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Autor Arnd Henze über Dietrich Bonhoeffer: „Ein Mann jenseits aller nationalistischen Denkmuster“

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Von: Bascha Mika

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Dietrich Bonhoeffer (2.v.r.) 1934 bei der ökumenischen Jugendkonferenz in Schweden. Am 9. April 1945 wurde wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. 	epd
Dietrich Bonhoeffer (2.v.r.) 1934 bei der ökumenischen Jugendkonferenz in Schweden. Am 9. April 1945 wurde wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. © epd-bild / Gütersloher Verlagsh

Autor Arnd Henze über Bonhoeffers Widerstand gegen die Nazis, seine Vereinnahmung heute für einen Kulturkampf von rechts und die Anfälligkeit von Christen für völkisches Denken.

Herr Henze, in wenigen Wochen jährt sich der 75. Todestag des ermordeten Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer. Was macht Bonhoeffer für Sie aus?

Wir können ihn nicht in ein Raster pressen und ihn zum Märtyrer, Heiligen, zu einer statischen Figur machen. Er ist eine unglaublich komplexe Persönlichkeit, weil er sich immer wieder neu auf die Realität eingelassen hat. Wer ihn vereinnahmen will, verkürzt ihn.

So wie es rechte Kreise hierzulande versuchen und die Evangelikalen in den USA?

Er hat schon eine erstaunliche Wirkungsgeschichte. Nach der NS-Zeit war Bonhoeffer wichtig für Menschen, die sich zivilgesellschaftlich engagiert haben, zum Beispiel in der Friedens- oder der Anti-Apartheids-Bewegung. Was auch daran liegt, dass ihn viele Konservative in Deutschland gar nicht als einen der ihren würdigen wollten. Bonhoeffer war für sie ein falscher Märtyrer, weil er bei seiner Verhaftung nicht zum innerkirchlichen, sondern zum weltlichen Widerstand gehört hat.

Arnd Henze über Dietrich Bonhoeffer: „Er ist eine unglaublich komplexe Persönlichkeit."

Er hat sich der Realität gestellt.

Weil er Christ in dieser Welt sein wollte und sich gefragt hat, wo der Glaube in der Wirklichkeit des Lebens einen Sinn macht.

Wie sind die Evangelikalen in den USA auf ihn gekommen?

Vor knapp zehn Jahren erschien in den Vereinigten Staaten eine große Biographie, die versuchte, ihn zu einem Evangelikalen, einem Fundamentalisten umzudeuten. Ein schlechtes Buch, das vom Mainstream nicht wahrgenommen wurde, aber im evangelikalen Umfeld zum Bestseller mit einer knappen Million Auflage avancierte.

Was war das Erfolgsrezept?

Der Autor Eric Metaxas ist ein extrem medienwirksamer Kommentator zum Beispiel bei Fox News und bei evangelikalen Kongressen. Seine Botschaft: Was Bonhoeffer gegenüber dem NS-Regime gemacht hat, müssen wir heute an Widerstand leisten gegen den Zeitgeist. Metaxas hat Bonhoeffer kompatibel für den Kulturkampf der religiösen Rechten gemacht.

Arnd Henze: Bonhoeffer wird von religiösen Rechten umgedeutet

Wie ist es möglich, Bonhoeffers Kampf für Menschenrechte umzudeuten in eine Ideologie der Ungleichheit?

Der Kulturkampf der religiösen Rechten macht sich an drei, vier Themen fest. Ganz oben steht der Feldzug gegen Abtreibung. Seit der oberste Gerichtshof den Schwangerschaftsabbruch in die Entscheidungsfreiheit der Frau gestellt hat, ist es das mobilisierende Thema – mit einem aggressiven Bezug zur Nazizeit durch den Vergleich von Abtreibung und Holocaust. Und dann kommt jemand wie Metaxas daher und behauptet: Es gibt eine Kontinuität von Bonhoeffers Widerstand gegen die Judenverfolgung zu unserem heutigen Kampf gegen die liberale Abtreibungspolitik. Damit hat er Bonhoeffer der fundamentalistischen Szene auf dem Silbertablett präsentiert.

Warum braucht die Rechte eine Figur wie Bonhoeffer, die man sich als Vorbild erst brutal zurechtbiegen muss?

Wenn man ihn auf ein reines Widerstandspathos reduziert, muss man sich gar nicht besonders anstrengen, um ihn kompatibel zu machen. Daran hat auch der Mainstream-Protestantismus Schuld. Bonhoeffer wurde irgendwann dermaßen als Steinbruch für Kalendersprüche verkitscht, dass er in seinem Bezug auf eine ganz reale Wirklichkeit entkernt wurde.

