1. Startseite
  2. Politik

Irak-Invasion: An der Strafverfolgung im Ukraine-Krieg zeigt sich Doppelmoral des Westens

Erstellt:

Von: Christiane Kühl, Anna-Katharina Ahnefeld

Kommentare

US-Marines beobachten den aufsteigenden Rauch auf dem al-Ratka-Ölfeld im Südirak am 22. März 2003. Irakische Truppen setzten das Ölfeld in Brand, als sie vor den auf Bagdad vorrückenden Koalitionstruppen flohen.
US-Marines beobachten den aufsteigenden Rauch auf dem al-Ratka-Ölfeld im Südirak am 22. März 2003. Irakische Truppen setzten das Ölfeld in Brand, als sie vor den auf Bagdad vorrückenden Koalitionstruppen flohen.   © ODD ANDERSEN/AFP

Der internationale Strafgerichtshof hat gegen Wladimir Putin Haftbefehl erlassen. Ein wichtiger Durchbruch. Das Beispiel Irak-Krieg aber zeigt, wie der Westen mit zweierlei Maß misst.

Marburg/Köln – 20 Jahre ist es her, dass ein Staat einen völkerrechtlichen Angriff auf einen anderen begann. Am 20. März jährte sich der Beginn der US-amerikanischen Invasion im Irak. Ein Angriffskrieg auf ein souveränes Land, ohne Legitimation durch ein UN-Mandat. Heute herrscht Konsens, dass der Krieg der Amerikaner und ihrer „Koalition der Willigen“ – der zu Absetzung und Hinrichtung des Diktators Saddam Hussein führte – ein Schandfleck der Geschichte war. Nach dem Fall Saddams stürzte das Land in den Bürgerkrieg. Verfeindete Milizen und Religionsgruppen brachten es immer wieder an den Rand der Unregierbarkeit.

Im Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad folterten und demütigten US-Soldat:innen irakische Gefangene. Die Bilder gingen um die Welt, elf Täter:innen wurden später verurteilt. Insgesamt starben im sogenannten Dritten Golfkrieg offiziellen Angaben zufolge Hunderttausende Iraker:innen und 45.000 US-Soldat:innen. Und auch nach dem Abzug der US-Truppen 2011 stellte sich kein Frieden ein, es folgte unter anderem das Schreckensregime des Islamischen Staats (IS) in Teilen Iraks.

Irak-Krieg jährt sich zum 20. Mal: George W. Bush stand dafür nie unter Anklage

Befohlen hatte den Angriff auf Bagdad von 2003 der damalige US-Präsident George W. Bush. Gefälschte Berichte über angebliche Massenvernichtungswaffen im Besitz Saddams, als Fakt präsentiert vor den Vereinten Nationen, brachten Staaten wie Großbritannien dazu, mit den USA in den Krieg zu ziehen. Deutschland beteiligte sich nicht. Aber hat man den Republikaner Bush dafür je auf einer Anklagebank gesehen? Nein.

Das Beispiel illustriert exemplarisch einen Vorwurf, der dem Völkerrecht anhaftet – und der bislang nicht entkräftet werden konnte: Dem globalen Süden zufolge ist es westlich zentriert und vernachlässigt die Sichtweise der Entwicklungsländer. Insbesondere seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wird dieser Vorwurf wieder lauter. Das bestätigt Professorin Stefanie Bock vom Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.

Ukraine-Krieg: Haftbefehl gegen Wladimir Putin wegen Kriegsverbrechen

Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs werden Beweise für eine Strafverfolgung gegen Wladimir Putin gesammelt und Szenarien durchgespielt, wie der russische Machthaber zur Rechenschaft gezogen werden könnte. Das ist ohne Zweifel richtig so, denn der Kreml-Chef hat unfassbares Leid über die Ukraine gebracht und die Staatengemeinschaft erschüttert. Am Freitag (17. März) meldete der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Durchbruch: Er erließ Haftbefehl gegen den russischen Machthaber wegen seiner Verantwortung für Kriegsverbrechen in der Ukraine, speziell wegen der „unrechtmäßigen Deportation“ ukrainischer Kinder nach Russland.

