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Israel wehrt sich mit Generalstreik und Massenprotest

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Von: Maria Sterkl

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Alles strömte am Montag nach Jerusalem.
Alles strömte am Montag nach Jerusalem. © dpa

Seit Ministerpräsident Netanjahu am Sonntag Verteidigungsminister Joav Gallant feuerte, erreichen die Proteste neue Dimensionen.

Benjamin Netanjahu hat sich verschätzt. Als der israelische Ministerpräsident am späten Sonntagabend Verteidigungsminister Joav Gallant feuerte, weil dieser sich für einen Stopp der umstrittenen Justizreform ausgesprochen hatte, hatte er seine Rechnung ohne die Israelis gemacht. Hunderttausende Menschen gingen kurz danach auf die Straße, Tausende harrten die ganze Nacht über durch, blockierten Autobahnen, wärmten sich an Lagerfeuern mitten auf der Fahrbahn.

Sie schrien „Hier ist die Demokratie am Wort!“ und riefen „Israel ist keine Diktatur!“ Am nächsten Morgen schlossen sich ihnen weite Teile der israelischen Öffentlichkeit dem Protest an. Alle Universitäten stellten sich in den Streik, Krankenhäuser und Kliniken wechselten auf Notbetrieb, Rathäuser sperrten zu, sogar der Flughafen Tel Aviv stellte den Betrieb weitgehend ein. Der Verband der Gewerkschaften rief schließlich den Generalstreik aus – zum ersten Mal seit Jahrzehnten. Israels Generalkonsul in New York trat aus Protest zurück – „um mich dem nationalen Kampf um Israels Zukunft anzuschließen“, wie er sagte.

Hochbetrieb herrschte dagegen auf den Bahnlinien Richtung Jerusalem: Alles strömte am Montag in die Stadt, in der sich das Parlament, der Sitz des Ministerpräsidenten und des Staatspräsidenten befinden. Über das Stadtzentrum Jerusalems hinweg war das Pfeifen, Tröten und Trommeln der Demonstrant:innen zu hören. Am Nachmittag traten auch prominente Oppositionspolitiker:innen vor die Massen, die nahe dem Parlamentsgebäude gegen die Regierung demonstrierten.

Proteste in Israel: Netanjahu enthob Gallant seines Amtes

Am Sonntag hatte Verteidigungsminister Gallant verkündet, er könne es nicht mehr verantworten, den Kurs der Regierung mitzutragen. Der Plan von Netanjahus ultrarechten Koalition, die Gewaltenteilung im Staat abzuschaffen, „hat eine Kluft in unserem Land aufgerissen, die eine klare und unmittelbare Bedrohung für Israels nationale Sicherheit darstellt“, warnte Gallant.

Daraufhin enthob Netanjahu den Minister seines Amtes. Der Ministerpräsident schien zu hoffen, mit der Beseitigung einer Gegenstimme in der Regierung auch alle übrige Kritik verstummen lassen zu können. Ein gewaltiger Irrtum, wie sich bald herausstellte. Der geschasste Verteidigungsminister genoss nicht nur den Rückhalt von weiten Teilen der Armee, sondern auch von einigen seiner Parteifreunde – also von den Funktionären jener Partei, deren Chef Netanjahu ist. Einige Abgeordnete der Likud-Partei haben Netanjahu dazu gedrängt, auf Gallants Forderung einzugehen: die Gesetzgebung zur umstrittenen Justizreform für wenigstens einen Monat zu stoppen.

Dem gegenüber standen rechte Hardliner in der Regierung, die mit ihrem Rücktritt drohten, sollte Netanjahu dem Stopp der Gesetzgebung zustimmen. Der Ministerpräsident steckte in der Klemme: Massiver Druck gegen die Justizreform auf der einen Seite, andererseits die Sorge, dass die Koalition platzen könnte.

Hardliner sagten Netanjahu Unterstützung zu

Wenigstens diese Sorge wurde am Montag vorerst beruhigt: Einige Hardliner sagten Netanjahu auch Unterstützung zu, sollte die Justizreform auf Eis gelegt werden. Justizminister Jariv Levin, der kurz davor im Fall eines Stopps der Reform noch mit seinem Rücktritt gedroht hatte, legte am Montag eine dramatische Wende hin: In einem öffentlichen Statement versicherte er Netanjahu den Rückhalt. Sogar der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotritsch sprach sich dann für ein Aussetzen aus, ruderte am Nachmittag aber teils wieder zurück.

Hart blieb die rechtsradikale Partei Otzma Jehudit unter dem Hardliner Itamar Ben Gvir. Der drohte an, aus der Koalition auszuscheiden. An Neuwahlen dürfte Ben Gvir jedoch kein Interesse haben. Umfragen zufolge wäre das Anti-Netanjahu-Lager der klare Sieger, würde morgen gewählt werden. Dem sind sich die fünf Koalitionsparteien bewusst. Sie setzen daher alles daran, die Regierung weiter am Leben zu erhalten.

Jede der Fraktionen steht aber auch selbst unter dem Druck der eigenen Basis. Rechtsextreme, die sich zum Großteil Ben Gvirs Partei zugehörig fühlen, wollen weiter für die Gängelung der Justiz kämpfen. Sie riefen zu einem Großprotest in Jerusalem auf – in nächster Nähe zu den Antiregierungsprotesten. Die Polizei, die unter dem Kommando Ben Gvirs steht, stellte sich auf gewaltsame Ausschreitungen ein.

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