1. Startseite
  2. Politik

„Chinas Kommunistische Partei hat große Angst vor ihrem Sturz“

Erstellt:

Von: Sven Hauberg

Kommentare

Xi Jinping auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im vergangenen Oktober.
Xi Jinping auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas im vergangenen Oktober. © Ju Peng/Imago/Xinhua

Kommunismus und Konfuzius– geht das zusammen? Ja, sagt Chinas Staatschef Xi Jinping. Doch die Lehren des Philosophen bergen auch politischen Sprengstoff für Pekings Herrscher von heute.

München – Kein Denker hat China so geprägt wie Konfuzius (551 bis 479 vor Christus). Noch heute kennt jedes Kind die wichtigsten Aussprüche des Philosophen auswendig, und auch Staats- und Parteichef Xi Jinping zitiert immer wieder seine Lehren. Der Sinologie Hans van Ess hat das Hauptwerk des Konfuzius, die „Gespräche“, nun neu ins Deutsche übertragen. Im Interview erklärt er, warum Xi Angst vor dem Sturz hat – und was das mit Konfuzius zu tun hat.

Herr van Ess, welche Rolle spielt der Konfuzianismus heute noch im Leben der Menschen in China?

Es gibt in China eine gewisse Sehnsucht nach Tradition. Es öffnen wieder konfuzianisch geprägte Schulen, und mit den „Gesprächen“ des Konfuzius wächst ohnehin jedes Kind auf. Dem Konfuzianismus entstammt auch das Lernethos, das in China vorherrscht: Wenn du etwas werden willst, dann musst du fleißig arbeiten, anders geht es nicht! Wenn ich in China unterrichte, spüre ich, dass einem dort eine andere Art von Respekt entgegengebracht wird als hier in Deutschland. Ich glaube aber dennoch, dass China kein konfuzianisches Land mehr ist.

Warum nicht?

Vieles, was der Konfuzianismus fordert, hat mit der Lebenswelt der Menschen von heute einfach nichts mehr gemeinsam. Man muss sich nur die konfuzianischen Familienwerte anschauen: In einem Land mit einer derart niedrigen Geburtenrate wie China ist es unrealistisch, sich so um seine Eltern zu sorgen, wie es Konfuzius fordert. Vor ein paar Jahren wurde ein Gesetz veröffentlicht, das Chinesen dazu verpflichtet, ihre Eltern zweimal im Jahr zu besuchen. Dass es so ein Gesetz braucht, zeigt schon, dass es mit der konfuzianischen Kindespflicht nicht mehr weit her ist.

Zur Person

Hans van Ess ist Professor für Sinologie sowie Vizepräsident der Ludwig-Maximilians-Universität München. Bis Februar 2023 war er zudem Präsident der Max Weber Stiftung. Von Hans van Ess sind unter anderem erschienen: „Chinesische Philosophie“, „Der Konfuzianismus“ und „Die 101 wichtigsten Fragen – China“.

„Es gibt in China eine Bewegung zurück zum Konfuzianismus“

Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat den Konfuzianismus einmal „den kulturellen Boden, der das chinesische Volk nährt“, genannt. Wie passen solche Worte zum Vorsitzenden einer kommunistischen Partei?

Ich habe 2014 selbst miterlebt, wie Xi Jinping bei den Feierlichkeiten zum Geburtstag von Konfuzius, die alle fünf Jahre stattfinden, in der Großen Halle des Volkes in Peking eine Rede gehalten hat. In dem Saal waren lauter Konfuzianismus-Professoren aus ganz China, die alle dachten, dass Xi es jetzt ernst meint mit der Rückbesinnung auf Konfuzius.

Aber?

Ich würde sagen, mittlerweile ist Marx für Xi doch wieder deutlich wichtiger als Konfuzius. Es gibt in China dennoch seit rund 40 Jahren eine Bewegung zurück zum Konfuzianismus, weil man eine eigene Tradition betonen möchte, die sich von der westlichen unterscheidet. Auch der Marxismus wird in China ja als „Sozialismus chinesischer Prägung“ bezeichnet, und wenn man sich fragt, wie diese Prägung denn aussieht, dann landet man schnell bei Elementen, die der alten chinesischen Tradition entstammen. Und deren wichtigster Bestandteil ist nun mal der Konfuzianismus. Deshalb beschäftigen sich an den Parteihochschulen viele Chinesen mittlerweile nicht mehr nur mit Marx, sondern auch mit Konfuzius.

Was wird da gelehrt?

Einer der Grundgedanken des Konfuzianismus lautet: Das Volk ist die Wurzel von allem. Chinas Führung behauptet, dass der Sozialismus das genauso sieht und dass man selbst alles für das Volk tut. Auch konfuzianische Tugenden wie Loyalität und Treue wurden in der Vergangenheit immer wieder als wichtige Eigenschaften kommunistischer Kader herausgestellt. Vor allem zu Beginn von Xis Amtszeit, als er massiv gegen Korruption vorgegangen ist.

