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Jahrhundert-Prozess im Vatikan

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Von: Dominik Straub

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Angelo Becciu ist wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs angeklagt.
Angelo Becciu ist wegen Veruntreuung und Amtsmissbrauchs angeklagt. © dpa

Wegen eines Finanzskandals um eine Luxusimmobilie steht der ehemalige Kurienkardinal Becciu vor Gericht.

Es ist eine illustre Gesellschaft, die heute auf der Anklagebank des vatikanischen Tribunals Platz nehmen soll: Der 73-jährige Hauptangeklagte Angelo Becciu war einst die Nummer Zwei im mächtigen vatikanischen Staatssekretariat und ist der erste Kardinal überhaupt, dem im Kirchenstaat der Prozess gemacht wird. Neben ihm sind Geistliche, Banker, Broker, Finanzjongleure und der Schweizer Anti-Geldwäsche-Spezialist René Brülhart angeklagt. Und es wird ein Wiedersehen Beccius mit seiner angeblichen früheren Geliebten, der selbsternannten Geheimdienst-Expertin Cecilia Marogna geben, der einzigen weiblichen Beschuldigten.

Beim Prozess geht es um den Kauf einer Luxus-Immobilie im Londoner Nobel-Stadtteil Chelsea, der unter Becciu vom Staatssekretariat eingefädelt wurde und bei dem der Vatikan sehr viel Geld in den Sand gesetzt hatte. Der genaue Verlust ist bisher nicht bekannt – Schätzungen reichen von 73 bis 166 Millionen Euro. Besonders gravierend: Verwendet wurden auch Spendengelder der Gläubigen aus dem sogenannten Peterspfennig, die eigentlich karitativen Zwecken zugute kommen sollten. Bei dem Deal haben sich einige der Angeklagten mit Provisionen und Boni eine goldene Nase verdient. Cecilia Marogna wiederum soll von Becciu für ihre geheimen Missionen 500 000 Euro erhalten haben, die sie laut Anklage hauptsächlich für ihren aufwendigen Lebensstil verwendete. Die Anklagepunkte lauten auf Geldwäsche, Erpressung, Betrug, Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Urkundenfälschung, wobei die einzelnen Vorwürfe an die Beschuldigten unterschiedlich lauten. Becciu muss sich wegen Veruntreuung, Amtsmissbrauch und Verleitung zur Falschaussage verantworten.

Der Papst entzog ihm alle mit der Kardinalswürde verbundenen Privilegien

Der Prälat aus Sardinien, dem Papst Franziskus alle mit der Kardinalswürde verbundenen Rechte und Privilegien entzogen hat, weist die Anschuldigungen von sich und fühlt sich als Opfer eines Komplotts. Als unschuldig bezeichnet sich auch der Schweizer Brülhart, der jahrelang die vatikanische Finanzaufsichtsbehörde AIF geleitet hatte und vom Amt 2019 zurückgetreten war. Ihm wird Amtsmissbrauch vorgeworfen: Er habe seine Aufsichtspflichten als AIF-Präsident zu wenig sorgfältig wahrgenommen und so die Machenschaften der anderen erst ermöglicht.

Der Prozess findet vor dem vatikanischen Tribunal statt, das von Giuseppe Pignatone geleitet wird. Der Sizilianer war bis zu seiner Pensionierung einer der erfolgreichsten Mafia-Jäger Italiens und im Oktober 2019 von Papst Franziskus zum Chef der vatikanischen Justiz ernannt worden. Schlagzeilen hatte Pignatone gemacht, als er 2015 nach intensiven Ermittlungen die römische „Mafia Capitale“ hatte auffliegen lassen. Jahre zuvor hatte er als Staatsanwalt von Palermo unter anderem den mafiösen Bürgermeister überführt und später den damaligen Superpaten der Cosa Nostra, Bernardo Provenzano, zur Strecke gebracht.

Anwälte sehen ihre Rechte verletzt

Als souveräner Staat verfügt der Vatikan über eine eigene säkulare Justiz. Das letzte aufsehenerregende Verfahren betraf den Kammerdiener von Papst Benedikt XVI., Paolo Gabriele: Dieser hatte vertrauliche Dokumente an die Presse weitergeleitet und war deswegen 2012 wegen Geheimnisverrats verurteilt worden. Benedikt XVI. hatte seinen ungetreuen Diener anschließend begnadigt. Ordentliche Gefängnisstrafen verbüßen Verurteilte in italienischen Gefängnissen: So sieht es das Konkordat zwischen dem Vatikan und dem italienischen Staat vor. Ob es im Fall von Becciu und den anderen neun Angeklagten zu Verurteilungen kommen wird, lässt sich schwer abschätzen. Die Strafprozessordnung des Vatikans stammt noch aus dem Jahr 1913 – in ihr fehlen moderne Garantien für die Angeschuldigten und ihre Verteidiger weitgehend.

Tatsächlich kritisieren die Anwälte schon jetzt, dass im laufenden Verfahren die Rechte der Verteidigung auf schwerwiegende Weise verletzt worden seien. Anwältin Ambra Giovene, Verteidigerin eines der angeklagten Broker, sagt, dass sie bis heute keine Vorladung gesehen habe. Auch Brülhart musste aus der Presse erfahren, dass ihm in Rom der Prozess gemacht werde.

Die Prozessakten umfassen 29 000 Seiten

Die Anwälte bemängeln zudem, dass der Prozess sehr kurzfristig angesetzt worden sei – immerhin umfassen die Akten 29 000 Seiten. „In der kurzen Zeit, die uns zum Studium der Prozessakten zur Verfügung stand, war es unmöglich, eine seriöse Verteidigung zu organisieren“, betont Giovene, die – zusammen mit allen anderen Anwälten – eine Verschiebung des Prozesses beantragt hatte. Der Antrag auf Verschiebung ist von Pignatone freilich abgelehnt worden. Der Weg scheint damit vorgezeichnet: Er dürfte im Fall von Schuldsprüchen erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte enden. „Das Resultat wird sein, dass der Vatikan seine obsolete Strafprozessordnung revidieren muss“, betont Francesco Paolantonia, ein weiterer Anwalt.

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