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Unruhen im Iran: „Es zeigen sich allmählich deutliche Risse im Staat“

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Die aus dem Iran stammende Journalistin Gilda Sahebi über die Lage in ihrem Heimatland, wohltuende Solidarität - und eine verpasste Chance für die deutsche Außenpolitik. Ein Interview von Paul Gäbler.

Frau Sahebi, als Sie das letzte Mal, Ende der 1990er Jahre, als 14-Jährige im Iran waren, haben Sie selbst erleben müssen, wie frauen- und menschenfeindlich das Regime ist. Was ist damals passiert?

Ich war auf der Straße unterwegs und habe auch das Kopftuch getragen, hatte es allerdings nach den strengen Kleidervorschriften nicht optimal übers Haar gezogen. Da kam ein uniformierter Mann auf mich zu und hat mich direkt aufs Übelste beleidigt, ich sei eine Schlampe und gehöre ins Gefängnis. Ich war so verwirrt und aufgebracht, dass ich ihn auf Deutsch zurück beleidigt habe – meine Eltern haben mir keine persischen Schimpfwörter beigebracht, was vermutlich meine Rettung war. Meine Tante hat die Situation dann geschlichtet und mich weggezogen. Vermutlich hatte ich viel Glück, das hätte auch anders ablaufen können.

Wenn Europäer:innen das Land besuchen, kommen sie häufig mit gemischten Gefühlen zurück. Auf der einen Seite die ständige Angst vor Verfolgung oder Denunzierung. Auf der anderen Seite, sobald die Rollos heruntergelassen sind, übersprudelnde Lebensfreude mit Musik, Tanz und Alkohol.

Ja, das ist das Besondere am Iran. Nahezu alles findet hinter verschlossenen Türen statt. Eine Cousine von mir, die schwedische Staatsbürgerin ist, wurde vor zehn Jahren verhaftet, weil sie an einer illegalen Party teilgenommen hat. Die hat man dann mit vereinten diplomatischen Kräften wieder herausgeholt, auch weil sie sich einfach ahnungslos gestellt hat. Aber heutzutage würde ich stark abraten, auf diesen Faktor zu setzen. Dafür ist das Regime inzwischen zu gerissen und nimmt dazu Tourist:innen gerne als politische Geiseln, um ein Druckmittel gegenüber dem Westen zu haben.

Diesmal geht der Protest wirklich über das ganze Staatsgebiet und bringt alle Schichten auf die Straße. 

Gilda Sahebi
Iran
Eine Demonstrantin bei einer Protestaktion in Rom. © Andrea Ronchini / Imago Images

Journalistin Gilda Sahebi über die Lage im Iran

Schnell zusammengefasst: Wie ist die aktuelle Lage vor Ort?

Das sind mehrere Dinge: Auf der einen Seite die Sorge um die Inhaftierten – seit Beginn der Proteste wurden rund 20 000 Menschen ins Gefängnis gesteckt, es gab auch schon die ersten Hinrichtungen. Kürzlich kam die Meldung, dass das iranische Regime im gesamten Land das Internet abgestellt hat, mit einer abenteuerlichen Begründung. Wegen des Konkurs, der landesweiten Aufnahmeprüfung für die Unis, wolle man verhindern, dass die Schüler:innen betrügen. Natürlich nur ein Zufall, dass das gleichzeitig mit den Protesten einhergeht. Das bedeutet für uns Exil-Iraner:innen aber eben auch, dass wir sehr viel weniger Informationen bekommen, was sonst noch im Land passiert. Ewig kann das Regime das aber nicht durchziehen, weil sie das Internet auch für ihre eigenen Behörden und für die Wirtschaft brauchen.

Woher beziehen Sie Ihre Informationen? Gibt es noch Korrespondent:innen vor Ort?

Vereinzelt werden westliche Korrespondent:innen ins Land gelassen. In meinem Fall sind das einerseits private Kontakte, manchmal aber auch Quellen, die außerhalb des Iran arbeiten. Insbesondere die englischsprachigen Medien berichten teilweise sehr detailliert und differenziert über die Situation vor Ort, das ist in deutschen Medien leider nicht so. Die Auslandsberichterstattung war in Deutschland ja schon immer ein wenig lückenhaft – erinnern wir uns nur, als das ARD-Magazin Weltspiegel verschoben werden sollte. Aber da bedingen sich Politik und Medien gegenseitig. Wir haben leider sehr wenig deutschsprachige Berichterstattung über die Menschenrechtsverletzungen des Regimes. Die Politik hat sich dem iranischen Regime schon immer angenähert, auch aus wirtschaftlichen Interessen.

Deutschland ist innerhalb der EU der wichtigste Handelspartner des Iran.

