Israel: Diplomatie als Spielball im Ringen um mehr Geld

Minister Ben-Gvir nutzt Besuch auf dem Tempelberg als Druckmittel. Benjamin Netanjahu hingegen muss die Wogen glätten.
Es gehört eher nicht zum üblichen Repertoire eines Politikers, während laufender Budgetverhandlungen heilige Stätten zu besuchen, um die eigenen Erfolgschancen im Tauziehen um mehr Milliarden zu erhöhen. Itamar Ben-Gvir, Israels Minister für Nationale Sicherheit, tat am Sonntag genau das. Begleitet von Leibwächtern, Polizei und Presse begab er sich auf den Tempelberg, der von Muslimen Al-Haram Al-Sharif genannt wird und neben dem Felsendom auch die Al-Aksa-Moschee beherbergt, das drittwichtigste Heiligtum im Islam. Juden verehren den Ort als frühere Stätte des Tempels, halten ihre Gebete aber vor der nahen Klagemauer ab, da eine Übereinkunft mit Jordanien Nichtmuslimen das Gebet auf dem Areal rund um die Al-Aksa-Moschee untersagt.
Nichtmuslimische Politiker:innen in Israel meiden den Ort für gewöhnlich, einerseits aus Respekt vor den Muslimen, vor allem aber wegen seiner politischen Sprengkraft. Solcherlei Überlegungen sind Ben-Gvir fremd. „Einmal mehr zeigen wir, wer die Hausherren von Jerusalem sind“, sagte der Rechtsextreme vor Kameras. „All die Drohungen von Hamas werden ihnen nicht helfen. Wir sind die Besitzer von Jerusalem und des ganzen Eretz Israel“, erklärte Ben-Gvir und schloss in seinen deklarierten Besitzanspruch somit auch das besetzte Westjordanland mit ein.
Israel: Ben-Gvir droht damit, die Koalition platzen zu lassen
Als Ben-Gvir dann begann, rhetorisch abzuschweifen und plötzlich über Galiläa und die Negev-Wüste zu sprechen, wurde klar, worum es ihm bei dem Besuch wirklich ging: um Geld. Der Sonntag war der erste Tag einer erbitterten Verhandlungswoche, in der es um die Aufteilung des aktuellen Haushaltsplans geht. Ben-Gvirs Partei hält unter anderem das Ministerium für Weiterentwicklung im Negev und in Galiläa, und sie klagt darüber, in den Verhandlungen bisher übergangen worden zu sein. Dabei geht es auch um einen Wettkampf der Egos zweier rechtsextremer Politiker: Das Finanzministerium wird von Bezalel Smotritsch geführt, mit dessen Partei Religiöse Zionisten Ben-Gvir vor der Wahl im November ein rechtsextremes Wahlbündnis eingegangen war.
Dass Smotritsch in den Budgetverhandlungen seine Macht als Hüter der Staatskasse spielen lässt, ist für Ben-Gvir nur schwer zu ertragen. Er droht damit, die Koalition platzen zu lassen. Diese Drohung wirkt mittlerweile aber einigermaßen abgenutzt und angesichts jüngster Umfragen auch nicht mehr gar so effektiv: Im Falle von Neuwahlen wäre Ben-Gvirs Partei wohl nicht mehr an der Macht, da das Anti-Netanjahu-Lager die Mehrheit hätte. Dann hätte Ben-Gvir nicht mehr nur um ein paar Millionen Schekel mehr oder weniger zu kämpfen, sondern gleich um einen Wiedereinzug in die Regierung. Es bleibt also nur eines: Machtdemonstration durch internationale Provokation – in Form eines medial breit platzierten Morgenspaziergangs auf dem Tempelberg.
Die Reaktionen aus dem Ausland folgten prompt und fielen teils scharf aus. Ein Sprecher des US-Außenministeriums ließ Jerusalem wissen, dass man das Verhalten Ben Gvirs ganz und gar nicht gutheiße. Sein „provokanter Besuch“ und „die ihn begleitende aufheizende Rhetorik“ seien „zutiefst besorgniserregend“, erklärte der Sprecher. „Dieser heilige Ort sollte nicht für politische Zwecke gebraucht werden. Wir rufen alle Seiten auf, seine Heiligkeit zu achten.“
Israel: Jordanien verurteilt Besuch auf dem Tempelberg
Auch aus dem Königreich Jordanien kam eine harsche Verurteilung. Ben-Gvirs Auftritt auf dem Tempelberg sei „eine gefährliche Eskalation, die in krassem Widerspruch mit dem Völkerrecht und dem Status Quo in Jerusalem und in den Heiligen Stätten steht“, erklärte das jordanische Außenministerium in einem Schreiben, in dem es auch das Ausland aufrief, nicht schweigend zuzusehen. „Die internationale Gemeinschaft sollte aktiv werden, um diese Tendenzen sofort zu stoppen“. Mahnende Reaktionen kamen auch aus Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Adressiert sind diese Reaktionen an Regierungschef Benjamin Netanjahu. An ihm liegt es nun, Ben-Gvir Einhalt zu gebieten, um eine mögliche militärische Eskalation zu unterbinden: Als Israels damaliger Oppositionschef Ariel Scharon im Jahr 2000 seinen Fuß auf den Tempelberg setzte, trug dies zur Auslösung der brutalen zweiten Intifada bei, die auch Al-Aksa-Intifada genannt wird. Wenn Ben-Gvir nun zum zweiten Mal seit Regierungsantritt den Tempelberg besucht, weiß er, dass es letztlich Netanjahu ist, der dann die diplomatischen Wogen glätten muss. Es ist seine eigene Art von Druckmittel, um mehr Geld für seine Ministerien herauszuholen.
Dass das alles vor dem Hintergrund des „Jerusalem-Tages“ stattfand, zu dem am Donnerstag bei der alljährlichen Flaggenparade Tausende nationalistisch gesinnte jüdische Israelis durch Ostjerusalem marschierten, kam Ben-Gvir gelegen. Er konnte so gleich zwei Mal medial seine Botschaft platzieren: Einmal vor dem Damaskustor im Kontext einer johlenden Masse, die auch rassistische Hetzslogans gegen Araber rief, und einmal in einem ausgeruhten, kontrollierten Setting auf dem Tempelberg, das in seiner Botschaft aber nicht weniger provozierend wirkte.