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Indien plant Kohleausstieg: Plan sieht keine neuen Genehmigungen für Kraftwerke mehr vor

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Indisches Mädchen sammelt Kohlereste
Indisches Mädchen sammelt Kohlereste (Symbolbild) © Joerg Boethling/IMAGO

Indien hat als offizielles Ziel die Dekarbonisierung des Energiesektors beschlossen. Bald sollen keine neuen Kraftwerke mehr gebaut werden. Doch die Probleme stecken in Details.

Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Climate.Table am 11. Mai 2023.

Mumbai/Berlin – In Indien gewinnt die Debatte über einen Kohleausstieg kräftig an Fahrt. Einerseits ist Experten klar, dass das bevölkerungsreichste Land der Erde aus den fossilen Brennstoffen aussteigen muss. Aber wie schnell das gehen kann und welche Alternativen bestehen, wird in Regierung und Verwaltung heftig diskutiert. Nun stellt ein Plan der Regierung zum ersten Mal ein Ende des Neubaus von Kohlekraftwerken in Aussicht.

Die nationale Elektrizitätspolitik, die derzeit fertiggestellt wird, räumt der Dekarbonisierung des Elektrizitätssystems Priorität ein. Und ein neuer Bericht der indischen Zentralbank, der Reserve Bank of India, betont, dass verspätete klimapolitische Maßnahmen durch größere Produktionsverluste und höhere Inflation teurer werden könnten. Das Tempo des Übergangs wird jedoch durch praktische Erwägungen der Wirtschaft und der Energiesicherheit infrage gestellt. 

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Verschiedene Meinungen in der Regierung

„Es gibt einen klaren Wunsch, aus der Kohle auszusteigen. Was jedoch ungewiss bleibt, sind die Auswirkungen dieses Ausstiegs auf Kosten und Energiesicherheit“, sagt Vaibhav Chaturvedi, leitender Forscher beim Thinktank Centre for Energy, Environment and Water in Delhi. „Bei diesem Thema gibt es Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Regierung, was sich in der Wortwahl der verschiedenen politischen Dokumente widerspiegelt“.

Für eine Überarbeitung der nationalen Elektrizitätspolitik, die einen Fahrplan für die Gesetzgebung festlegt, setzte die Regierung 2021 eine Expertengruppe unter der Leitung von Gireesh Pradhan ein, dem ehemaligen Vorsitzenden der nationalen Regulierungsbehörde Central Electricity Regulatory Commission. Die Expertengruppe legte ihre Empfehlung im Oktober 2021 vor, noch vor der Klimakonferenz COP26 in Glasgow. Sie besteht aus vier Zielen:

Bedarf: Zwischen null und 33 Gigawatt Kohleleistung

Das Ergebnis der Expertengruppe: Indien brauche trotz des Bedarfs an Grundlast keine neuen Kohlekapazitäten. Es gab jedoch einen Vorbehalt: Ein Kohlekraftwerk könnte zwar als Ersatz für alte und in den Ruhestand gehende Blöcke gebaut werden, das aber nur dann, wenn „überzeugend nachgewiesen wird, dass es nicht rentabel ist, die prognostizierte Nachfrage aus alternativen, nicht-fossilen Quellen zu decken“.

Zu einer anderen Einschätzung kam dagegen die Zentrale Elektrizitätsbehörde (CEA) in ihrem Entwurf des Nationalen Elektrizitätsplans im September 2022. Darin wurde prognostiziert, dass zur Deckung der wachsenden Nachfrage im Zeitraum 2022 bis 2027 etwa 33 Gigawatt zusätzliche Kohlekapazitäten benötigt würden. Etwa 25 GW davon befinden sich bereits im Bau, knapp fünf GW würden in diesem Zeitraum stillgelegt. Für die Zeit von 2027 bis 2032 würden gut neun GW als zusätzlicher Bedarf prognostiziert.

Im Januar 2023 setzte die Regierung die Stilllegung aller Kohlekraftwerke bis 2030 aus. Grund waren Prognosen für einen weiteren Sommer mit extremer Hitze und einem bevorstehenden Nachfrageschub.

Indien: Keine neuen Kraftwerke mehr genehmigen

Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren erstellte das Ministerium im Januar einen Entwurf für eine nationale Elektrizitätspolitik. Der Entwurf, der Table.Media vorliegt, behält die politischen Ziele der Expertengruppe bei und räumt der Dekarbonisierung Vorrang ein – schweigt aber über neue Kohlekraftwerke. Nach Berichten erwähnt er ein Moratorium für Kohlekraftwerke, das aber Projekte ausschließt, die sich bereits in der „Pipeline“ befinden.

Analysten weisen darauf hin, dass „Pipeline-Projekte“ sowohl im Bau befindliche als auch ausgeschriebene und sogar in der Planungsphase befindliche Projekte umfassen können. Die CEA geht in ihrer Planung für den optimalen Kraftwerkskapazitätsmix 2030 von zusätzlichen knapp 30 GW an Kohlekapazität aus, die derzeit geplant oder im Bau sind.

Indien: Kohle als teurer Ersatz für billige Erneuerbare

Neue Kohlekraftwerke, obwohl Indien von der Kohle wegkommen will? „Das ist ein Problem des Übergangs“, sagte ein hoher Beamter. „Der Preisverfall bei den Batterien hat sich nicht in der erwarteten Geschwindigkeit vollzogen. Wenn die Sonne scheint, ist Solarenergie eine praktikable Option, sie kostet etwas mehr als zwei Cent pro Kilowattstunde. Aber was passiert nachts?“

Kohle kostet derzeit etwa 1,9 Cent pro Kilowattstunde. Die Verwendung von Kohle als flexible Energiequelle bedeutet jedoch, dass mit der gleichen Kapazität weniger Strom erzeugt wird, was die Kosten auf 2,5 Cent/kWh oder mehr steigen lässt. Dadurch wird der Strom im ganzen Land teurer. Dies ist ein Problem, da große Teile der Bevölkerung erst seit kurzem Zugang zu Strom haben.“

Anpassung kostet Indien eine Billion Euro bis 2030

In der Politik Indiens jedenfalls gelten Dekarbonisierung und Energiewende als politische Prioritäten: Maßnahmen wie die Abnahmeverpflichtung für erneuerbare Energien – die alle Verteilerunternehmen dazu verpflichtet, bis 2030 mindestens 43 Prozent ihres Stroms aus Erneuerbaren zu beziehen – werden den Anteil der Kohle senken. „Das Dilemma, vor dem Indien steht, ist, dass wir derzeit keine Strategien für nicht-fossile Brennstoffe zur Stromerzeugung rund um die Uhr haben“, sagte ein Beamter des Energiesektors. Anreize für die Energiespeicherung könnten dazu beitragen, dieses Problem zu lösen.

Während sich die Regierung mit diesem Dilemma auseinandersetzt, hat die indische Zentralbank auch die Kosten von verzögertem Handeln im Klimaschutz erhoben. In ihrem jüngsten Bericht schätzt sie, dass Indiens grüner Finanzierungsbedarf bis 2030 jährlich mindestens 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Allein etwa umgerechnet eine Billion Euro bis 2030 werde für Indien die Anpassung an den Klimawandel kosten. (von Urmi Goswami)

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