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Immer mehr Tote im Mittelmeer

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Von: Kordula Doerfler

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Glück gehabt: Diese Flüchtlingskinder sind vom Schiff "Aquarius" gerettet worden. Aber wie geht es für sie weiter?
Glück gehabt: Diese Flüchtlingskinder sind vom Schiff "Aquarius" gerettet worden. Aber wie geht es für sie weiter? © rtr

In zwei Monaten sind mehr als 700 Menschen ertrunken. Spanien lenkt den Blick der EU auf Marokko, das bei der Verhinderung der Flucht nach Europa helfen soll. Die Regierung des Landes geht wenig zimperlich gegen Migranten vor.

Seit es für private Hilfsorganisationen immer schwieriger wird, im Mittelmeer Flüchtlinge zu retten, steigt die Zahl derer, die vor der libyschen Küste ertrinken, stark an. Allein in den letzten beiden Monaten verloren dort laut einem neuen Bericht von Amnesty International (AI) 721 Menschen ihr Leben. „Die Verantwortung für die steigenden Todesfälle tragen vor allem die europäischen Regierungen, die stärker damit beschäftigt sind, wie sie Menschen fernhalten können als Leben zu retten“, rügt Matteo de Bellis von AI.

Außerdem werden immer mehr Bootsflüchtlinge von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und wieder an Land zurückgebracht. Dort drohen ihnen die berüchtigten Lager, in denen entsetzliche Verhältnisse herrschen. Das Flüchtlingshilfswerk der UN und verschiedene Menschenrechtsorganisationen haben dieses Vorgehen scharf kritisiert, weil es gegen das Völkerrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention verstoße. Laut Amnesty sitzen derzeit mehr als 10.000 Menschen, darunter 2000 Frauen und Kinder, in solchen Lagern fest. Das sind mehr als doppelt so viele wie noch vor wenigen Monaten.

Spanien sieht in Marokko einen zentralen Partner

Tausende Migranten und Flüchtlinge versuchen derzeit jeden Monat, über Marokko nach Spanien zu gelangen. Nach UN-Zahlen sind 2017 bereits rund 24.000 Menschen auf diesem Weg über das Mittelmeer gekommen – es ist der kürzeste überhaupt, die Straße von Gibraltar ist an der schmalsten Stelle nur 14 Kilometer breit. Spanien hat damit sogar Italien abgelöst, das am meisten Menschen aufnimmt.

Die neue spanische Regierung sieht in Marokko einen zentralen Partner bei der Bewältigung der Herausforderung. Aus Madrids Sicht könnte der nordafrikanische Staat eine „Schlüsselrolle bei der Ordnung der Migrationsströme spielen“. Spanien hat in den vergangenen Jahren bereits eine ganze Reihe von bilateralen Abkommen mit den Ländern im Nordwesten Afrikas geschlossen, um die Migration zu kontrollieren.

Marokkos Haltung in der Flüchtlingspolitik ist allerdings sehr ambivalent, und es gibt den Vorwurf, dass die Behörden Migranten einfach durchwinken, um den Druck auf die EU zu erhöhen. Das Land will mehr Hilfen von der EU. Bereits im Juni hatte die EU Marokko und Tunesien 55 Millionen Euro im Kampf gegen das Schleuserwesen zugesagt. Die Regierung Marokkos geht wenig zimperlich gegen Migranten und Flüchtlinge vor. Nach Angaben des Marokkanischen Verbands für Menschenrechte (AMDH) haben die Behörden in den vergangenen Tagen Hunderte Menschen aus der Küstenregion ins Landesinnere deportieren lassen.

Auch ließen sie mehrere Zeltlager nahe der spanischen Exklave Melilla zerstören und die dort lebenden Menschen in den Süden bringen. Nach Berichten des AMDH seien sie teils mit Handschellen aneinander gekettet worden. Auch in Tanger gingen Sicherheitskräfte massiv gegen Flüchtlinge und Migranten vor. Der AMDH wirft den Behörden schwere Menschenrechtverletzungen vor, diese sprachen aber von einem „Einsatz im Rahmen des Kampfes gegen illegale Migration“. 1600 bis 1800 Menschen seien in Gebiete gebracht worden, in denen „bessere Lebensbedingungen“ herrschten.

Der Hauptgrund für die Verlagerung der Fluchtrouten nach Westen ist aber, dass die anderen Wege immer unüberwindbarer werden. Die Balkanroute ist so gut wie abgeriegelt, das EU-Türkeiabkommen sorgt dafür, dass sehr viel weniger Menschen nach Griechenland kommen, und Italien hat seine Anstrengungen verstärkt, die zentrale Mittelmeerroute zu blockieren. Die neue populistische Regierung in Rom lässt keine privaten Rettungsschiffe mehr in italienischen Häfen anlegen. Derzeit irrt die „Aquarius“ der Hilfsorganisation SOS Méditerranée erneut mit 141 Menschen an Bord durch das Mittelmeer. Italien lässt derweil der libyschen Küstenwache weitere zwölf Patrouillenboote zukommen.

Italien dringt darauf, die Dublin-Verordnung zu überwinden, nach der das Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling oder Migrant zum ersten Mal europäischen Boden betrit. Auch Merkel sagte am Wochenende deutlich, dass sie Dublin für nicht mehr funktionsfähig halte.

Sowohl Linke als auch Grüne im Bundestag haben das gegenüber der FR scharf kritisiert. Luise Amtsberg, flüchtlingspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, warf Merkel vor, keine Lösungen für das Problem zu haben: „Die Bundesregierung muss auch die richtigen Lehren ziehen und endlich ihren flüchtlingspolitischen Kurs neu ausrichten.“ Auch die linke Innenexpertin Ulla Jelpke fordert: „Dringender denn je muss das gescheiterte und von Beginn an ungerechte Dublin-System aufgegeben und ersetzt werden durch ein solidarisches Prinzip der Flüchtlingsaufnahme und einer gerechten Verantwortungsteilung in der EU.“

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