Im Daten-Sumpf der vernässten Moore

Die Regierung setzt auf Moore, um Emissionen einzusparen. Doch wie viel genau, ist unklar
Moore speichern große Mengen des Treibhausgases CO2. Wenn solche, die für die Landwirtschaft trockengelegt wurden, wieder vernässt werden, ist das gut für das Klima. Doch wie viel tragen sie bisher zum Klimaschutz bei? Mitte März will das Umweltbundesamt (UBA) die vorläufige offizielle CO2-Bilanz für 2022 vorlegen. Dies wird ebenso hektische wie weitgehend ergebnislose Aktivitäten in den Ministerien auslösen, die ihre vom Klimaschutzgesetz vorgegebenen CO2-Budgets überzogen haben.
Allerdings wird die Bilanz unvollständig bleiben. Fehlen werden die Emissionen aus dem Bereich „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft“, anhand der englischen Begriffe dafür abgekürzt „LULUCF“. Hier geht es um Agrarflächen, Feuchtgebiete oder Wälder.
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Die aktuellsten Statistiken dazu sind Schätzungen des UBA für 2021. Ihnen zufolge entlastete die Landnutzung, vor allem der Wald, in Deutschland die Emissionsbilanz in dem Jahr um 11,5 Millionen Tonnen CO2. Diese Angabe sei aber „sehr unsicher“, räumt die Behörde selbst auf ihrer Website ein. Verlässliche Emissionsangaben für LULUCF gibt es derzeit nur bis 2020. Dabei ist es nicht so, dass bei den deutschen Klimazielen die Landnutzung keine Rolle spielen würde. Ihr Beitrag zur CO2-Minderung soll laut Klimagesetz bis 2030 auf 25 Millionen Tonnen im Jahr steigen, sich also mehr als verdoppeln.
Zu dieser Verminderung von Treibhausgasen soll vor allem die Wiedervernässung ehemaliger Moorböden beitragen. Aus diesen gasen derzeit noch jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen CO2 aus. Die Menge soll 2030 um fünf Millionen Tonnen niedriger liegen und so die LULUCF-Bilanz deutlich verbessern. Bis 2030 sind noch acht Jahre Zeit. Rein rechnerisch müssten die Emissionen aus Mooren also jedes Jahr um mehr als 600 000 Tonnen sinken. Das ist der Maßstab.
Bundesländer sind für den Klimaschutz mit Mooren zuständig
Was dazu letztes Jahr schon erreicht wurde oder wie zumindest der bundesweite Trend bei vernässten Mooren aussieht, kann bis dato aber niemand sagen – so lassen sich die Antworten auf Anfragen an diverse Behörden zusammenfassen.
Das für die deutsche CO2-Bilanzierung zuständige Umweltbundesamt befasst sich gar nicht speziell mit den Mooren, teilt die Behörde mit. Das UBA lässt die LULUCF-Bilanz, vereinfacht gesagt, so bestimmen: Über die Landfläche Deutschlands wird ein Stichproben-Netz mit rund 36 Millionen Punkten gelegt, mit dem die verschiedenen Landnutzungsformen erfasst werden sollen. Anhand von Emissionsfaktoren für verschiedene Nutzungen werden dann Ausstoßwerte bestimmt. Außerdem könnten im Rahmen der UN-Klimaberichterstattung kurzfristig wieder vernässte Flächen „nicht isoliert betrachtet werden“, erklärt das UBA weiter. Aber wer betrachtet dann die Moore „isoliert“?
Möglicherweise sind es die für den Moorschutz zuständigen Bundesländer. Entscheidend für die deutsche Moorbilanz sind dabei die Länder mit den höchsten Anteilen an ehemaligen Moorböden. Dabei handelt es sich um Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Bayern und Baden-Württemberg.
Geld für Moorschutz
Das Umweltbundesamt hat in einer Studie die Kosten der Wiedervernässung der Moorflächen in Deutschland untersucht.
