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Israel: Jerusalem in Feiertagsangst

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Von: Maria Sterkl

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Gläubige Muslime beten am Ramadan vor der Al-Aksa-Moschee
Gläubige Muslime beten am Ramadan vor der Al-Aksa-Moschee © AFP

Die aktuelle Terrorwelle hat die Stadt bisher verschont. Doch weil an diesem Wochenende Pessach, Ramadan und Ostern zusammenfallen, ist das Polizeiaufgebot enorm.

Drei Männer mit grimmigem Blick und Bürstenhaarschnitt stehen breitbeinig Schulter an Schulter vor einer großen Mülltonne, als wäre diese ein Fußballtor, und sie selbst wären Verteidiger kurz vorm Elfmeter. Die Hände halten sie an der Hüfte – dort, wo die Waffe sitzt. Sie tragen Jeans und T-Shirts in knalligen Farben, aber ihre Mimik ist dienstlich. Nichts lenkt sie ab, ihr Fokus gilt allein dem Eingang zum beliebten Machane Jehuda-Markt in Jerusalem. Dort ist am Mittwoch Hochbetrieb, Familien decken sich vor den Feiertagen mit Vorräten ein. Die drei Männer beobachten den Markt mit Abstand – jederzeit bereit, einen Attentäter außer Gefecht zu setzen.

Überall in Jerusalem ist an diesem Wochenende Polizei stationiert. Israel steckt mitten in einer Terrorwelle, bei vier Attentaten kamen in nur 15 Tagen 14 Israelis ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt. Jerusalem, die dauernervöse Konfliktmetropole, blieb bislang wundersamerweise verschont. Zwar gab es auch hier immer wieder Attentatversuche, doch wurden sie vereitelt. An diesem Wochenende, so befürchten Sicherheitskreise, könnte sich das Blatt wenden. Juden und Jüdinnen feiern Pessach, Christ:innen feiern Ostern, die Muslime begehen den Fastenmonat Ramadan – und anders als in den meisten Jahren findet alles gleichzeitig statt. Jede der drei Schriftreligionen betrachtet Jerusalem als wichtiges, wenn nicht wichtigstes religiöses Zentrum.

Terrorwelle in Israel: Auf den ersten Blick erinnert vieles an 2021

Gläubige pilgern in Massen in die Stadt. Klagemauer, Al-Aksa-Moschee und der Kreuzweg Jesu liegen in Fußweite voneinander, die Gassen der Altstadt sind eng und verwinkelt. Da reicht ein einzelner Mensch mit Aggressionsüberschuss, aufgestachelt durch Hetzpostings, die man besonders in diesen Tagen nicht lange suchen muss.

Auf den ersten Blick erinnert vieles ans vergangene Jahr. Im Frühling 2021 war Jerusalem der Ausgangspunkt und das Zentrum der wochenlangen blutigen Auseinandersetzungen, angestachelt durch die Terrorgruppen der Hamas und auf jüdischer Seite angeheizt von rechtsextremen Gruppierungen. Aber dieses Jahr ist manches anders. Zumindest bis jetzt.

An der Spitze der israelischen Regierung steht nun nicht mehr Benjamin Netanjahu, sondern Naftali Bennett. Der Rechtspolitiker ist ein ideologischer Hardliner und eher nicht geneigt, den Palästinenser:innen Zugeständnisse zu machen. Er befindet sich aber auch in einer Koalition mit einer islamistischen Partei, mit der sozialistischen Arbeiterpartei und mit der Linkspartei Meretz, und seine Acht-Parteien-Regierung steht auf äußerst dünnem Eis. Nun gilt es, keine neuen Fronten aufzuschlagen. Das gilt ganz besonders für Jerusalem.

Anders als unter Netanjahu üblich wurden nach den vier jüngsten Attentaten die Einreisebestimmungen für muslimische Pilger:innen nicht verschärft. Lediglich die Stadt Dschenin, aus der ein Teil der Attentäter kam, wurde abgeriegelt. Die Sicherheitsspitze Israels weiß zwar, dass sich unter die vielen Palästinenser:innen, die nur zum Beten und Feiern nach Jerusalem pilgern, auch ein Attentäter mischen könnte.

Terrorwelle in Israel: Sicherheitskräfte suchen Verbündete der Attentäter

Man scheint aber aus dem vergangenen Jahr gelernt zu haben, dass eine Einschränkung der Ramadan-Praxis nur den Terrorgruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad in die Hände spielen würde. Noch ist vieles unklar, was die ersten vier Attentate betrifft. Die Terroristen kommen aus unterschiedlichen Kreisen, unter ihnen waren israelische Araber und Palästinenser, manche schienen gut vernetzt, andere eher Nachahmungstäter zu sein. Manche werden dem Islamischen Staat zugerechnet, andere wiederum palästinensischen Bewegungen. „Ich glaube nicht an die Einzeltäter-Theorie“, sagt Kobi Michael, Experte für israelisch-palästinensische Konfliktstudien und Forscher am Institut für Nationale Sicherheitsstudien in Tel Aviv.

Michael hält es auch für unwahrscheinlich, dass der Islamische Staat tatsächlich eine Rolle spielte bei den Anschlägen. Vielmehr stecke wieder einmal einer der Erzfeinde Israels hinter der jüngsten Terrorwelle: die Hamas. Unterstützt, ausgebildet und finanziert vom Iran, würde die Hamas seit dem vergangenen Jahr auch verstärkt in die Radikalisierung israelischer Araber investieren, meint der Experte.

Die israelischen Sicherheitskräfte konzentrieren sich nun darauf, mögliche Verbündete der getöteten Attentäter zu finden und festzunehmen. Täglich rücken Sondereinheiten in Städte im nördlichen Westjordanland vor, nehmen Verdächtige fest, immer wieder gibt es Schusswechsel, bei denen auch völlig unbeteiligte Palästinenser:innen ums Leben kommen. Ihr Tod trifft die Angehörigen schwer. In sozialen Medien dienen die Fotos der Gesichter als Material für neue Propaganda – mit potenziell mörderischen Konsequenzen.

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