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Hiroshima sorgt sich um sein Image

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Von: Felix Lill

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Das Grand Prince Hotel Hiroshima (vorne Mitte) ist Schauplatz des G 7-Gipfels vom 19. bis 21. Mai. Imago Images
Das Grand Prince Hotel Hiroshima (vorne Mitte) ist Schauplatz des G 7-Gipfels vom 19. bis 21. Mai. © Kyodo News/Imago

Die westjapanische Stadt, 1945 von einer Atombombe verwüstet, sieht sich als Metropole des Friedens. Wenn nun hier der G7-Gipfel tagt, könnte der pazifistische Glamour verloren gehen.

Und da hinten steht der Atomic Dome“, erklärt Kenichi Harada und dreht sich ein Stück zur Seite. „Der Dome ist so ziemlich das einzige Gebäude hier, das von der Bombe nicht völlig vernichtet wurde.“ Einige Sekunden lang sei es über Hiroshima derart heiß geworden, dass sogar Stahl schmolz, ganze Häuser zu Asche wurden und dann mit dem Wind verschwanden. „Im ‚Atomic Dome‘ wurden damals lokale Produkte gehandelt“, doziert der drahtige, ältere Herr. Und der Bau blieb nur deshalb stehen, weil der Wind knapp dran vorbei blies. Sonst wäre von der Innenstadt gar nichts geblieben.

Heute ist diese Ruine, die wegen ihres Kuppelturms „Dome“ genannt wird, das Wahrzeichen von Hiroshima. Nichts anderes erinnert so bildlich an das, was hier am 6. August 1945 geschah: Um kurz nach acht Uhr morgens detonierte eine von den USA gebaute Atombombe 600 Meter oberhalb der Dächer. Mit dem Atompilz entstand ein sonnengleicher Feuerball. In den Tagen nach diesem ersten Atombombenangriff der Geschichte starben fast 65 000 Menschen, bald verdoppelte sich die Opferzahl. Als drei Tage später auch Nagasaki mit einer Bombe zerstört wurde, kapitulierte Japan.

Diese Stadt sollte zu einem Exempel werden, das die ganze Welt vor den Zerstörungen von Krieg warnt

Der Zweite Weltkrieg war zu Ende. Und in Hiroshima schwor man sich: Diese Stadt würde zu einem Exempel werden, das nicht nur Japan, sondern die ganze Welt vor den Zerstörungen von Krieg warnt. Der 78-jährige Kenichi Harada ist Teil dieser Bewegung. Jede Woche führt der Pensionär, sichtbar stolz gekleidet in ein grünes T-Shirt mit der Aufschrift „Friedensvolunteer“, Interessierte durch den „Friedenspark“ im Stadtzentrum, wo eben auch der „Atomic Dome“ steht. Hier gibt es praktisch nichts, das nicht an die Bombe und die daraus zu ziehenden Lehren erinnern soll.

„Der Springbrunnen da drüben erinnert an die Menschen, die an jenem Tag auf der Suche nach Wasser starben“, erklärt Harada und stapft weiter nach vorne, wo eine Flamme fackelt. „Der Kessel, in dem hier das Feuer brennt, symbolisiert zwei Hände, die die Flamme gemeinsam leuchten lassen.“ Dabei gehe es um Versöhnung. Und kurz dahinter, auf derselben Achse, die zum „Atomic Dome“ führt, wird unter einem massiven Stein eine Liste der Bombenopfer aufbewahrt. Darüber steht in japanischen Lettern ein Satz geschrieben, der sich in etwa übersetzen lässt mit: „Nie wieder Krieg.“

Die Sicherheitsstufe rund um den „Friedenspark“ ist derzeit hoch. Imago Images
Die Sicherheitsstufe rund um den „Friedenspark“ ist derzeit hoch. © Kyodo News/Imago

Diese Botschaft könnte es auch geben, wenn Hiroshima in dieser Woche die wichtigsten Vertreter der führenden Industrienationen empfängt. Zum G7-Gipfel vom 19. bis zum 21. Mai kommen neben Gastgeber Japan die Staats- bzw. Regierungschefinnen und -chefs der USA, Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas und Italiens . Gerade gegenüber Russland, das im Februar 2022 erneut die Ukraine angriff und zuletzt mit der Nutzung von Atomwaffen drohte, werden sie ihre Verachtung betonen. Und für Gruppenbilder, die Friedensbotschaften in die Welt senden, könnte sich keine Stadt besser eignen als Hiroshima.

