Herzogs Kompromissvorstoß ist chancenlos
Israels rechts-religiöse Regierung bleibt bei Justizreform hart / Erneut Demonstrationen im ganzen Land
Eigentlich hätte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu schon Mittwochnachmittag von Tel Aviv abfliegen sollen. Die Abreise wurde aber wegen eines „dringenden Sicherheitsvorfalls“ verschoben. Später stellte sich heraus, was der wahre Grund war: Israels Staatspräsident Itzchak Herzog kündigte kurzfristig an, eine „Rede an die Nation“ halten zu wollen. Wenige Stunden zuvor hatte Herzog mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier telefoniert. Thema war die umstrittene Justizreform, die Netanjahus rechts-religiöse Regierung trotz massiver Proteste verabschieden will.
Der Staatspräsident sparte nicht mit starken Worten. „Wer wirklich meint, dass ein Bürgerkrieg, der Menschenleben kostet, jenseits der Grenzen des Möglichen liegt, der hat keine Ahnung“, sagte Herzog, dessen Rede zur Primetime live ausgestrahlt wurde. Die Worte sollten die Koalition aufrütteln. Herzog legte außerdem einen Kompromissvorschlag vor, der beiden Seiten – Koalition und Opposition – die Chance gibt, ihr Gesicht zu wahren. Den Vorschlag hatte ein Expertengremium im Auftrag des Präsidenten erstellt.
Yochanan Plesner, der für das Israelische Demokratieinstitut Teil dieses Expertenforums war, sieht den Kompromiss als „einzig mögliches Szenario, wenn die beiden Seiten aufeinander zu gehen wollen“. Der Plan sei der kleinste gemeinsame Nenner. „Darunter geht es nicht, ohne dass Israels demokratisches System tatsächlich aus den Fugen gerät“, sagt Plesner.
Genau diese Perspektive scheint die Koalition aber nicht abzuschrecken. Sie hat den Kompromiss des Präsidenten noch am selben Abend abgelehnt. „Durch die zentralen Punkte dieses Vorschlags wird der Status quo nur zementiert“, sagte Netanjahu. Hinter den Kulissen soll Netanjahu aber seine Koalitionspartner aufgerufen haben, über den Vorschlag zu diskutieren. Dabei stieß er auf den Widerstand der rechtsextremen Parteien, aber auch aus seinen eigenen Reihen: Justizminister Jariv Levin, der als einer der Architekten der Reform gilt, bleibt auch weiterhin hart. Netanjahu reiste also mit leeren Händen nach Berlin.
Der Vorschlag des Präsidenten kommt der Koalition in einigen Punkten entgegen, nicht aber bei der Frage des Auswahlmodus der Richter:innen. Die ultrarechte Regierung will künftig das Sagen haben, wer in Israel Recht sprechen darf. Der Präsident schlägt vor, dass die Regierung zwar ein Veto hat, aber auch weiterhin einen Konsens mit der Opposition oder der Justiz suchen muss. Das geht der Koalition zu weit. Sie beharrt auf der absoluten Regierungskontrolle bei der Richterauswahl.
Reservisten opponieren
Ist Herzogs Kompromissvorschlag damit vom Tisch? Politikexperte Plesner glaubt das nicht. „Wenn die Regierung sieht, dass der Preis ihres Beharrens zu hoch wird, dann wird sie sich auf den Kompromiss einlassen.“
Schon jetzt sei der Preis beachtlich: Prognosen zeigen hohe wirtschaftliche Einbußen, eine sinkende Moral unter den Reservisten der Armee, sinkende Popularität der Regierung in Umfragen, zunehmende Kritik des Auslands. „Es ist klar, dass sich auch die Straßenproteste intensivieren werden“, sagt Plesner. Dass es dabei zu Gewalt kommen kann, zeigte sich am Donnerstag. In ganz Israel wurde gegen die Entmachtung der Justiz demonstriert, auch durch Reservisten. An mehreren Orten wurden die Demonstrant:innen von Autofahrer:innen und Passant:innen attackiert. Es gab Verletzte und mehrere Festnahmen.