„Ich habe gelernt, dass das Private politisch ist“

Bayerns grüne Spitzenkandidatin Katharina Schulze über die Vereinbarkeit von Politik und Familie, ungebetene Ratschläge und die Rolle von Vätern.
Es ist ein ungewöhnliches Interview. Wir treffen Katharina Schulze (Grüne) und ihren Sohn vor dem Landtag in München. Er wird in ein paar Wochen zwei Jahre alt – und will jetzt auf einen Spielplatz! Sein Vater ist Danyal Bayaz, grüner Finanzminister von Baden-Württemberg. Die Mama kandidiert im Herbst als Spitzenkandidatin zur Landtagswahl in Bayern. Eine Familie zwischen Kita und Spitzenpolitik in zwei Bundesländern – wie funktioniert das? Ein Gespräch im Sandkasten.
Frau Schulze, wie viel haben Sie letzte Nacht geschlafen?
Wenig. Aber das lag nicht so sehr am Kind. Ich hatte abends eine Podiumsdiskussion zum Thema Energiesicherheit und bin viel zu spät ins Bett. In der zweiten Nachthälfte ist dann der Kleine ein paarmal aufgewacht.
Der Politikbetrieb ruht fast nie, fast jeden Abend stehen Termine an. Wie kriegt man das alles unter einen Hut?
Mit einer mega-guten Organisation, wie es wohl alle Eltern kennen. Jedes Rädchen muss ins andere greifen – und wenn nur eines wackelt, bricht alles zusammen. Gerade weil wir eine besondere Situation in der Familie haben. Wir planen alle Termine sehr, sehr lange im Voraus. Eigentlich sind wir schon bis zum Wahltermin durchgeplant.
Wer hilft Ihnen?
Die Kita! Und die Großeltern. Ohne die würde es nicht gehen.
Im Wahlkampf dürfte das fast täglich der Fall sein.
Eins ist klar: Der Wahlkampf läuft diesmal anders als 2018. Die Touren werden anders geplant, so dass der Kleine auch mal mitkommen kann. Bei meiner großen Tour im Sommer hat dann auch Danyal mehr Zeit, weil in Baden-Württemberg dann parlamentarische Sommerpause ist.
Stuttgart ist nicht ums Eck ...
... aber Berlin wäre weiter (lacht). An den Wochenenden hat er schon genug Zeit.
Dummerweise ist dieses Bayern sehr groß. Mal eben nach Aschaffenburg ist schwer.
Als ich schwanger war, haben Leute zu mir gesagt: „Das wird furchtbar. Kannst du überhaupt Fraktionsvorsitzende bleiben?“ Ich war irritiert, weil ich diesen Gedanken nie hatte und bezweifle, dass man das einen Mann gefragt hätte.
Kam das böse Erwachen?
Nein. Man muss sich frei machen von den Beschränkungen, die man im Kopf hat oder die einem andere einreden. Man muss für sich als Familie sehen, was funktioniert. Das ändert sich auch, je nachdem, in welcher Phase das Kind ist.
Und wenn der Kleine krank ist?
Dann improvisieren wir – wie jede Familie. Bei unserer Fraktionsklausur zum Beispiel war alles geplant: Der Kleine und die Oma sollten drei Tage mitkommen. Dann wurde er krank, aber es war klar, dass ich die Klausur nicht absagen kann. Also ist Danyal gekommen und hat sich gekümmert.
Gleichberechtigung ist für Grüne ein großes Thema. Bei Ihnen klingt das jetzt nicht völlig gleich.
Nein, auf eine 50-50-Verteilung kommen wir sicherlich nicht. Ich übernehme mehr Sorgearbeit. Das weiß ich, das weiß Danyal. Aber das ist auch den räumlichen Umständen mit zwei Wohnorten geschuldet.
Sind Sie öfter in Stuttgart?