Aber ausschließlich um Pazifismus wird es hier kaum gehen. „Dieser G7-Gipfel wird der wichtigste in der japanischen Geschichte“, hat Ministerpräsident Fumio Kishida erklärt. Der konservative Politiker, der auch Atombombenopfer zu seinen Familienmitgliedern zählt, führt seit seinem Amtsantritt im Oktober 2021 die Agenda seines Vorgängers Shinzo Abe fort: Das seit der Nachkriegszeit pazifistisch eingestellte Japan soll nicht nur Wirtschafts-, sondern auch Militärmacht sein. Gerade gegenüber dem Rivalen China will sich Japan, flankiert von potenten Freunden, als Asiens Hegemon zeigen.

Diverse pazifistische Werke der Popkultur haben Hiroshima zu ihrem Schauplatz erkoren

Und in Hiroshima macht diese Aussicht nervös. Wie kaum eine andere Stadt der Welt ist sie in die Friedensbewegung integriert. Diverse pazifistische Werke der Popkultur – von Manga über Musik bis Film – haben diese westjapanische Stadt zu ihrem Schauplatz erkoren. Von hier wird auch die Initiative „Mayors for Peace“ gemanagt, mit der sich mehr als 8200 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister rund um die Welt für nukleare Abrüstung einsetzen. „Wir drängen die Anführer der G7 dazu, sich für internationalen Austausch einzusetzen und auf Abrüstung zu dringen“, forderten sie letzte Woche.

Auch Kenichi Harada, der Touristenführer, kann sich einen Appell nicht verkneifen. „Ich glaube, wenn Premier Kishida allzu sehr die Abschreckung gegenüber China und Russland betont, wäre das nicht gut für uns.“ Harada, der einige Monate vor Ende des Zweiten Weltkriegs geboren wurde und in den Trümmern der Nachkriegszeit aufwuchs, wisse, wovon er spricht. „Krieg ist immer eine Katastrophe. Egal, wer ihn führt.“

Nicht nur Kenichi Harada macht sich Sorgen, dass beim G7-Gipfel in Hiroshima diverse Friedensbotschaften zu Lippenbekenntnissen verkommen, stattdessen eine Aufrüstungsspirale beschleunigt wird. Zwar hat Fumio Kishida angekündigt, er wolle den G7-Gipfel dazu nutzen, für eine Welt ohne Atomwaffen zu werben. Dies in Hiroshima nicht zu tun, käme allerdings auch Geschichtsvergessenheit gleich. Interessanter hierbei: Angesichts der angespannten geopolitischen Lage wird Japan von der Atommacht USA kein Statement für nukleare Abrüstung erwarten.

Kenichi Harada führt Interessierte zu den Gedenkstätten. Lill
Kenichi Harada führt Interessierte zu den Gedenkstätten. © Felix Lill

Für viele Menschen und Politiker:innen aus Hiroshima wird der Gipfel wohl schon deshalb zu einer Enttäuschung. Man merkt es auch in einer der führenden Hochschulen der Stadt. Neun Kilometer nordwestlich vom einstigen Ground Zero erklärt Yasuhiro Inoue, Professor für Medienwissenschaften an der Hiroshima City University, seinen Studierenden die Geschichte des geheimen Manhattan Project, mit dem die USA einst die Bombe bauten. „Zuerst sollte Deutschland getroffen werden“, führt Inoue aus. „Aber im Mai 1943 wurde Japan zum Ziel erklärt.“

Eine der Studentinnen macht besonders viele Notizen. Immer wieder schaut sie von ihrem Schreibblock an den Projektor, der eine Zeitreihe mit den Meilensteinen auf dem Weg zur Atombombe zeigt. „Ich wünsche mir, dass es beim G7-Gipfel vor allem um Frieden geht“, sagt die 19-jährige Nonoka. „Nur dann ergibt es doch Sinn, dieses Treffen in Hiroshima zu veranstalten.“ Nonoka fürchtet um den Ruf ihrer Heimatstadt: „Wir verlieren doch unsere Glaubwürdigkeit als Ort des Friedens, wenn die G7-Staaten hier gegen China und Russland mit Aufrüstung drohen.“

