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Grundrechte-Report 2023: Armut gefährdet Menschenwürde

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Von: Pitt von Bebenburg

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Der Bericht kritisiert den Umgang mit der „Letzten Generation“ als unangemessen.
Der Bericht kritisiert den Umgang mit der „Letzten Generation“ als unangemessen. © dpa

Organisationen mahnen im „Grundrechte-Report“ auch die Demonstrationsfreiheit an - Stichwort: „Letzte Generation“

Das Bekenntnis zum Grundgesetz gehört zum Standardrepertoire – aber wie sieht es mit der Achtung der Verfassung im politischen Alltag aus? Nicht wirklich gut, urteilen die Autorinnen und Autoren des „Grundrechte-Reports 2023“ von zehn zivilgesellschaftlichen Organisationen, der am heutigen Mittwoch als Buch erscheint.

Die Inflation etwa ist für Menschen mit niedrigen Einkommen ein Desaster. Angesichts der gestiegenen Preise reicht das Geld aus der Grundsicherung nicht aus, um ihr Existenzminimum zu sichern. Das sei ein Verstoß gegen die Menschenwürde, die im Grundgesetz gleich an erster Stelle garantiert wird, befindet die Juristin Sahra Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Die jährliche Anhebung hinke der Preissteigerung deutlich hinterher, stellt Lincoln fest. Die Entlastungspakete der Bundesregierung hätten das nicht kompensiert. Und auch die Einführung des Bürgergelds, durch das seit Anfang 2023 nun 502 statt 449 Euro pro Monat gezahlt werden, garantiere keineswegs, dass das Geld reiche. „Wenn immer mehr Menschen verarmen, während einige wenige immer reicher werden, steht das in Konflikt mit dem Sozialstaatsgebot und dem Schutz der Würde der Betroffenen“, heißt es im Vorwort des Bandes.

Traditionell wird der Report am 23. Mai vorgestellt, dem Tag, an dem 1949 das Grundgesetz verkündet wurde. „Das Grundgesetz braucht Freundinnen und Freunde und insbesondere kritische Begleitung“, sagte die Berliner Jura-Professorin und ehemalige Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer bei der Vorstellung.

Seit 1997 gibt die Humanistische Union mit anderen nichtstaatlichen Organisationen den „Grundrechte-Report“ heraus. In diesem Jahr nehmen mehrere Beiträge die deutschen Reaktionen auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Blick. Angesichts des Kriegs seien „in rasanter Geschwindigkeit“ weitreichende Entscheidungen getroffen worden, vom Sondervermögen für die Bundeswehr bis zu den Waffenlieferungen an das angegriffene Land, konstatieren die Herausgeber:innen.

Gegen Waffenlieferungen

Sie äußern Widerspruch gegen das Milliardenprogramm für die Bundeswehr und begründen dies aus der Verfassung heraus. Schon „der schiere Umfang der Rüstungsausgaben für unbestimmte Zwecke“ stelle eine exzessive Aufrüstung dar, „die als ,friedensstörende Handlung‘“ vom Grundgesetz verboten sei, schreibt Andreas Engelmann von der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen. Er hält es für „mehr als fraglich“, dass dies mit Bündnispflichten in der Nato zu begründen wäre. Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine werden auf ihre Verfassungsgemäßheit abgeklopft, von Amela Skiljan und Heiner Fechner von der Juristenorganisation Ialana. Das Friedensgebot des Grundgesetzes erfordere den Erhalt und Aufbau von Frieden. „Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sind das Gegenteil“, meint das Autorenduo.

Der Report

Der „Grundrechte-Report“ erscheint jährlich. Die aktuelle Version erscheint im Fischer-Verlag und ist hier zu finden.

Den staatlichen Umgang mit der „Letzten Generation“ halten Autor:innen des „Grundrechte-Reports“ für unangemessen. Der Aktivist Simon Lachner kam bei der Vorstellung des Buchs zu Wort und klagte: „Das Versammlungsrecht scheint gegenüber Klimaaktivist:innen völlig in Vergessenheit geraten zu sein.“ In dem Report wird auf den bis zu 30-tägigen Gewahrsam verwiesen, der in Bayern gegen Klimaaktivist:innen verhängt wurde. Das bayerische Polizeigesetz, mit dem Menschen in „präventiven Gewahrsam“ genommen werden können, um eine unmittelbar bevorstehende Straftat abzuwenden, sei mit dem Rechtsstaatsprinzip der Verfassung „schwer in Einklang zu bringen“, urteilen Marie Bohlmann und Philipp Schönberger von der Organisation „Green Legal Impact“.

Der Marburger Jurist Milad Schubart findet, dass der Umgang der Versammlungsbehörden mit länger andauernden „Klimacamps“ in den vergangenen Jahren „von Beliebigkeit geprägt“ gewesen seien. Im Jahr 2022 habe das Bundesverwaltungsgericht zwar geurteilt, dass auch Protestcamps unter die Versammlungsfreiheit fallen könnten – dies allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, die der Autor nicht für stichhaltig erachtet. Nun versuchten Versammlungsbehörden, „die eigene restriktive Haltung in Einklang mit dem Urteil zu bringen“, beobachtet er.

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