Mehr als 92 Prozent der Moorflächen seien in Deutschland derzeit trockengelegt.
Um klimafreundlich zu sein , muss der Wasserstand im Moor so hoch sein, dass der im Torf gebundene Kohlenstoff nicht freigesetzt werde. Dann sei aber eine herkömmliche landwirtschaftliche Nutzung der Böden nicht möglich. Andere Pflanzen ließen sich anpflanzen, wenn der Anbau von entsprechenden Förderprogrammen flankiert werde. epd
Auf Nachfragen, wie viele Hektar Moorfläche 2022 vernässt wurden und wie viel CO2 damit potenziell eingespart wurde, antworteten die zuständigen Ministerien Niedersachsens und Bayerns gar nicht. Aus Baden-Württemberg kam die barsche Auskunft, man solle sich an die vier Regierungspräsidien im Bundesland wenden. Brandenburg versprach wenigstens, die Daten selbst aus „nachgeordneten Behörden“ einzusammeln. Einen Monat später lassen die Angaben aber weiter auf sich warten.
Dagegen lohnte sich bei Mecklenburg-Vorpommern das Warten. Das Umweltministerium teilt nach einem Monat allerdings mit, die Daten seien nicht vollständig, weil das Landesumweltamt zwar teilweise die „Bewilligungsbehörde“, aber keine „Genehmigungsbehörde“ für Wiedervernässungsprojekte von Landkreisen, Stiftungen oder Unternehmen sei.
Anders gesagt: Was in Mecklenburg-Vorpommern mit ehemaligen Mooren passiert, kann die Landesregierung erfahren, muss sie aber nicht. Unter dem Vorbehalt teilt das Ministerium in Schwerin mit: 2022 seien sechs abgeschlossene Moor-Projekte mit einer Gesamtfläche von 186 Hektar bekannt. Davon seien 112 Hektar intensiv bewirtschaftetes Grünland gewesen, die nun künftig „nasses“ Grünland würden. Letzteres ist keine echte Wiederherstellung eines Moores. Steht beim „nassen“ Grünland das Wasser den größten Teil des Jahres in der Flur, liegen die Emissionen klimaschädlicher Gase bei plus/minus null, wie das Ministerium erläutert. Es bildet sich aber kein neuer Torf. Zu einer CO2-Senke und damit zu einem richtigen Klimaschützer entwickelt sich das Moor also nicht.
Klimaschutz mit Mooren: Informationssysteme geplant
Wie viel CO2 durch die Vernässungen eingespart wurde, kann das Schweriner Umweltministerium nicht beziffern. Die Messung der Treibhausgas-Emissionen werde in Zukunft aber Teil der Förderinstrumente sein, lässt es wissen.
Nur ein einziges der großen Moorländer weiß offenbar genauer, was 2022 mit den Ex-Mooren im Lande passierte: Schleswig-Holstein. Für den Großteil der Wiedervernässung im Land zeichne die Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein verantwortlich, erläutert das Umweltministerium in Kiel. Nach den Angaben wurde in Schleswig-Holstein auf 330 Hektar mit der Wiedervernässung begonnen. Das werde mittelfristig rund 3 600 Tonnen CO2 pro Jahr vermeiden, rechnet das Ministerium vor.
Möglicherweise wird es künftig leichter, sich durch den Daten-Sumpf bei den Mooren zu kämpfen. Die Länder seien dabei, Moor-Informationssysteme aufzubauen, ist von der Bundesebene zu hören. Die sollen künftig einen Überblick über durchgeführte und geplante Schritte im Moorschutz erlauben – und auch über erzielte Treibhausgaseinsparungen. Große Eile scheinen die Länder aber nicht an den Tag zu legen. Wer steht schon gern mit verpassten Klimazielen in der Öffentlichkeit? Zumal Klimaschützer:innen die fünf Millionen Tonnen Moor-Einsparung für ein viel zu schwaches Ziel halten, wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will.