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Die Macht der Sekten in Japan

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Von: Felix Lill

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Nach dem Anschlag auf Shinzo Abe entlässt sein Nachfolger Regierungsmitglieder mit Kontakt zu religiösen Gruppen.

Tokio – Als Fumio Kishida die Namen seines neuen Kabinetts verlas, war klar: Schon seit Wochen herrscht in Tokio Nervosität. Inmitten fallender Zustimmungswerte hat der japanische Premierminister am Mittwoch nicht nur mehrere Führungspositionen seiner konservativen Liberaldemokratischen Partei (LDP) neubesetzt, sondern auch den Großteil der Ministerinnen und Minister seiner Regierung. Im 19-köpfigen Kabinett finden sich nur fünf Personen, die ihre Posten behalten konnten.

Kabinettsumbildungen sind in dem ostasiatischen Land zwar nichts völlig Ungewöhnliches, da auf diese Weise immer wieder frischer Wind auf die politische Führungsetage gebracht werden soll. Aber die Vehemenz der personellen Neuausrichtung erregt dieser Tage viel Aufsehen. Die Tageszeitung Nikkei sprach am Mittwoch von einer Maßnahme, die „Personen, die Kontakt zur Vereinigungskirche zugegeben haben, beseitigen will.“ Auch die führende Nachrichtenagentur Kyodo interpretiert, dass auf diese Weise „Verbindungen zu dubiosen religiösen Unternehmen abgeschnitten werden sollen.“

Nach Attentat auf Shinzo Abe durchlebt Japan eine politische Krise

Seit einem guten Monat durchlebt Japan eine politische Krise. Am 8. Juli war der ehemalige Premierminister Shinzo Abe auf einer Wahlkampfveranstaltung auf offener Straße erschossen worden. Der Mörder des bis dahin noch höchst einflussreichen Politikers hatte eine Verbindung zwischen Abe und einer Sekte festgestellt, deren gängiger Name sich auf Deutsch mit Vereinigungskirche übersetzt. Diese Organisation wiederum hatte die Mutter des Mörders durch hohe Spendenaufforderungen finanziell ruiniert.

Seit der Fall bekannt wurde, diskutiert Japan über den Einfluss mitunter dubioser Organisationen auf Politik und Gesellschaft. In der japanischen Regierung gestanden bald mehrere Politiker:innen, Verbindungen zur Vereinigungskirche zu haben. Diese gründete sich in der Nachkriegszeit in Südkorea, kam bald auch in konservativen Kreisen Japans gut an, weil man die Abneigung gegenüber dem Kommunismus und linken Strömungen teilte.

Die Vereinigungskirche, die mit Ängsten von Menschen spielte und für Erlösung Spenden von ihren Mitgliedern verlangte, hatte über die vergangenen Jahrzehnte wiederholt Probleme mit der Justiz. Dennoch wurde sie zu einer wichtigen Stütze der in Japan politisch übermächtigen Partei LDP. So haben mehrere Politiker:innen etwa von der Kirche profitiert, indem sie Spenden erhielten oder ihnen im Wahlkampf zahlreiche freiwillige Helfer bereitgestellt wurden. Neben der LDP betrifft dies allerdings auch Politiker:innen anderer Parteien.

Die meisten Menschen in Japan bezeichnen sich in Umfragen als nicht religiös. Shinto-Schreine werden trotzdem gerne besucht.
Die meisten Menschen in Japan bezeichnen sich in Umfragen als nicht religiös. Shinto-Schreine werden trotzdem gerne besucht. © Behrouz Mehri/afp

Einfluss dubioser Organisationen in Japan ist länger bekannt

Levi McLaughlin, Professor für Religionswissenschaften an der US-amerikanischen North Carolina State University und Experte zu neoreligiösen Bewegungen in Japan, sagte nach der Ermordung Shinzo Abes gegenüber japanischen Medien, dass der Kontakt der Vereinigungskirche mit gewählten Politikern keine Überraschung sein dürfte. Diese sei „eine von vielen, vielen Gruppen, mit denen sie in Kontakt gewesen sind.“

Generell ist der Einfluss teils dubioser religiöser Organisationen auf Politik und Gesellschaft eigentlich nichts Neues im Land. Der Großteil der japanischen Gesellschaft ist zwar kaum religiös, was in Umfragen auch immer wieder bestätigt wird. Religiöse Organisationen aber haben es vermehrt geschafft, durch teils horrende Spenden treuer Mitglieder und geschickte Strategien gesellschaftlichen und auch politischen Einfluss im Land auszuüben.

