Vergiftungen im Iran: „Es wird versucht, Angst zu verbreiten“

Immer mehr Fälle von Vergiftungen von Schülerinnen im Iran werden bekannt. Exil-Aktivist Reza Rouchi hat eine Vermutung, was dahinterstecken könnte.
Herr Rouchi, welche Symptome haben die von den Attacken betroffenen Schülerinnen im Iran? Worunter leiden sie?
Wir hören, dass in den Klassen ein Rauch bemerkt wurde und man danach nicht wirklich einatmen kann. Der Rauch soll eine orangene Farbe haben. Man weiß aber nicht, was das genau ist. Die Schülerinnen berichten von Kopfschmerzen, Atemnot und Herzrasen.
Wo gab es bisher solche Fälle? Wie reagieren die Schüler:innen und ihre Familien?
Zunächst nur in einigen Mädchenschulen in der Stadt Ghom, einer schiitischen Hochburg, dann in Isfahan und weiter in 50 Mädchenschulen in der Hauptstadt Teheran und jetzt auch in der nordiranischen Stadt Ardebil, wo mehr als 400 Schülerinnen an elf Schulen vergiftet worden sind. Die Vergiftungen von Schulmädchen geschehen nun seit mehr als drei Monaten und haben sich inzwischen auf mindestens vier Provinzen des Landes ausgebreitet. Unter den Schüler:innen und ihren Familien herrscht Angst und Fassungslosigkeit. Sie sind sehr wütend und stehen unter enormem Stress.
Wer hinter den Vergiftungen an Schulen im Iran stecken könnte
Wer, glauben Sie, steht hinter den Vergiftungen?
Alle Indizien deuten darauf hin, dass das iranische Regime hinter diesem organisierten Verbrechen steckt. Das Regime hat zunächst alles geleugnet, mit staatlichen Mitteln jegliche eingehenden Untersuchungen verhindert und hat auch bis heute kein Ergebnis der versprochenen Untersuchungen veröffentlicht. Inzwischen hat das Mullah-Regime – um der öffentlichen Wut sowie der internationalen Verurteilungen und Ermittlungen zu entgehen – in einem kriminellen Akt damit begonnen, Gerüchte zu verbreiten, dass die hauptsächliche iranische Oppositionsbewegung der Volksmudschahedin (MEK) hinter der systematischen Vergiftung von Schülerinnen stecken könnte. Dieses Gerücht wurde konkret von der „Fars News Agency“, der Nachrichtenagentur der Revolutionsgarde verbreitet. Diese Anschuldigungen wurden von den MEK als Verleumdung entschieden dementiert; sie bezeichnen dies als „Lügenpropaganda“ des Regimes.
Wie laufen die Demonstrationen im Land nun weiter? Machen die Vergiftungen den Protestierenden Angst? Wie reagieren sie darauf?
Die Demos gehen in eine neue Phase. Zurzeit finden größere Proteste im Iran nur noch selten statt, aber der Wille ist sehr stark und es gibt ein enormes Durchsetzungsvermögen. Die Art und Weise, wie das Regime versucht, den Volksaufstand für beendet zu erklären, trifft nicht zu und dieser Aufstand wird bis zum Sturz des Regimes andauern. In der Tat wird wohl versucht, mit den Vergiftungen der Schülerinnen Angst und Schrecken zu verbreiten; schließlich waren es junge Mädchen, die sich den Protesten angeschlossen und lautstark „Tod der Diktatur“ gerufen hatten, aber das Regime weiß genau, dass seine Rechnung nicht so aufgeht.
Wie wollen die Menschen vor Ort weitermachen? Was brauchen sie jetzt?
Die Menschen lassen sich nicht einschüchtern, sie versuchen sich gegenseitig zu helfen, aber sie brauchen aus dem Ausland auch Unterstützung: Die internationale Gemeinschaft muss sofort eine Warnung an das Mullah-Regime aussprechen und eine UN-Delegation zur Untersuchung vor Ort muss entsendet werden, um diese Verbrechen aufzuklären.
Interview: Yağmur Ekim Çay