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„Dramatischer Strategiewechsel“: Der Zionismus auf des Messers Schneide

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Von: Maria Sterkl

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Sie hat genug von den rechten Umtrieben. JALAA MAREY/AFP
Sie hat genug von den rechten Umtrieben. JALAA MAREY/AFP © AFP

Die israelische Westbank-Politik totaler Unterdrückung kann langfristig den Staat Israel zerstören. Das stört die religiösen Fanatiker in Jerusalem aber offenbar nicht weiter.

Es ist so ein Satz, der jedes Mal fällt, wenn ein deutsches Regierungsmitglied – Partei egal – Israel besucht: „Deutschland bekennt sich ganz klar zur Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinenser:innen.“ Der Sinn in diesem Bekenntnis schwindet aber rasant. Auch deutschen Politiker:innen ist klar, dass Israel und Palästina von einer solchen Lösung nie weiter entfernt waren als heute. Dennoch hält man daran fest – aus Mangel an Alternativen. Es gibt aus der Sicht des Westens kein anderes Modell, das den Israelis ein Leben in relativer Sicherheit und den Palästinenser:innen ausreichend Selbstbestimmung gewährt.

Fakt ist, dass die Zwei-Staaten-Lösung unter der neuen ultrarechten Regierung von Benjamin Netanjahu aber nicht einmal mehr pro forma auf dem Tisch liegt. Die Koalition mit radikalen Siedlerparteien und Ultraorthodoxen hat sogar schriftlich festgehalten, dass Israel ganz selbstverständlich auch Gebiete jenseits der Waffenstillstandslinie von 1967 für sich beansprucht.

Dass Teile des Westjordanlandes schon heute de facto von Israel annektiert sind, ist keine Erfindung der neuen Regierung, sondern ein Ergebnis jahrzehntelanger Expansion, auch unter Mitte-Links-Regierungen. Ein gigantisches Autobahnnetz und Tunnelsystem, das jüdische Siedlungen mit Jerusalem und Tel Aviv verbindet, aber palästinensische Städte wie Ramallah und Bethlehem voneinander isoliert, sind ein wichtiger Bestandteil davon. Die Regierung Netanjahu will dieses Netz kräftig erweitern.

Israel schielt Richtung Ein-Staaten-Lösung: Razzien auf wöchentlicher Basis

Damit auch allen Beteiligten klar ist, dass Israel die Siedlungen im Westjordanland als sein souveränes Territorium betrachtet, hat die Regierung die zivile Verwaltung dieser Gebiete nun dem Rechtsextremen Bezalel Smotritsch übertragen. Die Armee, die als Besatzungsmacht eigentlich das Kommando haben sollte, redet da nur noch bedingt mit. Ganz so, als sei das gar keine Besatzung – die ihrer Natur nach übrigens immer temporär ist.

Als „dramatischen Strategiewechsel“ bezeichnet dies Ex-Brigadier Udi Dekel, heute Vizedirektor des Instituts für Nationale Sicherheitsstudien (INSS). Die Regierung strebe klar in Richtung einer Ein-Staaten-Lösung – mit jüdischer Vorherrschaft und palästinensischen Enklaven.

Teil dieser Strategie ist, dass die ohnehin schon stark geschwächte Palästinenserbehörde immer weiter destabilisiert wird. Razzien mitten am Tag im Zentrum von Nablus finden nun mehrmals wöchentlich statt, die Bevölkerung bekommt an manchen Tagen mehr israelisches Militär zu sehen als palästinensische Polizei. Dazu kommt, dass Israel gegen die Palästinenserbehörde Sanktionen verhängt hat, seit Ramallah auf internationaler Ebene juristisch gegen Israel vorgeht.

Schon seit längerem behält Israel Zollgebühren ein, die eigentlich den palästinensischen Kommunen zustehen. Man begründet das damit, dass die Palästinenserbehörde die Angehörigen inhaftierter und getöteter Terrorist:innen finanziell unterstützt.

Ultrarechte Fantasien in Israel: Palästinenserbehörde gehört „endgültig zerschlagen“

Während Netanjahus Likud-Partei in Sachen Westbank keine klare Agenda verfolgt, treiben die zwei rechtsextremen Parteien die Fünfer-Koalition mit ihrer klar ausformulierten Strategie vor sich her. Im Ergebnis sind es die „Religiösen Zionisten“ unter Smotritsch, die der israelischen Palästinenserpolitik den Stempel aufdrücken. Ihre Vision: Alle jüdischen Siedlungen im Westjordanland sollen direkt der israelischen Regierung unterstellt werden. Die Palästinenserbehörde soll zerstört, der palästinensische Terror gegen Israel „endgültig zerschlagen“ werden.

Als „absolut illusorisch“ bezeichnet diesen Plan der frühere Generalstabschef und heutige konservative Knessetabgeordnete Gadi Eisenkot. Da es – auch von linker Seite – keine klare Gegenstrategie gibt, steuert die Region längerfristig auf dieses Ein-Staaten-Modell hinaus. „Das wäre die Niederlage des zionistischen Traums“, sagt Eisenkot.

Wer verstehen will, wie sich ein solches Modell in der Praxis auswirken würde, muss nur nach Jerusalem blicken: Palästinenser:innen in Ostjerusalem sind ohne politische Repräsentation, ohne ökonomische Absicherung und müssen fürchten, aus ihren Häusern vertrieben zu werden. Jüd:innen in Ostjerusalem wiederum leben mit der ständigen Angst vor Messer- oder Schussattacken. Die israelische Bevölkerung weiß sehr wohl darum: 60 Prozent haben in einer Umfrage des INSS im November 2021 sogar erklärt, dass Israel dringend Schritte ergreifen sollte, um sich territorial von Palästina zu trennen. Die Politik steuert in die Gegenrichtung. (Maria Sterkl)

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