Richtig. Wobei ich das aktuell nicht für den Grund halte, warum die Bundesregierung gegenüber dem iranischen Regime so zurückhaltend ist. Trotzdem: Erinnern wir uns an Sigmar Gabriel, der 2016, direkt nachdem das Atomabkommen unterzeichnet wurde, mit einer großen Wirtschaftsdelegation in den Iran geflogen ist. Wo diese positive Sicht auf das Land und vor allem das Regime herkommt, kann ich nicht exakt beantworten. Der Iran liegt in einer Region der Instabilität. Wir haben immer noch ein instabiles Syrien, das dreigeteilt ist. In Afghanistan sind die Taliban nach 20 Jahren Nato-Einsatz zurück. Auch der Irak ist nicht gefestigt. Im Iran wiederum herrscht „Ruhe“ – nur für die Menschen selbst nicht. Die sind seit 1979 den Verbrechen des Regimes, davor des Schahs ausgesetzt gewesen. Ich kann mir vorstellen, dass die westliche Diplomatie mit einem stabilen Schurkenstaat mehr anfangen kann als mit einer wackligen Demokratie.

Es machte mal die Meldung die Runde, der Iran habe die Sittenpolizei abgeschafft.

Das sind Fake News – man muss es so hart sagen. Die Sittenpolizei ist einer der größten Arbeitgeber des Landes, es wäre total fahrlässig vom Regime, in so einer Situation mehrere zehntausend Menschen auf die Straße zu setzen. Der Chef der Sittenpolizei wurde auch noch zum Chef der gesamten iranischen Polizei befördert. Die New York Times hat die angebliche Auflösung der Sittenpolizei groß getitelt, die Falschmeldung aber später korrigiert. Leider hat sich das aber in den Köpfen vieler Menschen bereits festgesetzt. Auch in der Süddeutschen Zeitung war das zu lesen. Es zeigt aber sehr deutlich, mit welchen Propagandatricks das Regime arbeitet. Vor drei Jahren hat das Regime ein Passagierflugzeug mit 176 meist iranischen Insassen und neun ukrainischen Crewmitgliedern abgeschossen, angeblich aus Versehen. Das wurde hier auch weitestgehend unkommentiert so übernommen.

„Ein Tweet, ein Post, vielleicht auch nur eine einfache Frage kann etwas bewirken“, glaubt Gilda Sahebi. Paul Gäbler
„Ein Tweet, ein Post, vielleicht auch nur eine einfache Frage kann etwas bewirken“, glaubt Gilda Sahebi. © Paul Gäbler

Zur Person

Gilda Sahebi, geboren 1984 im Iran, musste als Dreijährige mit ihrer Familie aus dem Land fliehen. In Deutschland studierte sie Medizin und Politikwissenschaft. Heute arbeitet sie als freie Journalistin und Autorin unter anderem für die taz und das Neo Magazin Royale.

Seit dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini und den Protesten in ihrem Heimatland gibt sie wöchentlich einen Überblick über die Geschehnisse in ihrem Podcast „Das Iran Update“, zusammen mit der Regisseurin Sahar Eslah.

Journalistin Gilda Sahebi erklärt, was bei den Protesten im Iran diesmal anders ist

In den vergangenen Jahren ist es schon häufiger zu Protesten gekommen. Am eindrücklichsten war vermutlich die „Grüne Bewegung“, die sich 2009 gegen die manipulierte Wiederwahl Mahmud Ahmadineschads stellte. Was ist bei den jetzigen Protesten anders?

Es ist auffällig, dass diesmal tatsächlich das gesamte Land auf die Straßen geht. Die „Grüne Welle“ war eher von einer akademisierten Oberschicht getragen und war auch meist nur in den Großstädten aktiv. Diesmal geht der Protest wirklich über das ganze Staatsgebiet und bringt alle Schichten auf die Straße. Auch im Norden Teherans, einem sehr wohlhabenden Stadtteil, wird demonstriert. Jina Mahsa Amini, an deren Ermordung der Protest sich zuerst entzündet hatte, kam aus Kurdistan, wo die Protestbewegung begonnen hat. Natürlich hat der Iran aktuell auch wirtschaftliche Probleme. Die Leute stehen aber nicht auf der Straße und fordern günstige Lebensmittelpreise, sondern rufen „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Tod dem Diktator!“ Das ist etwas völlig Neues.