Ausgerechnet China rief am Montag den Internationalen Strafgerichtshof dazu auf, eine Doppelmoral zu vermeiden und die Immunität von Staatsoberhäuptern zu respektieren. Das Gericht solle im Falle Putins „eine objektive und unparteiische Haltung“ wahren, forderte das Außenministerium in Peking.

Ein weiterer Straftatbestand, der aktuell große Aufmerksamkeit bekommt, ist das Aggressionsverbrechen. Die UN-Charta sieht vor, dass kein Land ein anderes überfallen darf. Angriffskriege sind also verboten. Das Besondere an dem Verbrechen der Aggression: Es ist ein sogenanntes Leadership-Crime. Ein typisches Verbrechen der Staatsspitze. Es könne somit nur von der zentralen politischen und militärischen Führung begangen werden, sagt Bock. Also von Putin. Oder eben von George W. Bush.

Russlands-Krieg gegen die Ukraine und die Strafverfolgung: Vorwurf eines westlichen Bias

Noch mal zurück in den Irak im Jahr 2003. Der als „Präventions-Krieg“ gerechtfertigte Einmarsch der „Koalition der Willigen“ im Irak war wie erwähnt nicht durch eine Resolution des UN-Sicherheitsrats gedeckt. Das bedeutet, dass der Irak-Krieg einen Bruch der UN-Charta darstellte – eben jenes Verbots eines Angriffskriegs auf einen anderen Staat. Doch der UN-Sicherheitsrat konnte den völkerrechtswidrigen Einmarsch nicht verurteilen, weil die USA und Großbritannien das mit ihrem Veto-Recht blockierten. Genauso wie derzeit Russland dort jede kritische Resolution zum Ukraine-Krieg mit seinem Veto verhindert. Wladimir Putin brach mit seiner Invasion ebenfalls die UN-Charta.

Und auch, wenn Saddam Hussein ein brutaler Diktator war, der unter anderem Giftgas auf seine Bürger:innen losließ – und keine demokratisch legitimierte Regierung wie Präsident Wolodymyr Selenskyj in Kiew: Es muss das gleiche Recht für alle Staaten gelten, sonst ist die UN-Charta nichts wert. Für die angeblichen Massenvernichtungswaffen oder eine Unterstützung anti-amerikanischer Terrorgruppen durch Saddam lassen sich bis heute keinerlei Belege finden. Bush wollte diesen Krieg. Völkerrechtlich blieb das ohne Folgen.

Sondertribunal für Russlands Aggression: Ein Gericht des Westens?

Weder Russland noch die USA haben das Statut des internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert. So kann das Gericht den Tatbestand des Angriffskrieges in beiden Fällen nicht verfolgen. Im Zusammenhang mit Putin gibt es daher verschiedene Überlegungen, beispielsweise ein internationalisiertes Tribunal. Das Problem dabei: Ein Sondertribunal könnte insbesondere im Globalen Süden als illegitimes Gericht des Westens angesehen werden.

„Wir haben zum ersten Mal seit Langem einen Krieg, der westliche Interessen berührt – und bemühen augenblicklich das Völkerstrafrecht“, sagt Stefanie Bock. Im Gegensatz dazu sei der Irak-Krieg der Amerikaner „faktisch hingenommen“ worden. Der Vorwurf einer westlich zentrierten Anwendung des Völkerrechts stehe im Raum, und zwar akut, sagt die Expertin. Auch wenn wohl niemand Saddam eine Träne nachweint und Leid nicht gegeneinander aufgewogen werden darf: Der Irak ist weiterhin ein äußerst fragiler Staat mit einer ungewissen Zukunft. Nicht zuletzt aufgrund des Angriffskriegs der USA.

Auch interessant

Kommentare