heute und zukünftig sagen können, das Ergebnis dieser Bürgerbeteiligung ist etwas Gutes. Und der Konzern hat hier so viel Geld mit Technik aus dem letzten Jahrtausend verdient. Dafür möchte ich jetzt, dass die Menschen vor Ort das Innovativste und Nachhaltigste bekommen, was unsere Zeiten hergeben.“
Bei dem Keyenberger Norbert Winzen, seit Jahren eine starke Stimme des Widerstandes gegen den Konzern, mischt sich durchaus noch Zorn in die Erleichterung über den Erhalt seines denkmalgeschützten Hofes: „Die Machtdemonstrationen des Konzerns, der zum Beispiel ohne Not die Alleenbäume hinter unserem Hof gefällt hat, müssen ein Ende haben. Die Frage darf nicht mehr sein: Was will RWE – sondern, was muss RWE jetzt tun?“ Er fordert, dass die lange vernachlässigte Infrastruktur der Dörfer „im Hinblick auf erneuerbare Energien fit gemacht wird. Unsere Region ist so lange stehen geblieben, jetzt muss RWE etwas bieten. Der Konzern wird mit Sicherheit weiter hier präsent sein – aber jetzt müssen wir davon profitieren. Und es muss belohnt werden, dass wir hier ausgeharrt haben.“
Mit der fortgesetzten RWE-Präsenz spricht er ein Thema an, das man im Erkelenzer Rathaus lieber nicht zu sehr betonen möchte. Einerseits legt Bürgermeister Stephan Muckel (CDU) Wert darauf, dass die Vision für die Dörfer „unabhängig von den Eigentumsverhältnissen“ entwickelt werde. Andererseits hat die Gemeinde gerade eine Konsensvereinbarung mit der „Perspektive.Struktur.Wandel“-GmbH unterzeichnet, einem umstrittenen Joint-Venture zwischen RWE und dem Land NRW für die „Nachnutzung ausgewählter, komplexer RWE-Standorte“.
Auch wurde in den vergangenen Jahren bei besonders spektakulären Abrissen von Denkmälern wie dem Immerather Dom oder der Immerather Mühle immer wieder betont, RWE habe seinen beträchtlichen Grundbesitz nach dem Bergrecht erworben, welches Natur- und Denkmalschutz außer Kraft setzt.
Jetzt jedoch heißt es, RWE werde bei der Gestaltung der Dörfer als zivilrechtlicher Grundstückseigentümer mit am Tisch sitzen. Gleichzeitig versucht der Konzern weiter mit großem Druck, Häuser und landwirtschaftliche Flächen zu kaufen, als ginge die Umsiedlung weiter.
Diese blinden Flecken im Prozedere sind auch dem Stadtplaner Robert Broesi bewusst, der federführend an der Entwicklung der präsentierten Ideen beteiligt war. Sein Auftrag, so der niederländische Wahl-Rheinländer, sei jedoch „der unverstellte Blick nach vorn“ gewesen: „Mir ist bewusst, was es hier für Schmerzen in der Region gibt. Als Planer kann ich das nicht mehr reparieren. Aber ich kann das Vorhandene würdigen, ich kann den Menschen zuhören, die so viel verloren haben, und ich kann hoffen, dass es klappt, dass die Anliegen dieser Menschen Teil der Zukunftsgestaltung werden.“
Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weit jenseits der Grenzen von Erkelenz ist allen Beteiligten dabei gewiss.