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Konfliktforscher: „Es wäre naiv zu sagen, Russland würde nicht manipulieren“

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Von: Stefan Scholl

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Proteste in der moldawischen Hauptstadt Chișinău im März: „Es ist ein sehr russisches Argument, dass hinter jeder Straßendemo feindliche Geheimdienste stecken“, sagt Kaukasus-Experte Jan Köhler.
Proteste in der moldawischen Hauptstadt Chișinău im März: „Es ist ein sehr russisches Argument, dass hinter jeder Straßendemo feindliche Geheimdienste stecken“, sagt Kaukasus-Experte Jan Köhler. © Rodion Proca/Imago

Konfliktforscher und Kaukasus-Experte Jan Köhler spricht in einem Interview über die Proteste in Moldawien und Georgien – und Putins Einfluss auf die früheren Sowjetrepubliken.

Herr Köhler, Georgien und Moldawien scheinen die Entwicklung der Ukraine zu wiederholen. In beiden Ländern verschärft sich der politische Kampf zwischen Parteien und sozialen Kräften, die nach Europa streben und solchen, die sich augenscheinlich von Moskau einspannen lassen.

Die Realität ist komplizierter. In Georgien etwa ist die Gesellschaft tief gespalten, Konflikte um konkrete Fragen wie das von der Regierungspartei „Georgischer Traum“ eingebrachte Auslandsagentengesetz werden gleich sehr unversöhnlich geführt, beide Seiten sprechen einander jedes redliche Motiv ab. Es gibt eine urbane Neointelligenz, die mit der NGO-Bewegung entstanden ist, europäische Zukunftsvorstellungen und oft schon europäische Lebenserfahrung besitzt, viele ihrer Vertreter sprechen Englisch. Sie werfen dem Gegner vor, er sei von Russland gekauft. Und vor allem sie werden vom Westen wahrgenommen. Aber auf der anderen Seite gibt es auch viele Georgier, die nichts mit Russlands Politik zu tun haben wollen, die aber eher konservative soziale und familiäre Werte besitzen und nicht bereit sind, das postmoderne Paket progressiver Normen komplett zu kaufen. Ähnliches erleben wir ja auch in Polen oder Ungarn.

Aber das Agentengesetz wirkt fast wie aus Moskau diktiert. Und die Proteste in Moldawien wie von Moskau bestellt.

Es ist ein sehr russisches Argument, dass hinter jeder Straßendemo feindliche Geheimdienste stecken. Ich glaube nicht, dass Russland die moldawischen Proteste komplett organisiert hat. Auch bei Umfragen in der Ukraine war ja bis 2014 immer etwa die Hälfte gegen eine Nato-Beitritt. Sicher ist Russland sehr nah dran an der georgischen Regierung und Bidsina Iwanischwili, der sie kontrolliert. Er hat ja seine Milliarden in Russland verdient. Nur es ist nicht so, dass ein Putin—Vertrauter einfach bei Iwanischwili anrufen kann, um ein Agentengesetz zu bestellen. Das hat sich der „Georgische Traum“ vermutlich selbst ausgedacht. Sie waren allerdings noch so dumm, es so zu nennen wie die Russen.

Sie kopieren Putins Regime aus eigenem Antrieb?

Auch die Regierung in Polen ahmt, wenn es opportun ist, die Methoden des russischen Erzfeindes nach, um gegen Medien oder unabhängige Gerichte vorzugehen. Putins Russland hat vorgemacht, wie man eine demokratische Fassade aufrechterhält, aber die Kerninstitutionen dahinter zerstört. Das ist attraktiv für jede Regierung, der Machterhalt wichtiger ist als Verfassungsprinzipien.

Jan Koehler lehrt Sozialwissenschaft an den Universitäten Osnabrück und an der Lodoner School of Oriental and African Studies. Er hat über den Kaukasus und Afghanistan geforscht. FR Bild: Privat
Jan Koehler lehrt Sozialwissenschaft an den Universitäten Osnabrück und an der Lodoner School of Oriental and African Studies. Er hat über den Kaukasus und Afghanistan geforscht. FR Bild: Privat © Privat

Begnügt Moskau sich etwa mit dieser „Vorbildrolle“? Ganz ohne eigene Einflussnahme?

Es wäre naiv zu sagen, Russland würde nicht manipulieren, niemanden bezahlen. In Moldawien etwa bemühen sich die Russen, den innenpolitischen Konflikt zu schüren und für sich auszunutzen. Moldawien ist wie Georgien sehr nahe dran an Russlands Kerninteresse, nicht krachend in der Ukraine zu verlieren. Deshalb konzentriert es hier die Reserven, die es an Soft-Power noch hat. Es würde Russland stark entlasten, wenn Moldawien oder Georgien moskaufreundliche Politik machten.

Plant Russland vielleicht auch eine Wiederholung der Donbass-Rebellion in Georgien, Moldawien oder anderen postsowjetische Staaten?

Ich vermute, Putin würde das sofort machen, wenn er könnte. Aber die Ukraine bindet wahnsinnig viel russische Ressourcen, der Konflikt läuft schlecht für ihn, und die Soft-Power ist weitgehend dahin.

Wenn Russland in der Ukraine doch siegt, halten Sie dann das Donbass-Szenario auch in Nato-Frontstaaten für möglich, etwa in Estland, wo es eine große russische Minderheit gibt?

Ja. Putin hat klar zu verstehen gegeben, dass er die Nato aus Osteuropa und die USA so weit wie möglich aus Europa raushaben will. Er will in Europa eine andere politische Ordnung erzwingen. Der Westen muss der Ukraine schon aus Eigennutz helfen, um weiteres Unheil von Europa abzuwenden.

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