Nennen Sie mal ein Beispiel...

...da ist der berühmte Satz von dem Rad, dem man in die Speichen fallen muss. Oder: „Nicht in der Flucht der Gedanken ist Freiheit, allein in der Tat“. Oder: „Wer seine Überzeugung lebt, erwartet keinen Beifall“. Alles Sprüche, die ihren Kontext verloren und sich verselbständigt haben. Die befeuern nun das Widerstandspathos und geben der religiösen Rechten das Gefühl, im Kampf gegen das System auf der richtigen Seite zu stehen.

Arnd Henze: Rechte benutzen Bonhoeffer für ihren Kulturkampf

Und was ist mit Bonhoeffers Theologie?

Wird komplett ins Gegenteil verkehrt. Die Rechten, die Bonhoeffer für ihren Kulturkampf benutzen, halten Donald Trump für einen Gesandten Gottes, egal welche grausame Politik er zum Beispiel in der Einwanderungsfrage betreibt. Ein Mann, der sich jenseits aller nationalistischen Denkmuster verortet hat, wird für America first vereinnahmt. Bonhoeffer war durch und durch Anti-Nationalist – und das auch gegen die Mehrheit des Protestantismus in Deutschland.

Kaum denkbar, dass Trump je etwas von Bonhoeffer gehört hat.

Aber sein Vizepräsident Mike Pence. Der ist ganz stark in der religiösen Rechten der USA verwurzelt. Es gibt Gerüchte, dass Pence zur Feier des 75. Todestages von Bonhoeffer im April kommen will – was die EKD in große Schwierigkeiten bringen würde. Denn das Kalkül von Pence wäre klar: Mitten im Wahlkampf ein Signal an die religiöse Rechte zu Hause zu senden.

Nicht auch ein Signal an die deutsche Rechte?

Wir haben alle unterschätzt, was Björn Höcke mit der 180-Grad-Wende in der Erinnerungspolitik gemeint hat. Wir haben es ja nur auf die NS-Zeit bezogen. Aber es ist viel perfider. Wir erleben, dass es eine Erzählung der AfD gibt, in der sie sich die Widerstandsgeschichte Deutschlands aneignen will. Und gleichzeitig eine Kontinuität behauptet von der NS-Zeit über das DDR-Regime bis hin zu dem, was sie als „Merkel-Diktatur“ und den „rot-grünen Zeitgeist“ denunziert.

Arnd Henze „Die AfD fordert zur Spaltung des Protestantismus auf."

Schon Pegida hat mit „Wir sind das Volk“ diesen Umdeutungsversuch gestartet.

Und das geht weiter. Im Umkehrschluss heißt das: Wenn es diese Kontinuität gibt, gäbe es auch eine Kontinuität von den „Deutschen Christen“, die auf Seiten Hitlers standen, über die angeblich zu staatsfromme Kirche in der DDR bis hin zu der „Zeitgeist-treuen“ EKD heute. Und damit auch eine von der Bekennenden Kirche, die Hitler widerstanden hat, über die Christen, die dem SED-Regime Paroli geboten haben bis zu denen, die heute gegen die „unheilige Allianz“ aus „rot-grünem Zeitgeist“, „Merkel-Diktatur“ und EKD kämpfen.

Kommt das bei evangelischen Christen an?

Ich fürchte, viele in der evangelischen Kirche haben gar nicht verstanden, was das für eine strategische Kampfansage ist. Die AfD fordert zur Spaltung des Protestantismus auf. Wenn sie behauptet, dass es gegen die heutige Führung der EKD so etwas wie eine neue Bekennende Kirche braucht, heißt das, das sich die angeblich bekenntnistreuen Christen von der falschen Kirche abwenden müssen. Steht alles explizit in der Broschüre „Unheilige Allianz“, die vom Höcke-Flügel und den ostdeutschen AfD-Fraktionsvorsitzenden herausgegeben wurde.

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Arnd Henze ist Fernsehjournalist beim Westdeutschen Rundfunkt (WDR). Schon während seines Theologiestudiums hat er kritisch zur Rolle von Kirche und Theologie in Nationalsozialismus geforscht. Er ist Autor des Buches „Kann Kirche Demokratie? Wir Protestanten im Stresstest“.

Aber Höcke vertritt faschistisches Gedankengut. Wo ist der Anknüpfungspunkt?