Zur Person
Katharina Schulze (37) ist seit 2009 für die Grünen in Bayern aktiv. 2013 wurde sie erstmals in den Landtag gewählt. Wie 2018 tritt die Fraktionsvorsitzende nun auch im Oktober zusammen mit ihrem Parteikollegen Ludwig Hartmann als Spitzenduo zur Bayernwahl an. FR
Wir waren gerade mal wieder ein paar Tage dort. Aber ich pendle in der Regel nicht am Wochenende. Der Familiensitz ist München.
Eine der Töchter von Horst Seehofer hat über dessen Berliner Zeit gesagt: Unter der Woche hat er ein, zwei Mal angerufen.
Das war aber auch eine andere Zeit. Mit Festnetz! Die Möglichkeiten der modernen Kommunikation machen da vieles leichter. Der Kleine kann schon facetimen (Videochat per mobilem Endgerät, Anm. d. Red.). Das machen wir in der Früh und am Abend. Danyal vermisst den Kleinen ja auch.
Auch die Familien haben sich geändert: Sie würden es wohl nicht akzeptieren, die Erziehung allein zu übernehmen?
Mein Mann würde das auch nicht wollen. Wir wollten beide dieses Kind und gute Eltern sein. Das gelingt uns gut, aber natürlich gibt es auch schwierige Momente. Manchmal fällt man abends durchgeschwitzt ins Bett und ist froh, wenn man die Augen zumachen kann. Aber das geht anderen Eltern genauso.
Wie viele ungebetene Ratschläge bekommen Sie.
Einige. Meine Lehre ist: Löse dich davon, wie andere über dich urteilen.
Was bekommen Sie zu hören?
Ich war mal abends mit dem Zug auf dem Weg nach Berlin, als mir eine Frau auf Instagram schrieb: „Der arme Bub wird sicher mal einen psychischen Schaden haben, weil die Mutter nie da ist.“ Das hat mich geärgert. Und dann habe ich mich geärgert, weil ich mich geärgert habe.
Warum?
Zum einen, weil kaum ein Mann auf Dienstreise so eine Nachricht bekäme. Zum Zweiten fand ich es auch Danyal gegenüber respektlos, weil er den Kleinen genauso gut ins Bett bringen kann. Von solchen Vorwürfen muss man sich frei machen. Es muss für uns als Familie passen, alles andere ist egal.
Sie reden offen über das Thema.
Ich habe gelernt, dass das Private politisch ist. Ich bekomme Nachrichten von Frauen, die sich bedanken. Weil sie sehen, dass es möglich und akzeptiert ist, als Mutter voll berufstätig zu sein.
Wie weit sind wir mit der Gleichberechtigung? Hier am Spielplatz sind vor allem Mütter mit Kindern.
Man muss nur die Zahlen anschauen. Viele Männer nehmen – wenn überhaupt – nur zwei Monate Elternzeit. Das liegt zum einen an den Strukturen: Frauen verdienen immer noch weniger als Männer für die gleiche Arbeit, das Ehegattensplitting zementiert Rollenbilder am Arbeitsmarkt. Da müssen wir ran. Und die Betreuungseinrichtungen müssen besser ausgestattet werden. Wir brauchen mehr Erzieherinnen und Erzieher, die besser bezahlt werden. Aber wir brauchen auch einen gesellschaftlichen Wandel, vor allem Männer, die beim Arbeitgeber auf Zeit für die Familie pochen.
Damit sind wir mitten in der politischen Debatte.
Absolut. Ich denke, alle Eltern kennen das. Ich erwarte, dass wir beim Bildungsnotstand in Kitas und Schulen umsteuern. Wenn wir das in den nächsten fünf Jahren nicht hinbekommen, laufen wir sehenden Auges in eine Katastrophe. Frauen müssen arbeiten können, wie sie es selbst wollen! Übrigens, auch angesichts des Fachkräftemangels wäre es volkswirtschaftlicher Irrsinn, wenn wir das Potenzial nicht heben. Von der Altersarmut für Frauen ganz zu schweigen.
Sie werden emotional.
Leidenschaftlich emotional. Familienpolitik wird oft als „weiche“ Politik abgetan. Dabei ist es knallharte Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Aber von Markus Söder habe ich dazu noch nie etwas gehört.