Neben der nun schwer in Verruf geratenen Vereinigungskirche zählt etwa das in den 30er gegründete synkretistische „Seicho-no-ie“ (auf Deutsch: Haus des Wachstums) zu den bekannteren Bewegungen und gilt als unter Nationalisten gut vernetzte Institution. Eine ebenfalls große und einflussreiche Institution ist Tenrikyo, die eine neue Version der Urreligion Shinto vertritt. Die moderne Sekte führt eine Universität und Radiostationen, erwartet von ihren Mitgliedern Missionarstätigkeit.

Partei Komeito in Japan setzt sich für „buddistische Demokratie“ ein

Hinzu kommt die 80er Jahren gegründete Mischreligion „Koufuku no kagaku“, auf Deutsch: Glückwissenschaft, zu den bekannteren Institutionen mit Millionen Mitgliedern. Mit der Koufukujitsugentou hat sie auch eine Partei gegründet, die etwa die Remilitarisierung Japans fordert. „Koufuku no kagaku“ fällt zudem durch ihre popkulturelle Aktivität in Anime und Manga auf. In mehreren Werken hat die Sekte ihre religiösen Ideen auch jenseits ihrer Mitglieder verbreitet.

Das prominenteste Beispiel religiöser Einflussnahme auf die Politik in Japan ist die buddhistische Organisation „Soka Gakkai“, die in den 60er Jahren die Partei Komeito gründete, die sich für eine „buddhistische Demokratie“ einsetzt und heute Juniorpartnerin in der Regierungskoalition ist. Diverse Unterstützung und Wahlstimmen speisen sich vor allem aus einem Pool von mehreren Millionen Mitgliedern, die regelmäßig Spenden zahlen. Von vielen Seiten wird Soka Gakkai als Sekte bezeichnet. Für illegale Aktivitäten im Ausmaß der Vereinigungskirche ist Soka Gakkai zwar nicht bekannt.

Trotz ihres in Japan durchaus anschlussfähigen Pazifismus ist der Ruf der Organisation allerdings kaum positiv, wie auch Hans Martin Krämer bestätigt, Professor für Japanologie und Religionsexperte an der Universität Heidelberg. In Japan bezeichnen viele Menschen die Organisation als autoritär und dominant gegenüber ihren Mitgliedern. Zudem besteht die Frage, ob in Gestalt der mit ihr verbundenen Partei Komeito nicht die Verfassung gebrochen wird. Die gibt nämlich die Trennung von Staat und Kirche vor. Mit der Kabinettsumbildung wird der nun viel kritisierte Einfluss religiöser Gruppen auch in der größeren Regierungspartei, der LDP, kaum schwinden.

Zeitung „Asahi Shimbun“ in Japan: Krise ist nicht vorbei

Nach einer Recherche der linksliberalen Tageszeitung „Asahi Shimbun“ hat Premier Kishida die Zahl von Minister:innen, die Verbindungen zur Vereinigungskirche haben, von zuvor acht auf nun drei reduziert. Demnach hat Katsunobu Kato, der wie schon in voriger Zeit künftig als Gesundheitsminister amtiert, im vergangenen Jahrzehnt 30 000 Yen an die Vereinigungskirche gespendet (das sind rund 217 Euro).

Der neue Innenminister Minoru Terada hat demzufolge im Jah 2018 eine Summe von 20 000 Yen gespendet. Daishiro Yamagiwa, der Minister für ökonomische Revitalisierung bleiben darf, habe eine ähnliche Zahlung im Jahr 2013 gemacht. „Asahi Shimbun“ prophezeit, daher dass die Krise auch mit der Kabinettsumbildung nicht beendet ist: „Sie werden vermutlich gebeten werden, diese Verbindungen inmitten des großen öffentlichen Interesses zu erklären.“ (Felix Lill)

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