Nach Treffen zwischen Xi und Putin: Japan setzt auf andere Demokratien

Die Treueschwüre zwischen China und Russland lösen in Tokio große Nervosität aus. Japans Premier Fumio Kishida schmiedet Allianzen mit Indien und Südkorea - und besucht demonstrativ die Ukraine.
Tokio - Fumio Kishida hat sehr produktive Tage hinter sich. Als der japanische Premierminister Anfang der Woche in Neu-Delhi landete, um sich mit dem indischen Premier Narendra Modi auszutauschen, war es schon das dritte hochkarätige Treffen binnen einer halben Woche. Und es scheint nach Plan zu laufen. Japan und Indien, jeweils die drittgrößte Volkswirtschaft und der bevölkerungsreichste Staat der Welt, wollen künftig auf diversen Ebenen enger zusammenrücken: Handelspolitisch, diplomatisch, militärisch. Das versicherten sich die Regierungsoberhäupter gegenseitig.
Japan und Indien Hand in Hand
Für die beiden asiatischen Großmächte ist dies von enormer Bedeutung. Die Welt stehe „an einer historischen Weggabelung“, betonte Fumio Kishida auch diese Woche, wie er es seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor einem guten Jahr schon bei mehreren Gelegenheiten gesagt hat. Denn nicht nur in Europa hat der Ukraine-Krieg große Umwälzungen gebracht. Die regelbasierte Weltordnung stehe auf dem Spiel. Und damit auch das Selbstverständnis von Staaten wie Japan.
In dem ostasiatischen Land, wo die Verfassung jede kriegerische Aktivität verbietet, sind die Auswirkungen besonders deutlich zu spüren. Vom Pazifismusdogma, das über Jahrzehnte die wohl wichtigste Trennlinie zwischen Konservativen und Progressiven war, hat sich Japan kurzerhand praktisch verabschiedet. Eine Ende 2022 beschlossene Sicherheitsstrategie sieht eine Ausweitung der Befugnisse für das Militär vor sowie eine Verdopplung dessen Etats. Streit besteht weniger über die Richtigkeit dieses Schritts, eher über dessen Finanzierung.
Wegen China: Neu-Delhi ist alarmiert
Denn auch in Japan haben die Unsicherheiten enorm zugenommen. Dieses Gefühl erhärtet sich, da sich Chinas Regierungschef Xi Jinping diese Tage mit Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen hat und sich einmal mehr zu dessen Freund erklärte. China, das seit Jahren ebenfalls aufrüstet und wiederholt eine Invasion der autonom regierten Insel Taiwan angedeutet hat, sehen viele Staaten in Asien als potenziellen Aggressor. Mit Japan und diversen südostasiatischen Staaten bestehen Territorialkonflikte.
Auch in Indien, wo die Beziehungen zum autoritär regierten Peking verhalten sind, ist man ob der chinesischen Expansion alarmiert. Akut sorgt ein mit chinesischen Krediten erbauter Hafen im Nachbarland Sri Lanka für Sorgen – der durch Zahlungsschwierigkeiten auf Empfängerseite nun in chinesischer Hand liegt. Als im August dann ein chinesisches Schiff, das zur Verfolgung von Satelliten- und Interkontinentalraketen dient, in Sri Lanka anlegte, fühlten sich diejenigen in Indien, die Pekings friedliche Absichten anzweifeln, bestätigt.
So liegt eine intensivierte Allianz zwischen Japan und Indien – zwei demokratische Staaten, die Chinas steigende Ansprüche zurückdrängen wollen – auf der Hand. Für Kishida, der bei seinem Besuch in Neu-Delhi zudem niedrigverzinste Kredite für Bauprojekte in Milliardenhöhe anbot, ist sie aber kein Selbstläufer. Während Japan die westlichen Sanktionen gegenüber Russland weitgehend mitträgt, hält sich Indien zurück. Das Land hängt in großem Ausmaß von russischen Rohstoffen und Militärlieferungen ab. Dennoch: Tokio und Neu-Delhi wollen an einem Strang ziehen, heißt es.
