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Interview mit der Polarforscherin Stefanie Arndt: „Wird dieser Kühlschrank wärmer, dann sind auch wir betroffen“

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Von: Friederike Meier

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„Das Meereis ist für die Pinguine ein Lebensraum zum Verweilen, zum Erholen, sie nutzen es auch als Brutstätte“: Stefanie Arndt hat sie aus nächster Nähe erlebt. Bild: Stefanie Arndt
„Das Meereis ist für die Pinguine ein Lebensraum zum Verweilen, zum Erholen, sie nutzen es auch als Brutstätte“: Stefanie Arndt hat sie aus nächster Nähe erlebt. Bild: Stefanie Arndt © Stefanie Arndt

Das schmelzende Eis in der Antarktis ist eine tickende Zeitbombe für die ganze Erde. Nicht nur die Politik muss viel ändern, sondern wir alle, um den Prozess zu stoppen. Auch Polarforscherin Stefanie Arndt unterstreicht in einem Interview die Bedeutung der Antarktis für das Weltklima und erzählt über ihren Drang, Neues zu entdecken und die Reizüberflutung nach der Heimkehr.

Frau Arndt, Sie sind gerade aus der Antarktis zurück. Was haben Sie dort gemacht?

Ich war für die vergangenen vier Monate an unserer deutschen Forschungsstation, der Neumeyer-Station in der Antarktis. Ich koordiniere dort seit dem Jahr 2016/17 das Meereis-Programm. Im antarktischen Sommer machen wir zusätzliche Messungen zu denen im Winter. Wir messen nicht nur Schnee- und Eisdecke, sondern schauen uns auch die Eigenschaften von Schnee und Eis an. Die zweite Hälfte der vier Monate habe ich auf dem Landeis gearbeitet – und mich dort mit Kollegen auch wieder um den Schnee gekümmert. Wie viel Schnee kam dazu, wie sehen die Schneestrukturen auf dem antarktischen Landeis aus? Das sind Fragen, die wir beantworten wollen.

Welche Rolle spielt der Schnee denn in der Antarktis?

Eine vielschichtige. Auf dem Kontinent ist das Eis nichts anderes als kompaktierter Schnee. Der Schnee macht die Antarktis zu dem, was sie ist: nämlich weiß und kalt. Das gleiche macht er auf dem Meereis auch. Dort ist der Schnee ganz wichtig für den Energiehaushalt. Er gibt vor, wie viel von der Sonnenstrahlung in die Atmosphäre zurückreflektiert wird. Weil das antarktische Meer- eis ganzjährig mit Schnee bedeckt ist, wird relativ viel zurückgestrahlt. Das Meereis schmilzt deshalb im Gegensatz zur Arktis nicht so sehr von oben. Wenn es sich verändert, passiert das eher von unten, also durch die Erwärmung des Ozeans unten drunter.

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Ihr Institut vermeldete im Februar einen historischen Tiefstand, für das Meereis in der Antarktis. Haben Sie das vor Ort bemerkt?

Nein. An der Küste der Neumeyer-Station ist im Sommer ohnehin nicht viel Eis. Allerdings war Anfang Januar der deutsche Forschungseisbrecher, die Polarstern, bei uns an der Station zur Versorgung. Die ist danach ins Bellingshausen- und Amundsenmeer gefahren. Die Polarstern konnte in Bereiche vordringen, in die sie sonst nicht vordringen konnte, weil sie sonst ganzjährig mit Meereis bedeckt sind.

Ursächlich ist der Klimawandel. Können Sie erklären, wie genau?

Das ist komplex. In der Arktis ist es ein bisschen einfacher. Dort wird die Atmosphäre wärmer und das Meereis schmilzt von oben. In der Antarktis wird die Ausdehnung des Meereises vor allem durch den Wind bestimmt, durch die atmosphärische Zirkulation. Durch den Klimawandel verändern sich Windmuster auch in den Tropen, die sich auch in der Antarktis widerspiegeln. Das sorgt dafür, dass potenziell mehr Meereis in der Antarktis gen Norden transportiert wird und dort entsprechend schmelzen kann. Das hat in diesem Jahr zu der niedrigen Ausdehnung des Meer-eises im Sommer geführt.