„Die G7-Gipfel sind doch eher Medienereignisse“, findet Professor Inoue

Kritische Kommentatoren lästern, dass bei der Frage, wo Japan während seines G7-Vorsitzes 2023 das Gipfeltreffen veranstalten würde, die Wahl gerade wegen des pazifistischen Rufs auf Hiroshima fiel. Professor Yasuhiro Inoue huscht ein bitteres Lächeln über das Gesicht, wenn er nach seiner Vorlesung sagt: „Wer im Friedenspark vor dem Atomic Dome für ein Foto posiert und dann von den Gräueln des Krieges erzählt, scheint doch erstmal recht zu haben.“ Ob auf dem Rücken dieser vermeintlichen Friedfertigkeit dann ordentlich aufgerüstet werde, gerate dann schnell in den Hintergrund.

So ist Yasuhiro Inoue auch gar nicht so besorgt um die pazifistische Reputation Hiroshimas. „Wer erinnert sich ein Jahr nach dem Gipfel noch an das Abschlussstatement eines G7-Gipfels?“ Zwar seien die Treffen durchaus von Bedeutung. Allerdings würden dort kaum Erklärungen abgegeben, die nicht auch schon vorher bekannt waren. „Die G7-Gipfel sind doch eher Medienereignisse“, findet Inoue. „Die Regierungschefs dieser sieben Nationen demonstrieren ihre Einigkeit und der Rest der Welt soll das auch so wahrnehmen.“ Und das scheint insofern auch halbwegs zu funktionieren.

Nonoka fürchtet um den Ruf ihrer Heimatstadt. Lill
Nonoka fürchtet um den Ruf ihrer Heimatstadt. © Felix Lill

Die Regierung Chinas, an die in dieser Woche vermutlich eine deutliche Forderung gerichtet wird, sich nicht auf die Seite von Wladimir Putins Russland zu schlagen, scheint im Vorfeld des G7-Gipfels um Ablenkung bemüht. Die kleineren der G7-Mitgliedsstaaten wurden von Peking dazu aufgefordert, ihre „strategische Autonomie“ zu wahren. Mit anderen Worten: Sie sollten sich nicht von Chinas derzeit größtem Rivalen, den USA, herumkommandieren lassen. China habe „Angst vor dem Druck der G7“, interpretierte daraufhin die japanische Nachrichtenagentur Kyodo.

Es ist eine Rhetorik, die nicht so recht zu einer Friedensstadt passen will. Aber, gibt Yasuhiro Inoue zu Bedenken, zu Hiroshima passe sie vielleicht dennoch. Denn die Stadt von heute 1,1 Millionen Menschen pflege von sich ohnehin ein Image, das etwas pazifistischer ist als die Wahrheit war. „Es stimmt, dass in Hiroshima ein wichtiger Stützpunkt der japanischen Armee für den Krieg war“, hat Touristenführer Kenichi Harada auf seiner Tour durch den Friedenspark gesagt. Auch in Hiroshima haben viele Japanerinnen und Japaner den Angriffskrieg ihres Staates bis zum Ende unterstützt.

Über die japanischen Grausamkeiten, die die Vorgeschichte bildeten, ist wenig zu erfahren

Allerdings erfährt man hiervon wenig, wenn man nicht ausdrücklich nachfragt. Auch das Friedensmuseum, der wichtigste Anziehungspunkt Hiroshimas für Tourist:innen aus dem Ausland, erzählt von japanischen Aggressionen im Krieg fast nichts. Die Hauptausstellung beginnt dort mit einer Erzählung vom schönen Wetter, mit dem der 6. August 1945 begann. Und dann fiel, sprichwörtlich aus heiterem Himmel, eine Atombombe, die das schöne Hiroshima zerstören sollte.

Über den grausamen Bombenabwurf des damaligen japanischen Gegners USA wird dort viel erzählt. Über die japanischen Grausamkeiten, die die Vorgeschichte bildeten, erfahren Besucher:innen wenig. Zynische Stimmen sagen über Hiroshima dieser Tage, dass ein G7-Gipfel, der pazifistische Beteuerungen mit Verständigungen über Aufrüstung vermischt, vielleicht sogar ziemlich gut zur westjapanischen Stadt passen. Auch wenn das kaum jemand in Hiroshima offiziell sagen würde.

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