Iranischer Exilsender flieht aus London
Ein iranischer Exilsender in London verlässt wegen beständiger Terrordrohungen durch Teheran das Land - und geht in die USA.
Alarmstufe Rot für iranische Exilanten in Großbritannien: Fortgesetzte Terrordrohungen des iranischen Regimes gegen den TV-Sender Iran International und eine Reihe seiner Angestellten haben das Unternehmen jetzt dazu gezwungen, seinen Sitz aus London nach Washington zu verlegen. Die Entscheidung ging auf Beratungen mit der Antiterror-Abteilung von Scotland Yard zurück. Es handele sich um „einen Angriff auf die Werte von Souveränität und Redefreiheit“, beklagte Sendedirektor Mahmood Enayat.
Das im Iran via Satellit und Internet abrufbare Programm hatte 2017 von London aus den Betrieb aufgenommen. Zuletzt arbeiteten im Hauptquartier im West-Londoner Stadtteil Gunnersbury rund 100 Menschen. Iran International wird vor allem mit saudischem Geld finanziert – Teil der Dauer-Rivalität zwischen dem überwiegend schiitischen Iran und dem überwiegend sunnitischen Saudi-Arabien.
Den Machthabern in Teheran ist der TV-Sender ein Dorn im Auge, weil er über Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, Homosexuelle und Angehörige ethnischer Minderheiten im Iran berichtet und von den Bürgern dort als Quelle unabhängiger Berichterstattung geschätzt wird. Im November hatte der iranische Geheimdienst-Minister Esmaeil Khatib das Unternehmen als „terroristische Organisation“ bezeichnet und Strafmaßnahmen gegen dessen Mitarbeiter angekündigt.
„15 Vorhaben vereitelt“
Seither steht das Bürogebäude im sogenannten Chiswick Business Park (CBP) unter verstärktem Objektschutz. Den Beamt:innen fiel vorvergangenes Wochenende ein junger Mann mit medizinischer Gesichtsmaske und Baseball-Kappe auf, der Fotos und Videos vom Gebäude machte. Nach seiner Festnahme stellte sich der Verdächtige als 30-Jähriger Österreicher tschetschenischer Abstammung heraus. Er war der „Sunday Times“ zufolge am selben Morgen von Wien nach London-Gatwick geflogen und konnte kein Rückflugticket vorweisen. Nach einer Haftprüfung ordnete der zuständige Richter Untersuchungshaft an.
Nachdem der Sender am Wochenende den Umzug in die USA bekanntgegeben hatte, wandte sich der verantwortliche Antiterrorchef der Londoner Polizei an die Öffentlichkeit. In Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten habe seine Behörde „seit Anfang 2022 15 Vorhaben vereitelt, bei denen vermeintliche Feinde des iranischen Regimes entführt oder sogar getötet werden sollten“, berichtete Matt Jukes. Man habe sich die Entscheidung, dem Unternehmen die Einstellung seiner Geschäftstätigkeit in Großbritannien zu empfehlen, nicht leichtgemacht.
In iranischen Exilantenkreisen war bekannt, dass außer Iran International zehn namentlich genannte Journalist:innen unter Polizeischutz standen. Nicht alle gehören zum Team des Senders. Allen Betroffenen werde auch weiterhin „geeignete Beratung und Unterstützung“ zuteil, versicherte Jukes und gab einen Einblick in die Sicherheitslage auf der Insel: Scotland Yard habe in den vergangenen beiden Jahren viermal so viele Drohungen feindlicher Staaten gegen Staatsbürger und Institutionen bearbeiten müssen wie in den Jahren zuvor.
Hunderten iranischer Dissidenten haben Staatsschutzbeamte in den vergangenen Monaten Besuche abgestattet, um sie auf Gefährdungen aufmerksam zu machen. Die Flugblätter mit der Überschrift „Wie Sie Ihre Sicherheit gewährleisten können“ mahnen beispielsweise zur Vorsicht im Straßenverkehr und bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. „Eine Attacke könnte von einem Verkehrsrowdy ausgehen. Oder man wird in der U-Bahn vor einen Zug geschubst“, berichtete der Doku-Filmer Potkin Azarmehr aus einem Gespräch mit Beamten von Scotland Yard.
Seltsame Vorsicht
Die Polizeibehörde hat seit der Fatwa 1989 gegen den britisch-indischen Autor Salman Rushdie Erfahrung mit dem Schutz von Menschen, die vom Mullah-Regime bedroht werden. Innenministerin Suella Braverman bemüht sich seit einiger Zeit darum, die Islamischen Revolutionsgarden IRGC als terroristische Vereinigung einzustufen; dies ist bisher am Widerstand der Diplomaten im Außenministerium gescheitert. Ähnliche Diskussionen gibt es auch in der EU, nachdem im vergangenen Monat das Europa-Parlament diesen Schritt gefordert hatte.