Japan: Annäherung an Südkorea
Auch zu anderen großen demokratischen Volkswirtschaften sucht Kishida diese Tage Nähe. So war am vergangenen Wochenende Deutschlands Kanzler Olaf Scholz mit sechs Regierungsmitgliedern in Tokio. Man gelobte, nicht nur in Sachen Lieferkettenresilienz und strategischer Güter wie Seltener Erden und Mikrochips enger zu kooperieren, sondern auch militärisch zusammenzurücken. Nachdem Japan im Januar schon mit Indien Militärübungen durchführte, könnten 2024 auch solche mit Deutschland folgen.
Nach dem Besuch in Delhi am Montag reiste Fumio tags drauf auch spontan nach Kiew, um sich mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auszutauschen. Es markiert den ersten Besuch des japanischen Regierungsoberhaupts in der Ukraine seit Beginn der Invasion durch Russland im vergangenen Jahr. Bisher war Japan das einzige Mitglied der G7, das dem osteuropäischen Land bisher keinen Solidaritätsbesuch abgestattet hatte.
Jedoch offenbart sich die gesteigerte Nervosität in Japan durch kein Gipfeltreffen so deutlich wie jenes mit Yoon Suk-yeol, dem Präsidenten von Südkorea. Die zwei Staaten verbindet eine Hassliebe: Popkulturell und touristisch ist der Austausch enorm. Aber die Kriegsvergangenheit – Japan kolonisierte die koreanische Halbinsel ab 1910 und missbrauchte Hunderttausende Menschen dort als Sexsklavinnen und Zwangsarbeiter – ist weiter präsent.
Seit 2018, als Japan Entschädigungsforderungen eines koreanischen Gerichts nicht anerkennen wollte, sind die Beziehungen besonders schlecht gewesen: Zu Handelssanktionen kam die Aussetzung sicherheitspolitischer Zusammenarbeit. Nun aber, inmitten geopolitischer Spannungen, die auch die wiederholten Raketentests des mit China befreundeten Nordkorea einschließt, bewegen sich die beiden Staaten aufeinander zu. Vergangene Woche erklärten Yoon und Kishida in Tokio, sie wollten nach vorne blicken.

Handels- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit sollen aufblühen, heißt es. Der japanische Politologe Hideki Okuzono hebt die Bedeutung der jüngsten Entwicklungen hervor: „Schon der Fakt, dass Präsident Yoon Japan besucht hat und sich die zwei Länder bilateral getroffen haben anstatt am Rande eines internationalen Forums, sollte als mögliche Wende gesehen werden.“
Ein Fonds aus freiwilligen Zuwendungen soll Entschädigungen südkoreanischer Überlebender ermöglichen – was in Südkorea aber kontrovers ist, da es kaum wie ein Schuldeingeständnis Japans aussieht. „Yoon scheint hier viel politisches Kapital einzusetzen“, sagte Park Won-gon, Politikprofessor von der Ewha Woman’s University in Seoul gegenüber der Nachrichtenagentur Yonhap. Der internationale Druck sei eben groß.
Wer führt in Asien?
Denn auch die USA, die mit den beiden demokratisch regierten Staaten eng verbündet sind und auf den jeweiligen Territorien große Militärbasen unterhalten, drängen seit Jahren auf verbesserte Beziehungen zwischen Japan und Südkorea. Der größte Gewinner einer Annäherung – sofern sie nun auch erfolgt – könnte aber Fumio Kishida sein: Als Angehöriger der japanischen Konservativen will er sein Land auch mittel- und langfristig als Hegemon in Asien etablieren, wozu es gegenüber einem bevölkerungsmäßig zehnmal so großen China aber die Kooperation gleichgesinnter Staaten braucht.
Wenn Japan im Mai den G7-Gipfel in Hiroshima veranstaltet, begrüßt Gastgeber Fumio Kishida daher nicht nur die regulären Mitglieder USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien und Kanada. Als besondere Gäste hat der japanische Premier neben Australien, das sich ebenfalls im Zwist mit China befindet, unter anderem auch Südkorea und Indien eingeladen.