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High sein, frei sein, Terror muss dabei sein

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"Burn, warehouse burn": Kaufhausbrand in Frankfurt 1968
"Burn, warehouse burn": Kaufhausbrand in Frankfurt 1968 © dpa

Bombenanschläge in Italien, Aufstände in amerikanischen Großstädten - der Kampf in den Siebzigern beschränkte sich nicht auf die Bundesrepublik. Arno Widmann über die unaufhaltsame Ausbreitung eines Kultes der Gewalt.

Von xxawi

Der deutsche Terrorismus ist ein kleiner Nebenkriegsschauplatz des internationalen Terrorismus der 70er Jahre. Man muss nur daran denken, wie in den USA damals der Übergang von ballot zu bullet - vom Stimmzettel zur Kugel - propagiert und in die Tat umgesetzt wurde.

Es gab Anfang der 70er Jahre keinen Monat, in dem in einer der amerikanischen Großstädte nicht mindestens ein Aufstand aufgeflammt wäre. Es gab keine amerikanische Großstadt, in der nicht bewaffnete Gruppen ganze Stadtteile kontrollierten.

Die Macht aus den Gewehrläufen

In Italien gab es nicht nur rechte und linke Bombenattentate mit Hunderten von Verletzten, es passierte auch einfachen Abteilungsleitern, dass sie auf der Fahrt zur Arbeit in einem Bus in die Beine geschossen wurden. Von Linksradikalen, deren Organisationen es sich zur Aufgabe gemacht hatten, den Klassenkampf auf diese Weise zu führen.

Die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt hatten in den sechziger Jahren klargemacht, dass auch im Atomzeitalter die Macht aus den Gewehrläufen kommen kann. Diese Lektion hatte großen Eindruck gemacht. Nicht so sehr auf die großen Parteien in den Metropolen, als vielmehr auf Künstler, Denker und die überall sich regende Opposition. Man denke nur an den Algerienkrieg, der ja über Jahre auf beiden Seiten auch mit terroristischen Mitteln geführt wurde. Man lese nach, was Frantz Fanon und Jean-Paul Sartre darüber geschrieben und daraus gefolgert haben.

"Weil er so gut aussah"

Es gab eine Kultur und es gab einen Kult der Gewalt. Sie gingen bruchlos ineinander über. Überall auf der Welt. Die Bilder von japanischen Studenten, die in friederizanischer Disziplin zu Hunderten, jeder mit einem Molotowcocktail in der Rechten, in die Demo gingen und die Polizei regelmäßig in die Flucht schlugen, brachten die Nachrichten in jeden zweiten Haushalt der Bundesrepublik. Das weckte den Ehrgeiz bei vielen.

Das Bild des Che hing in Tausenden, wenn nicht in Zehntausenden Wohnungen. "Weil er so gut aussah", hört man heute oft. Nein, weil er gut aussah und den Weg der Gewalt gegangen war. Wäre er Wirtschaftsminister in Kuba geblieben, es wären nicht weltweit Hunderttausende, wenn nicht Millionen hinter seinem Bild hermarschiert.

Gewalt und Terror waren kein Privileg der radikalen Linken. Neben den Weathermen gab es in den USA den Ku-Klux-Klan und es gab die Regierung, die nicht nur in Südostasien niederbombte, was ihr nicht passte. In Chile wurde eine demokratisch gewählte Regierung gewaltsam niedergeputscht. Von den Oppositionsgruppen waren für die radikale Linke in Deutschland allein die wichtig, die bereit waren, in Chile den bewaffneten Kampf zu führen.

"Ein bisschen wie meine Helden"

Die damalige Begeisterung über die Django-Filme ist heute kaum noch nachzuvollziehen. Man muss sich klarmachen, wie sehr junge Männer und - deutlich weniger - junge Frauen in Westeuropa sich danach sehnten, mit einem Revolver, ein paar Bomben dem Bösen den Garaus zu machen. Wie schnell sie dabei selbst zu den Bösen wurden, das sahen sie nicht. Der amerikanische Film feierte in Zeitlupe die Ästhetik von kugelnzerfetzter Leiber. Sam Peckinpah, Sohn eines kalifornischen Richters, zeigte 1969 in "The Wild Bunch - Sie kannten kein Gesetz" (zwei Jahre zuvor war Arthur Penns "Bonnie und Clyde" herausgekommen), wie aus Menschen Gewalttäter und aus ihnen Mythen werden.