Welche Folgen hat das vor Ort?

Auf der einen Seite ist Meereis normalerweise weiß und wirft die Sonnenstrahlung zurück. Wenn aber weniger da ist, bedeutet das, dass mehr Solarstrahlung in den Ozean eindringen kann und er sich erwärmt. Das hat einen Rieseneinfluss auf das Ökosystem im Ozean. Die Organismen müssen sich an das wärmere Wasser anpassen. Auf der anderen Seite ist das Meereis ein ganz wichtiges Habitat für die kleinen Organismen aus dem Ozean, andererseits auch für die großen Tiere wie Pinguine und Robben.

Wie wirkt sich das genau aus?

Das Meereis ist für die Pinguine zum Beispiel ein Lebensraum zum Verweilen, zum Erholen, sie nutzen es auch als Brutstätte. Auch die Robben erholen sich dort nach der Jagd im Ozean. Wenn dieser sichere Rückzugsort fehlt, werden sich die Bestände reduzieren. Das hat wieder Folgen für die gesamte Nahrungskette im Ozean.

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Was haben Sie konkret in der Antarktis gemessen?

In der Nähe der Neumeyer-Station schauen wir uns ganzjährig die Schnee- und die Eisdicke an. Sowohl das Überwinterungsteam als auch wir im Sommer messen an festen Messpunkten seit mittlerweile zwölf Jahren diese Eigenschaften. Dort sehen wir, dass die Schnee- und Eisdicke in diesem Bereich relativ konstant sind. Das spricht dafür, dass sich das antarktische Meereis noch nicht so stark durch den Klimawandel verändert – zumindest eben nicht durch die Erwärmung in dem Sinne, sondern wenn dann eher durch die Drift. Das konnten wir jetzt einmal mehr bestätigen, dass wir dort zum Glück noch keinen Trend sehen.

In Zukunft könnte das aber passieren?

Ja. Wir erwarten, dass der Schnee dann im Sommer schmilzt. Aktuell haben wir eine ganzjährige Schneeauflage, die sich bisher nicht verändert hat.

Warum ist die Antarktis insgesamt so wichtig für das Klima?

Die Antarktis ist einer der wichtigsten Kontinente dieser Erde. Sie ist der Kühlschrank dieses Planeten. Es ist der Ort, an dem die Zirkulationsmuster, sowohl in der Atmosphäre als auch im Ozean gesteuert werden. Wenn dieser Kühlschrank langsam wärmer wird, bedeutet das, dass sich Temperaturunterschiede zwischen den Tropen und der Antarktis verändern. Das hat großen Einfluss auf Strömungen. Das hat zur Folge, dass sich insgesamt Wetter- und Klimamuster verändern. Auch wir hier in unseren Breiten sind dann auch davon betroffen. Die Weiterführung davon ist, dass das Schmelzwasser des Landeises dazu führt, dass der Meeresspiegel steigt. Wenn die ganze Antarktis wegschmilzt, sind wir bei knapp 60 Metern, die zusätzlich auf unseren Meeresspiegel kommen, auch wenn das natürlich nicht innerhalb von wenigen Jahren passiert.

Warum sind Sie Polarforscherin geworden?

Meine Lieblingsfächer in der Schule waren Mathe und Physik. Ich habe dann Meteorologie studiert, weil das angewandte Physik ist. Ich habe dann an der Universität Hamburg ein verstaubtes Poster hängen gesehen, mit der Überschrift „Polarmeteorologie“. Das hat mich gereizt. Deshalb habe ich angefangen, die Berichte der ersten Menschen in den Polarregionen zu lesen und mich dafür zu begeistern. Aus Forschungssicht habe ich aber vor allem großes Potential in der Antarktis gesehen, weil das antarktische Meereis im Vergleich zur Arktis wenig erforscht ist und der Schnee diese unfassbar wichtige Rolle spielt.

Was fasziniert Sie daran so?

Einerseits ist es Entdeckerdrang und Abenteuerlust. Andererseits ist es ein ganz besonderer Ort, mit ganz wenig Reizen. Es gibt dort nur die Farben blau und weiß und relativ wenig Menschen. Die Antarktis ist so reizarm und gleichzeitig so reizvoll, weil es das auf der Welt kaum noch gibt.