„Xi Jinping hat erkannt, dass es gefährlich wird, wenn das Volk murrt“

Betrachtet China diese konfuzianischen Werte auch als Gegenmodell zur westlichen Idee der universellen Menschenrechte?

Ich glaube nicht, dass man gegen die universellen Werte des Westens anreden möchte. Schließlich sind etwa Ideen, die aus der Französischen Revolution stammen – vor allem Gleichheit und Brüderlichkeit – auch Kernwerte des Sozialismus, und die teilt China natürlich. Es geht vielmehr um eine Ausbalancierung von konkurrierenden Werten, um den Gegensatz von individuellen und kollektiven Rechten. China betont gerne, dass wirtschaftliche Entwicklung wichtig ist, damit der Einzelne ein menschenwürdiges Leben führen kann. Die Logik dahinter ist: Ohne Wohlstand für alle können keine individuellen Freiheiten garantiert werden. Schon der Konfuzianer Menzius hat sinngemäß gesagt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Menzius, der wichtigste Nachfolger des Konfuzius, war es auch, der den Tyrannenmord legitimiert hat.

Genau. Ein Grundgedanke im Konfuzianismus ist: Der Herrscher darf gestürzt werden, wenn er nicht dafür sorgt, dass die Erde in Ordnung ist, sondern sie in Chaos versinkt. Ich glaube, dass die Kommunistische Partei ganz massiv von diesem Gedanken geprägt ist und von der Angst, in China könnte etwas passieren, das zu ihrem Sturz führen könnte.

Schließlich fehlt ihr die Legitimation durch freie Wahlen.

Die Kommunistische Partei hat seit Deng Xiaopings Reise nach Südchina im Jahr 1992 darauf gesetzt, dass der wirtschaftliche Aufbau des Landes ihre Herrschaft legitimiert. Das ist eine Zeitlang auch gut gegangen, aber schließlich sind die gesellschaftlichen Gegensätze immer deutlicher geworden. Man sieht in den Städten immer die Glitzerfassaden, ein großer Teil des Landes fühlt sich aber vernachlässigt und abgehängt. Als Xi Jinping 2012 an die Macht gekommen ist, hat er erkannt, dass es so nicht weitergehen kann, weil es gefährlich wird, wenn das Volk murrt. Deswegen hat er das Ziel ausgerufen, einen gewissen Wohlstand für alle zu schaffen.

„Chinas Führung zeigt seit Jahren mit dem Finger auf den Westen“

Der Konfuzianismus besitzt allerdings auch ein autoritäres Element: Er propagiert starre gesellschaftliche Strukturen, in denen jedem ein fester Platz zukommt.

Aufgabe des Herrschers ist es folglich, dafür zu sorgen, dass jeder seinen Platz findet, dort zufrieden ist und nach seinen Möglichkeiten etwas zum Allgemeinwohl beitragen kann. Gleichzeitig gibt es im Konfuzianismus das Ideal des kritisch loyalen Beraters, der im Zweifelsfall auch mit brutaler Offenheit seinem Herrscher ins Gesicht sagen muss, wenn er sieht, dass etwas falsch läuft.

Nun hat sich Xi Jinping auf dem Parteitag im vergangenen Oktober allerdings vor allem mit loyalen Jasagern umgeben.

Sich mit Jasagern zu umgeben, das ist das Gegenteil von dem, was Konfuzius gefordert hat. Und es ist auch das Gegenteil von dem, was die Kommunistische Partei eigentlich für sich reklamiert. Chinas Führung zeigt seit Jahren mit dem Finger auf den Westen und sagt: Eure Demokratie funktioniert nicht mehr, weil Menschen in Führungspositionen kommen, die dort eigentlich nichts zu suchen haben. So konnte China sagen: Unser System ist besser als eures, ein gewisser Autoritarismus ist notwendig. Während der Corona-Pandemie hat man sich bestätigt gefühlt, als im Westen Hunderttausende gestorben sind. Das hat natürlich zu einer gewissen Hybris geführt, und schließlich musste auch China sich öffnen und seine Null-Covid-Politik beenden.

Sie haben nun die „Gespräche“ des Konfuzius neu ins Deutsche übertragen. Warum?

Kein anderes Werk hat China so geprägt wie Konfuzius’ „Gespräche“. Wer China und eigentlich ganz Ostasien verstehen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Vieles, was Konfuzius gesagt hat, zwingt den Leser zudem zur Reflexion über sich selbst. Die bisherigen Übersetzungen betrachten die „Gespräche“ als eine Sammlung von Sprüchen, die mehr oder weniger unverbunden zusammenstehen. Ich glaube aber, dass der Text eine logische Reihenfolge hat. Jedes Kapitel behandelt einen bestimmten Aspekt im Wirken von Konfuzius und die Herausforderungen, denen er im Leben gegenübergestanden ist. Durch meine Kommentare zu den einzelnen Aussprüchen von Konfuzius habe ich versucht, das deutlich zu machen. Das ist eine Neuerung ist, die man so in keiner anderen Übersetzung findet.

Auch interessant

Kommentare