Ich sage Ihnen klar: Die Überraschung bei uns ist leider nicht groß. Letzten Freitag wurden Sicherheitskräfte einer Berliner Synagoge angegriffen, und jetzt der Terrorakt von Halle. Diese Form antisemitischer Gewalt findet statt auf dem Boden eines massiven Rechtsrucks, den wir schon länger sehen und der uns alle angeht. Das ist ein Angriff auf die Demokratie, nicht nur auf Juden.
Die Todesopfer waren am Ende Nichtjuden.
Das Primärziel war die Synagoge, als der Täter das nicht geschafft hat, mussten eine Passantin sterben und ein Mann in einem Döner-Imbiss. Das illustriert auf schlimmste Weise, was wir und der Zentralrat der Juden schon seit langem sagen: Der rechte Terror trifft alle, nicht nur Juden.
Haben Sie Kontakte zur jüdischen Gemeinde in Halle?
Es waren sogar vier unserer Stipendiaten, Stipendiatinnen und Ehemaligen in der Synagoge, als alles passierte. Die jungen Leute waren von Berlin aus hingefahren, um mit der Gemeinde dort Jom Kippur, das höchste jüdische Fest, zu feiern. Das war natürlich unsere erste Sorge: Wie geht es ihnen, können wir sie stärken? Ihnen geht es zum Glück gut. Und ihre Reaktion war stark, sie sagen: Jetzt erst recht! Wir lassen uns durch diesen Terror nicht verdrängen. Hier sagt niemand, dass Juden jetzt auf gepackten Koffern sitzen.
Was muss jetzt geschehen?
Jüdisches Leben in Deutschland muss viel entschiedener gestärkt und Antisemitismus energischer bekämpft werden. Es geht erst einmal um mehr Sicherheit, da gibt es Nachholbedarf. Dass die Synagoge in Halle nicht polizeilich gesichert war, ist ja zu Recht heftig kritisiert worden. Aber Halle ist überall! Wir selbst erleben bei unserem Haus in Berlin und der Rabbinerausbildungsstätte in Potsdam, dass die Behörden bisher nicht bereit sind, unsere Sicherheit so zu gewährleisten und zu finanzieren, wie wir es brauchen. Es kann nicht allein unsere Verantwortung sein, uns vor rechtem Terror zu schützen.
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Und darüber hinaus?
Man muss endlich öffentlich zur Kenntnis nehmen, welchen großen Anteil die rassistische Rhetorik der AfD am rechten Terror hat. Schließlich sitzt sie im Parlament und unterwandert letztlich unsere Demokratie. Daneben braucht das jüdische Leben hierzulande stärkere öffentliche Unterstützung. Ich habe seit gestern Anrufe von überall in der Welt bekommen – Deutschland muss sich klar sein, was es bedeutet, wenn es im Ausland heißt, dass Juden in Deutschland nicht mehr sicher leben können. Zuspruch für uns reicht nicht mehr aus, gegen rechten Terror müssen alle gemeinsam kämpfen.
Interview: Ursula Rüssmann
Eine Reportage in der ARD belegt: Rechtsradikale Attentäter stehen nicht so allein, wie von den Behörden oftmals angenommen. Oft gehören sie zu einer ganzen Szene. Und sie sind eine Gefahr für uns alle. Die TV-Kritik.