Wie sieht ein typischer Tag auf der Forschungsstation aus?

Es gibt keinen richtigen Alltag. Der Tag ist eigentlich nur durch die Mahlzeiten strukturiert. Wenn ich auf dem Meereis gearbeitet habe, sind wir dann nach dem Frühstück losgefahren und waren dann zwischen acht und elf Stunden auf dem Meereis unterwegs. Abends sind wir dann spät wieder zurückgekommen – dann hat man gegessen, die Daten gesichert. Und wenn das Wetter gepasst hat, ging es am nächsten Tag wieder los. Sowohl auf dem Schiff als auch auf der Station ist das Wetter der Faktor, der alles bestimmt.

Wie läuft das Messen genau ab?

Wir fahren mit dem Schneemobil feste Messpunkte an oder Messlinien. Am Ende des Tages sind wir ziemlich erschöpft und fahren in die Station zurück. Aber das verschwimmt alles ein bisschen, weil wir dort am Polartag unterwegs sind – es ist sowieso den ganzen Tag hell. Deshalb ist es auch kein Problem, bis spät in die Nacht zu arbeiten.

Dass es kalt und einsam ist, stört Sie nicht?

Man wird sich der Einsamkeit schon bewusst, wenn man nur noch Eis in allen Formen um sich hat. Aber ich weiß, das Eis ist dick genug um mich zu tragen und dass ich in einer Stunde mit dem Schneemobil wieder in der warmen Station bin.

Sie sind seit Anfang März wieder zurück. Was ist Ihnen bei der Rückkehr besonders aufgefallen?

Die Reizüberflutung an Menschen, an Gerüchen, Farben, an dem Alltag, der hier ganz normal weitergegangen ist. Fast alle von uns kämpfen nach so einer Expedition damit, wieder in den normalen Alltag zurückzufinden. Man freut sich aber natürlich auf Freunde und Familie und auf frisches Obst und Gemüse.

Sie forschen zu den Folgen des Klimawandels. Blicken Sie dadurch anders auf das Leben hier?

Man merkt, in was für einem Luxus wir hier leben, im Vergleich zum einfachen Leben auf der Station. Wenn man zurückkommt, denkt man: Wenn sich jeder ein bisschen zurücknehmen würde, wie wir das auf der Station auch machen, würde das auch schon helfen.

Wie denn zum Beispiel?

In allen Bereichen. Es geht uns hier sehr gut, trotzdem neigen die Deutschen dazu, sich über alles zu beschweren. Sowohl im Kleinen als auch im Großen findet man immer etwas, wo man höher, schneller, weiter möchte. Die Zeit in der Antarktis bringt einen dann schon dazu zu sagen: Können wir nicht zufrieden mit dem sein, was wir haben, und dankbar, wie wir hier leben und arbeiten dürfen?

Sie engagieren sich über Ihre Rolle als Forscherin hinaus. Warum?

Ich finde es ganz wichtig, dass wir unsere Forschung für Gesellschaft und Politik zugänglich machen. Kinder liegen mir dabei besonders am Herzen, weil sie unser aller Zukunft sind und weil sie das ausbaden müssen, was wir hier gerade verzapfen. Kinder sind unfassbar sensibel und offen für solche Themen. Auf der Expedition wurde ich beispielsweise von der „Zeit“-Kinderseite begleitet. Dort konnten die Kinder mir Fragen stellen über mich und mein Leben in der Antarktis.

Haben Sie einen Wunsch an unsere Leser:innen?

Ich mag die Moralkeule nicht. Aber was jeder einzelne verstehen muss: Am Ende muss sich viel in der Politik verändern, aber auch jeder einzelne kann viel beitragen. Es geht mir nicht um Verzicht und das Verbot von expliziten Dingen, sondern darum, dass man das, was man tut, hinterfragt. Wenn die gesamte Bevölkerung einen kleinen Schritt tut, ist eine ganze Menge getan.

Stefanie Arndt: Expeditionen in eine schwindende Welt.
Stefanie Arndt: Expeditionen in eine schwindende Welt. © Rowohlt Polaris

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