Erdbebenkatastrophe: Türkischer Botschafter verteidigt Vorgehen der Regierung

Nach dem Erdbeben äußert sich der Botschafter der Türkei in Deutschland zur schwierigen Hilfe im Katastrophengebiet
FR: Herr Sen, welche Hilfsangebote hat die türkische Regierung für die Menschen vor Ort?
Derzeit werden alle Ressourcen in der Türkei mobilisiert, um unsere Menschen aus den Trümmern zu retten und die Überlebenden zu versorgen. Laut der türkischen Katastrophenschutzbehörde sind über 113.200 Helfer vor Ort im Einsatz. Aktuell wurden 5557 Fahrzeuge sowie Abschleppwagen und Kräne in das Katastrophengebiet gebracht, um die Suche und Rettungsarbeiten zu unterstützen. Retter und lebensnotwendige Güter werden über eine Luftbrücke mit insgesamt 160 Flugzeugen der Luftwaffe in die Erdbebengebiete transportiert. Und wir haben natürlich zahlreiche Notunterkünfte errichtet. Bislang sind insgesamt mehr als 137.929 Zelte und 1.255.500 Decken in die vom Erdbeben schwer betroffenen Regionen geschickt worden.
Wie kann Deutschland helfen?
Wir brauchen dringend noch viel mehr temporäre Unterkünfte wie Zelte und natürlich Medikamente. Außerdem Hilfsgüter wie Matratzen, Decken, haltbare Lebensmittel, Reinigungs- und Hygienemittel, Babynahrung und Windeln, Winterkleidung für Erwachsene und Kinder, Gas- und Elektroheizgeräte und Generatoren. Ebenso benötigen wir medizinische Geräte, die bei Notfalleinsätzen verwendet werden können. All das würde den Betroffenen im Erdbebengebiet sehr helfen. Wir hoffen weiterhin auf die Rettung unserer Bürger unter den Trümmern.
Was braucht die türkische Community in Deutschland?
Um den Erdbebenopfern die notwendige Sachhilfe zukommen zu lassen, brauchen wir auch logistische Unterstützung. Der deutschen Gesellschaft und Regierung wollen wir für ihre starke Solidarität danken. In solch schwierigen Zeiten ist es gut zu wissen, dass wir uns auf unsere Freunde in Europa uneingeschränkt verlassen können.
Erbeben in der Türkei: Kommen die Sachspenden an?
Die türkische Botschaft in Deutschland hat eine Liste mit den benötigten Sachspenden veröffentlicht. Doch gibt es Berichte darüber, dass alle Sachspenden außer von der Afad – der zentralen staatlichen Katastrophenschutzbehörde – blockiert werden. Was sind die Gründe dafür?
Im Gegenteil, jede einzelne Sachspende ist sehr willkommen. Es müssen jedoch einige formale Voraussetzungen erfüllt werden, damit die Zollformalitäten vereinfacht werden und die jeweiligen Sachspenden schnell die betroffenen Menschen erreichen. Zum Beispiel sollte eine Liste über den Inhalt der Fracht erstellt und von einem unserer 13 Generalkonsulate in vereinfachtem Verfahren genehmigt werden. Die Afad koordiniert alle Maßnahmen, darunter auch die Verteilung von Hilfsgütern. Jeder kann der Afad Sachspenden schicken.
Kommen die Sachspenden aus Deutschland an?
Natürlich! Von Deutschland aus sind Sendungen per LKW oder Flugzeug bereits unterwegs. Manche LKWs haben Grenzübergänge passiert. Angesichts der großen Hilfsbereitschaft aus Deutschland sehen wir, dass viele Sachspenden noch folgen werden. Es gibt keine Probleme bei den Zollkontrollen, nur manche Verzögerungen wegen zu großem Andrang an Grenzübergängen zur Türkei.
Türkei: Wahlkampf nach Erdbebenkatastrophe
Beeinflusst die Katastrophe den Wahlkampf in der Türkei?
In der Türkei wurde eine 7-tägige Staatstrauer ausgerufen. Wir haben unsere Flaggen im Land und in unseren Vertretungen in der ganzen Welt auf Halbmast gesenkt. Wir trauern. Unsere Priorität ist es, Leben zu retten und unsere Menschen gesund durch diesen Winter zu bringen. Alles andere steht im Moment hinten an.
Könnte die Wahl sogar verschoben werden?
Die Türkei hat eine Verfassungsordnung, da sind Regeln und Fristen vorgesehen.
Teilweise wurden Social-Media-Dienste in der Türkei eingeschränkt, warum dieser Schritt?
Hier geht es nicht darum, Social-Media-Dienste per se zu unterbinden. Sondern es handelt sich um Maßnahmen gegen Desinformationskampagnen. Leider kursieren viele irreführende, falsche Informationen über die Folgen des Erdbebens im Netz.
Erdbeben in der Türkei: Botschafter kommentiert Angriffe auf kurdisches Gebiet
Es gibt Berichte, dass Istanbul und Ankara Sachspenden nach Syrien blockieren…
Ganz im Gegenteil! Wir solidarisieren uns mit dem syrischen Volk. Die türkischen Behörden machen keine Unterscheidung zwischen den Menschen. Wir tun wirklich alles Menschenmögliche. Wir hatten am Anfang sogar Schwierigkeiten, unsere eigenen Provinzen in der Grenzregion zu Nordwestsyrien zu erreichen. Die Folgen der Katastrophe sind noch zu groß, zu verheerend. Im Rahmen unserer Möglichkeiten helfen wir aber selbstverständlich allen, wo wir können. Auf syrischer Seite sind einige Straßen beschädigt, die zu unserem Grenzübergang führen. Um Hilfsleistungen in diese Gebiete zu erleichtern, arbeiten wir an der Öffnung von zwei weiteren Grenzübergängen in der Provinz Kilis.
Es gibt Berichte über türkische Angriffe auf kurdisch kontrollierte Gebiete in Syrien, können Sie das bestätigen?
Von syrischem Boden aus übt die Terrororganisation PKK Anschläge auf die Türkei aus. So auch nach dem Erdbeben. Die syrischen Ableger der Terrororganisation PKK, nämlich die PYD/YPG, hat einen niederträchtigen Angriff mit Raketenwerfern von Tel Rifaat aus auf den Zuständigkeitsbereich unseres Öncüpınar-Grenzpostens durchgeführt. Unsere Antwort hierauf zielte darauf ab, die Sicherheit der Grenzregion zu gewährleisten. An Öncüpınar ist ein Grenzposten, über den humanitäre Hilfeleistungen nach Syrien erfolgen sollen. Die Terrororganisation PKK und ihre Ableger und Unterstützer – auch in Deutschland – versuchen die Öffentlichkeit mit Desinformation zu täuschen.