Indien erlebt Hitzewelle schon im Februar

Indien erlebt einen Temperatur-Rekord - das Phänomen El Niño könnte die Lage verschärfen
Indien droht erneut ein „Jahr ohne Frühling“, nachdem im Wintermonat Februar in einigen Regionen bereits Rekordtemperaturen erreicht wurden. So zeigte das Thermometer in der Stadt Bhuj im Bundesstaat Gujarat an der Westküste des Subkontinents am vergangenen Donnerstag 40,3 Grad Celsius – die früheste Temperatur von über 40 Grad, die Indien je erlebt hat. Die Situation erinnert an das vorige Jahr, als das Land mit seinen 1,4 Milliarden Einwohner:innen unter einer der heftigsten Hitzewellen in der Geschichte des Landes litt. Und in diesem Jahr könnte das pazifische Klimaphänomen El Niño die Lage noch verschärfen.
Das Wetter in dem großen Land spielte zuletzt verrückt. Der Januar brachte eine ungewöhnliche Kältewelle, und in vielen Landesteilen endete er mit heftigen Niederschlägen. Dann aber stiegen die Temperaturen rasant. Für Bhuj gaben die Meteorolog:innen die Abweichung vom Normalwert mit zehn Grad plus an, an anderen Messstationen im Land lagen die Tagestemperaturen um sechs bis neun Grad höher als üblich.
Kostenloser Klima-Newsletter
Einmal pro Woche veröffentlicht die Frankfurter Rundschau einen kostenlosen redaktionellen Newsletter zum Klimaschutz.
Jetzt abonnieren: Klima-Newsletter der FR
Der indische Wetterdienst warnte denn auch am vorigen Wochenende vor der ersten Hitzewelle des Jahres mit deutlich über 30 Grad, die vor allem den Westen des Landes traf. 2022 hatte es das erst einen Monat später gegeben. „Wir haben noch nicht einmal März, und es sieht bereits nach einer Wiederholung des vorigen Jahres aus, als der Frühling ausblieb“, sagte der Klimaexperte Aditya Valiathan Pillai vom Thinktank „Center for Policy Research“ in Neu Delhi. Das Tempo der Veränderungen sei alarmierend.
Sorgen macht die Entwicklung aktuell vor allem Agrarfachleuten. Sie befürchten, dass die indische Weizenproduktion erneut leiden könnte, die von gemäßigten Temperaturen im Frühjahr abhängt. Sie beträgt üblicherweise rund 110 Millionen Tonnen jährlich und war im vorigen um rund zehn Prozent eingebrochen. Indien, der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, verbot daraufhin die Ausfuhr des Getreides. Das verschärfte die globale Versorgungskrise mit Getreide, die durch Russlands Krieg gegen die Ukraine ausgelöst worden war.
Hitzewellen sind in Indien alles andere als ungewöhnlich. Normalerweise treten sie jedoch in den Monaten April, Mai und Juni auf, bevor der danach einsetzende Monsun Abkühlung bringt. Im vergangenen Jahr erlebten das Land und das benachbarte Pakistan jedoch eine ungewöhnliche Serie von Hitzewellen, die bereits im März einsetzte. In Indien waren es die heißeste März- und April-Monate seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1901. Die Höchsttemperaturen lagen Mitte Mai bei knapp 50 Grad, in der pakistanischen Stadt Jacobabad wurden sogar 51 Grad erreicht. Die Hitze führte zu großflächigen Ernteausfällen und Stromabschaltungen, es kam zu schweren Waldbränden und in Bergtälern in Pakistan zu Sturzfluten durch rasch abschmelzenden Gletscher.
Aktionsplan gegen Hitzefolgen
In Indien gibt es in 23 der 29 Bundesstaaten sowie über 100 Großstädten und Bezirken Hitze-Aktionspläne, die die Bevölkerung von den Folgen von Extremtemperaturen schützen sollen.
Sie umfassen unter anderem Frühwarnsysteme für die Einwohner:innen, Schulungen für medizinisches Fachpersonal und Hilfen für eine bessere natürlichen Kühlung von Gebäuden. Auf einer Konferenz von Indiens Nationaler Katastrophenschutzbehörde und Behörden aus den Bundesstaaten wurde in der letzten Woche diskutiert, wie die Aktionspläne verbessert werden können – etwa dadurch, dass die Schritte früher eingeleitet werden.
„Jedes Jahr scheinen sich diese Temperaturen um einen Monat oder so zu verschieben“, sagte Dileep Mavalankar, der Direktor des „Indian Institute of Public Health“ in Gujarat. jw
Der Klimawandel gilt als Haupttreiber hinter dieser Zuspitzung. Laut einer im vorigen Mai vorgestellten Studie der renommierten „World Weather Attribution Group“ waren die Hitzewellen in Indien und Pakistan von 2022 durch die globale Erwärmung rund 30-mal wahrscheinlicher als in einem unveränderten Klima geworden. Dabei hatte sich das natürliche Klimaphänomen La Niña, das zu niedrigen Temperaturen im Pazifischen Ozean beiträgt und die Temperaturen in vielen Regionen der Welt kühlt, im letzten Jahr in Indien noch mildernd ausgewirkt. In diesem Jahr hingegen könnte die Erwärmung zusätzlich verschärft werden – durch sein klimatisches Gegenstück, die Warmwasser-Anomalie El Niño.
El Niño ist ein alle drei bis sieben Jahre wiederkehrendes Wetterphänomen, das großräumige Meeres- und Luftströmungen in Äquatornähe betrifft. Zu einem El Niño kommt es, wenn die Passatwinde über dem Pazifik nachlassen, die normalerweise für den Auftrieb von kühlem Wasser vor Südamerika sorgen. Viele Regionen auf der Südhalbkugel erleben dann Zeiten starker Hitze. Ein intensives El-Niño-Ereignis hat so zusammen mit der globalen Erwärmung dazu geführt, dass 2016 weltweit das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen war. Die letzten Jahre hingegen, in denen La Niña herrschte, rissen den globalen Rekord nicht erneut.
Hitzewelle in Indien: „Schon jetzt mitten in den Extremen“
Das freilich könnte sich in diesem Jahr ändern. Ein deutsch-chinesisches Forschungsteam um den bekannten Klimaexperten Hans Joachim Schellnhuber erregte unlängst mit der Prognose Aufsehen, dass ein neuer El Niño im Laufe dieses Jahres die globale Temperatur mit fast 90-prozentiger Sicherheit fast weltweit spürbar hochtreiben wird – und zwar um 0,2 Grad. Da das Plus gegenüber vorindustriellen Zeiten bisher im weltweiten Schnitt rund 1,2 Grad beträgt, käme die 1,5-Grad Grenze aus dem Pariser Klimavertrag damit bereits in Sicht. Das Limit, das gemäß der Abkommen möglichst nicht überschritten werden sollte, könnte nach den Berechnungen – veröffentlicht online auf dem Portal „arXiv“„zumindest temporär schon im Jahr 2024 gebrochen werden“.
Ob ein Reißen der 1.5 Grad die Lage für Indien noch einmal verschärfen würde, ist derzeit noch Spekulation. „Wird etwas Neues und Dramatisches passieren?“, fragte der indische Klimaforscher Raghu Murtugudde vom Indian Institute of Technology in Bombay. Und gab sich selbst die Antwort: Das sei nicht gesagt. Er meinte es aber nicht als Entwarnung. Man befinde sich schließlich bereits jetzt „mitten in den Extremen“.