Von dieser symbolischen Gewalt zur realen ist nur ein Schritt. Sam Peckinpah erklärte in einem Interview: "Wenn ich darüber nachdenke, was mit mir in Hollywood passiert ist, so wünsche ich mir, ich wäre ein bisschen wie meine Helden." Peckpinpah war zu klug, zu feige für diesen Schritt. Andere sind ihn gegangen. In den USA, in Europa, überall. Die Kunst Peckinpahs war aber selbst auch nur ein Nebenprodukt einer weltweiten terroristischen Wirklichkeit.

Aber es wäre ganz falsch sich vorzustellen, der reale Terror sei von der Kunst nur reflektiert worden. Der Furor der Zerstörung, nicht nur ein Hauptthema, sondern auch ein wesentlicher Antrieb der Westkunst nach 1945, hat in einigen Ländern - darunter auch in der Bundesrepublik - eine sehr deutliche Rolle bei der Herausbildung der terroristischen Ideologie und Praxis gespielt. Der Berliner Kommunarde Dieter Kunzelmann hatte eine Vorgeschichte als fränkischer Situationist und eine Nachgeschichte als Terrorist und Parteikader.

"Burn, warehouse, burn"

Die Lust aus der Sprache der symbolischen Aktionen - man stellt sich als Polizist verkleidet auf eine Kreuzung und regelt den Verkehr - hinüberzugehen zu einer realen und einen Anschlag auf das jüdischen Gemeindehaus in Berlin durchzuführen, scheint unwiderstehlich gewesen zu sein. Auch die Zeile "High sein, frei sein, Terror muss dabei sein" begann ihre Karriere als frecher Spruch, der vor allem ironisch gemeint war, bis er umschlug in buchstabengetreuen, wahnhaften, blutigen Ernst.

Dass sowohl Terror wie auch Drogen als Freiheitsbringer verkauft wurden, obwohl sie die entschiedensten Feinde der Freiheit des Einzelnen und der Gesellschaft sind, sagt alles über den Zustand der Verblendung, in dem große Teile der rebellierenden Jugend der 60er und 70er Jahre sich befanden. Sie waren aber damals nicht allein. Als im Mai 1967 in Brüssel ein Kaufhaus abbrannte, erschien in Berlin ein Flugblatt, in dem es hieß: "Bei aller menschlichen Tragik, die im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, können wir dem Kühnen und Unkonventionellen darin unsere Bewunderung nicht versagen." In einem zweiten Flugblatt hieß es: "Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf (den Vietnamkrieg) gegeben: Burn, warehouse, burn."

In dem den Autoren des Flugblattes - Rainer Langhans, Fritz Teufel - gemachten Prozess erklärte die Crème de la Crème der deutschen Literaturwissenschaft jener Jahre, es handele sich um surrealistische Texte, die als Handlungsanweisung zu lesen, von völliger literarischer Blindheit zeuge. Im April 1968 brannte es in den Frankfurter Kaufhäusern Schneider und Kaufhof. Täter waren Künstler und solche, die es inzwischen nicht mehr werden wollten, und eine Pfarrerstochter. Alles literarisch hochgebildete Leute. Man ahnt, dass bei dem Gutachten die politische Blindheit der Ästhetik und die ästhetische Blindheit des Sympathisantentums eine sehr gefährliche Verbindung eingegangen waren.

Der Terrorismus jener Jahre ist nicht nur ein Produkt der Politik. Er ist Teil der westlichen Kultur jener Zeit. Sie hat ihn und er hat sie geprägt. Man versteht die betonte Körperlichkeit des living theatre nicht, man versteht nicht, warum die Leiber auf der Bühne gequält und geschunden werden müssen, wenn man nicht begreift, dass das ein Versuch war, auf die Schinderei in der Wirklichkeit hinzuweisen. Man unterschätzt aber auch die Kunst, wenn man ihre animierende Kraft leugnet.

Man kann daraus den Schluss ziehen, die einzige Möglichkeit, dieser Gewaltspirale ein Ende zu machen, sei nicht über sie zu reden, die Gewalt also leerlaufen zu lassen, sie in einem Meer der Gewaltlosigkeit, einer beredt schweigenden Gewaltlosigkeit zu ersticken. Gandhi hat in diese Richtung gedacht, und es gibt viele geschlagene Frauen, die so denken. Vielleicht haben sie recht. Vielleicht aber bleibt uns nichts anderes als in dieser Spirale von sich gegenseitig bestärkender realer und symbolischer Gewalt zu leben. Vielleicht sind es kurze, glückliche Momente der Weltgeschichte, wenn die Kontrahenten ermattet am Boden liegen. Bis sie wieder aufstehen.

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