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Gibt es bald ein Misstrauensvotum? Boris Johnson verliert Rückendeckung

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Premier Boris Johnson könnte ein Misstrauensvotum drohen. Doch die derzeitige Lage ist unklar, denn auch seine Tory-Parteikolleg:innen haben etwas zu verlieren.

London – Einer der derzeit wichtigsten Politiker:innen in Großbritannien ist der konservative Parlamentarier Graham Brady. Sollten bei dem Vorsitzenden des sogenannten 1922er Komitees 54 Briefe eingehen, in denen Abgeordnete dem Premierminister Boris Johnson die Gefolgschaft kündigen, wird ein parteiinternes Misstrauensvotum fällig.

Im Londoner Regierungsviertel gehen derzeit viele Beobachter davon aus, dass die Schwelle bereits erreicht ist und Brady dies zu Wochenbeginn verkündet. Er wolle lediglich die Parlamentspause rund um das 70. Thronjubiläum der Queen abwarten, um die Feierlichkeiten nicht zu überschatten, so eine weit verbreitete Meinung. In der Öffentlichkeit ist Johnson umstritten: Bei einem Auftritt während des Queen-„Jubilee“ wurde er lautstark ausgebuht.

Boris Johnson: Ist er angezählt, wenn die Stimmen für ein Misstrauensvotum ausgezählt sind?

Bisher liegt die offizielle Zahl der Schreiben bei 28. Der Sender Sky News hat aber 45 Abgeordnete gezählt, die Johnsons Position öffentlich infrage gestellt haben. Die Parlamentarier:innen sind zudem nicht verpflichtet, ihre Briefe öffentlich zu machen. Über das lange Wochenende dürften einige weitere eingegangen sein, bis zu 70 könnten es bereits sein, zitierte die Zeitung „Telegraph“ eine Tory-Quelle.

Boris Johnson steht wegen seines Umgangs mit der „Partygate“-Affäre in der Kritik: Es geht um feuchtfröhliche Feiern während des Corona-Lockdowns in der Regierungszentrale Downing Street. Der Untersuchungsbericht wirft Johnson schweres Führungsversagen vor – doch der 57-Jährige macht weiter, als sei nichts geschehen, und ignoriert auch, dass er wegen einer Geldstrafe für die Teilnahme an einer Party nun der erste amtierende Premierminister ist, der das Gesetz gebrochen hat.

Tories: „Gefangen zwischen Meuterei und Lähmung“

Allerdings ist keinesfalls sicher, dass Boris Johnson sein Amt verliert, sollte es zu einem Misstrauensvotum kommen. Denn in einer Abstimmung müssten sich 180 Tory-Abgeordnete gegen den Premier aussprechen – also mindestens die Hälfte der aktuell 359 Fraktionsmitglieder. Etwa 150 könnten dann jedoch selbst ihre Ämter verlieren. Die Tories seien „gefangen zwischen Meuterei und Lähmung“, kommentierte James Forsyth, Herausgeber der konservativen Zeitschrift „Spectator“, in der Zeitung „Times“.

Derzeit ist keine Nachfolge für Boris Johnson in Sicht. Der ehemalige Tory-Abgeordnete David Gauke kommentierte in der Zeitschrift „New Statesman“, möglicherweise käme Außenministerin Liz Truss infrage. Die 46-Jährige, die sich als moderne Ausgabe der früheren Premierministerin Margaret Thatcher in Szene setzt, stehe für Steuersenkungen, einen konservativen Kurs und wirke außerdem entschlossener als alle anderen Kandidat:innen. Doch für Boris Johnson spricht, dass er bei seiner Partei als bester Wahlkämpfer gilt. