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Die nächste Eskalation im Westjordanland

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Von: Maria Sterkl

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Zerstörte Häuser, Tote, Verletzte – das ist die Bilanz einer israelischen Anti-Terror-Operation vom Mittwoch in Nablus. Jaafar/AFP
Zerstörte Häuser, Tote, Verletzte – das ist die Bilanz einer israelischen Anti-Terror-Operation vom Mittwoch in Nablus. © Jaafar/AFP

Nach einem tödlichem Einsatz der israelischen Armee in Nablus werden vermehrt Anschläge befürchtet. Zudem wird ein radikaler Siedler „Gouverneur“ im Westjordanland.

Nablus - Tausende Menschen gingen am Freitag in mehreren Städten im Westjordanland auf die Straße, um ihren Zorn über den Tod von elf Palästinenser:innen bei einem Armeeeinsatz am Mittwoch zum Ausdruck zu bringen. Bei einem vierstündigen Anti-Terror-Einsatz der israelischen Armee in Nablus, der in einen Schusswechsel mit den Terroristen mündete, wurden laut palästinensischen Angaben auch mehrere unbeteiligte Zivilist:innen getötet. Mehr als hundert Menschen wurden teils schwer verletzt.

Damit steigt die Zahl der Menschen, die von israelischen Streitkräften getötet wurden, auf über 60 seit Anfang Januar. Im selben Zeitraum häuften sich Attentate palästinensischer Terrorist:innen. Zehn Israelis und ein Ukrainer wurden dabei getötet, darunter auch zwei Kinder.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte, die EU „bedauert den Tod von Zivilisten“, Gewalt dürfe „nur als letztes Mittel“ eingesetzt werden.

Vorsichtige Kritik in Israel

Vorsichtige Kritik kommt auch von einem prominenten Militäranalysten in Israel. Amos Yadlin, Ex-Direktor des israelischen Instituts für Sicherheitsstudien, sagte am Donnerstag gegenüber der Nachrichtenseite „ynet“: „Gestern wurde eine Menge Blut vergossen. Wir müssen prüfen, ob das Vorgehen in Nablus gerechtfertigt war, ob es tatsächlich nötig war, um eine tickende Bombe zu entschärfen. Sollte das nicht der Fall sein, dann sind wir hier vielleicht zu weit gegangen“. Pflegekräfte eines Krankenhauses in Nablus berichten von einer Häufung von Schussverletzungen im Kopf- und Brustbereich.

Die israelische Armee hingegen erklärte gegenüber Medien, dass der Einsatz notwendig war, um drei Terroristen festzusetzen. Die Männer sollen mehrere Attentate begangen und weitere geplant haben. Man habe das Feuer erst eröffnet, als zwei der gesuchten Terroristen begannen, auf die Streitkräfte zu schießen, heißt es.

Ein Sprecher der Hamas verkündete am Donnerstag, das „Massaker von Nablus“ werde „seinen Preis haben“. Die Terrorgruppen im Gazastreifen hatten bereits in der Nacht auf Donnerstag sechs Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert. Israel reagierte mit Vergeltungsschlägen auf militärische Ziele im Gazastreifen.

Vermehrt Attentate auf Zivilpersonen befürchtet

Dass es nun vermehrt zu Raketenangriffen oder sogar zu einem neuen Gazakrieg kommen könnte, gilt als eher unwahrscheinlich. Sicherheitskreise erwarten dafür einen Anstieg terroristischer Angriffe auf israelische Ziele im Westjordanland, auch Attentate auf Zivilist:innen in Israel sind zu befürchten. Die Hamas verfolgt derzeit die Strategie, den Gazastreifen aus einer Eskalation so weit wie möglich herauszuhalten, um die eigene militärische Infrastruktur nicht zu gefährden.

Man setzt auf kleinteilige Gewalt, die bei Israelis zu mehr Blutvergießen führt – in der Folge aber auch bei Palästinenser:innen.

Israels Verteidigungsminister Joav Gallant versicherte dennoch, er werde „den Terrorismus auslöschen“. Das ist wohl vor allem eine rhetorische Beruhigungspille für all jene, die in Israels neuesten Umstrukturierungen im Verteidigungsapparat eine Sicherheitsbedrohung sehen.

Finanzminister Bezalel Smotritsch (vorne) hat nun im Westjordanland Befehlsgewalt. Aber wie viel?
Finanzminister Bezalel Smotrich (vorne) hat nun im Westjordanland Befehlsgewalt. Aber wie viel? © AFP

Am Donnerstag wurden wichtige Aufgaben des Militärs an den rechtsextremen Finanzminister Bezalel Smotrich übertragen. Smotrich hatte in den Koalitionsverhandlungen das Amt des Verteidigungsministers verlangt, wurde dann aber mit dem Finanzministerium und dem neuen Amt des „zweiten Ministers im Verteidigungsministerium“ getröstet. Er wird damit zu einer Art Gouverneur im Westjordanland.

Wer hat aber nun das Sagen in den besetzten Gebieten – das Militär oder Smotrich? Die Antwort lautet: beide. In Zeiten der Eskalation kann ein solches Kompetenzwirrwarr schnell zum Sicherheitsrisiko werden. Die im Westjordanland lebenden Palästinenser:innen werden die Neuordnung aber als allererste zu spüren bekommen: Es ist nun der radikale Siedler Smotrich, der über Enteignungen von Palästinenser:innen entscheiden darf – zugunsten der sich weiter ausbreitenden Siedlungen. (Maria Sterkl)

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