Der aktuelle Präsident Ebrahim Raisi gilt als radikaler Hardliner. Sein Vorgänger Hassan Rohani, der von 2013 bis 2021 regierte, wurde häufig als „gemäßigt“ dargestellt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein, ganz und gar nicht. Das klingt dann immer wie ein guter Kompromiss. Es kann keinen gemäßigten Präsidenten in einem menschenfeindlichen Regime geben. Es gab in der Islamischen Republik lange so etwas wie einen stummen Gesellschaftsvertrag zwischen Regime und Bevölkerung. Das Regime sagt: Okay, ihr macht unser demokratisches Theater mit und dafür geben wir euch bestimmte Freiheiten. Ihr dürft die Satellitenschüsseln auf den Dächern lassen, es gibt weniger Bestrafungen und Ihr dürft hinter den verschlossenen Mauern machen, was ihr wollt. Der jetzige Präsident Raisi ist schon seit Jahrzehnten ein einflussreicher Mann im iranischen Staat und war in den 1980er Jahren an Massenexekutionen beteiligt.

Ist davon auszugehen, dass es innerhalb der iranischen Institutionen zu Reformen kommt?

Nein, dafür ist der Filter innerhalb des Systems viel zu stark. Es gibt im Iran keine Opposition, so wie wir das aus europäischen Ländern kennen. Ein Kandidat, der damit Wahlkampf machen würde, die herrschende Ordnung abzuschaffen, würde gar nicht erst zugelassen werden. Gewählt werden kann nur der Präsident und das Parlament und selbst diese Wahlen sind extrem anfällig für Manipulationen. Die alleinige Macht liegt weiterhin beim Obersten Führer Ali Chamenei.

„Frauen, Leben, Freiheit!“: Iranische Studentinnen protestieren. SalamPix/ABACA/dpa
„Frauen, Leben, Freiheit!“: Iranische Studentinnen protestieren. © picture alliance / abaca

Gilda Sahebi über Deutschlands feministische Außenpolitik

Deutschland hat mit Annalena Baerbock eine Außenministerin, die mit feministischer Außenpolitik wirbt. Was ist davon aktuell zu spüren?

Ich denke, dass das eine verpasste Chance für die deutsche Außenpolitik war, insbesondere für die Grünen. Die feministische Außenpolitik, die auf Werten und Menschenrechten basiert, ist jetzt vier Monate lang nicht zur Anwendung gekommen, die Proteste gehen aber trotzdem weiter. Die Revolutionsgarden haben es auch nicht auf die EU-Terrorliste geschafft, was mich auch ziemlich überrascht hätte. Ob das jetzt an Deutschland oder den anderen Ländern gescheitert ist, kann ich nicht sagen. Aktuell gibt es viele sich widersprechende Aussagen aus dem Auswärtigen Amt.

Die Klimakatastrophe, der Krieg in der Ukraine und nun auch noch die brutale Niederschlagung der Aufstände im Iran: Viele, insbesondere junge Menschen fühlen sich ohnmächtig. Was kann ich von hier aus tun, um den Menschen im Iran zu helfen?

Allgemein würde ich nie die eigene Wirkmächtigkeit unterschätzen. Auch ein Tweet, ein Post, vielleicht auch nur eine einfache Frage kann etwas bewirken. Ich erlebe eine noch nie dagewesene Solidarität mit den Demonstrierenden im Iran – das gab es in den vergangenen Jahren, insbesondere 2019, als der letzte Protest losging, nicht. In den letzten Jahrzehnten hat das Regime Zehntausende von Menschen getötet, deren Namen wir nicht mal kannten. Heute kennen wir sie, schon das ist ein großer Unterschied. Für das Regime ist die ganze negative Aufmerksamkeit übrigens auch etwas Neues. Kürzlich ist ein längeres Gespräch aus Sicherheitskreisen geleakt worden, in dem gesagt wurde, das Regime habe den medialen Krieg „komplett verloren“. Es zeigen sich allmählich deutliche Risse im Staat, und je länger diese Aufstände dauern, desto sichtbarer werden die zutage treten.

Der Philosoph Francis Fukuyama schrieb einmal, es gebe ein allgemeines Streben des Menschen nach Freiheit, und jedes totalitäre Regime sei somit immer ein System auf Zeit. Stellen Sie sich manchmal vor, wie es wäre, wieder in den Iran zurückzukehren?

Ich habe das schon öfter visualisiert. Ich stelle mir dann vor, dass ich in einem Flugzeug sitze, das voll ist mit Iranerinnen, die alle ausrasten vor Freude, weil sie seit Jahrzehnten nicht in der Heimat waren. Dann wird im Flugzeug getanzt – Iraner tanzen sehr viel und überall, auch auf Busreisen. Ich hoffe vor allem aber, dass dann auch meine Eltern dabei sein können.

Wie groß ist ihre Hoffnung, dass das bald passieren wird?

Hoffnung hab ich nicht. Aber ich habe Träume.

(Interview: Paul Gäbler)

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