Es ist ein Fehler zu glauben, die AfD liebäugele damit, sich in einer Linie zum NS-Reich zu sehen. Nein, sie will die NS-Zeit marginalisieren und den Widerstand von Bekennender Kirche über Stauffenberg und Bonhoeffer bis Geschwister Scholl völkisch-nationalistisch vereinnahmen.

Arnd Henze: AfD will Bonhoeffer „völkisch-nationalistisch" vereinnahmen

Wieso geht es um Christen? Deren Menschenbild müsste dem der AfD doch völlig widersprechen.

Es gibt keine christliche Immunität gegenüber der menschenverachtenden Politik der AfD. Das zeigt die empirische Realität. Die Wahlergebnisse in Sachsen für die Rechten unterscheiden sich für Kirchenmitglieder praktisch gar nicht von anderen Wählern. In Thüringen nur wenig. Ausnahme ist Brandenburg, wo die Evangelische Kirche ganz klar auf Konfrontationskurs gegangen ist. Deren Botschaft war: AfD und christlicher Glaube gehen nicht zusammen.

Das muss man ausgerechnet Christen einbläuen?

Große Untersuchungen zeigen, dass es eine Reihe von Themenfeldern gibt, bei denen die Anfälligkeit für nationalistisches, autoritäres und ausgrenzendes Denken unter Kirchenmitgliedern und vor allem bei aktiven Kirchgängern sogar ausgeprägter ist als in der Gesamtbevölkerung.

Im Ernst?

Es gibt eine große Untersuchung des „Pew Research Centers“. Darin stimmen zum Beispiel mehr als 70 Prozent der aktiven Kirchgänger dem Satz zu: Man kann nur ein richtiger Deutscher sein, wenn man deutsche Vorfahren hat und in Deutschland geboren ist. Bei Nichtkonfessionellen sind es weniger als 50 Prozent.

Arnd Henze: „Demokratische Errungenschaften wurden oft gegen die Kirche erkämpft."

Woher kommt dieses völkische Denken bei Protestanten?

Noch bis in die 1960er Jahre hat der Protestantismus mit dem demokratischen Gesellschaftsmodell gefremdelt. Da stehen hunderte von Jahren antidemokratisches, nationalistisches und autoritäres Denken gegen ein halbes Jahrhundert Akzeptanz der Demokratie. Die große historische Lernkurve hin zur Bejahung der Demokratie hat in der Breite erst vor 60 Jahren begonnen.

Bei der Gesamtbevölkerung ist es doch nicht sehr viel besser.

Es ist anders. Denn die demokratischen Errungenschaften – Menschenrechte und ein Staat, der die Freiheit des Einzelnen schützt – wurden oft gegen die Kirchen erkämpft. Vor allem die evangelische Kirche hat auch nach 1945 noch aktiv und offen gegen die Demokratie und das Grundgesetz polemisiert. Viele wollten ungebrochen an das deutschnationale Erbe der Weimarer Republik anknüpfen..

Arnd Henze über Bonhoeffer: Seine Aussagen dürfen nicht aus dem Zusammenhang gerissen werden

An eine antidemokratische Tradition?

Ja, die Pfarrerschaft damals war in ihrer überwältigenden Mehrheit in der deutschnationalen Volkspartei, die zum Steigbügelhaltern des NS-Regimes wurde. Während die Kirchenmitglieder mehr zum sozialdemokratischen Wählerreservoir gehörten. Diese Anfälligkeit für das Autoritäre war bei der protestantischen Kirche in einem – missverstandenen – paulinischen Staatsverständnis begründet: „Jede Obrigkeit ist von Gott“. Und die Demokratie war in diesem Denken halt keine würdige Obrigkeit.

Zurück zu Bonhoeffer. Wie kann man ihn der Verkitschung, aber auch den Rechten entziehen?

Indem wir ihn wieder ernst nehmen. Sein Widerstandsbegriff richtete sich gegen einen konkreten Unrechtsstaat. Wenn wir seine Aussagen aus dem Zusammenhang reißen und auf Kalenderblätter drucken, verlieren wir die argumentative Kraft, dem Missbrauch zu widersprechen und ihm gerecht zu werden. Er hat nicht für die Ewigkeit formuliert, er hat für seine Situation gesprochen. Mit diesem klaren Blick für die konkrete Wirklichkeit kann er für uns heute Vorbild sein. Bonhoeffer ist kein Ché Guevara, den man sich auf ein T-Shirt drucken kann.

Interview: Bascha Mika

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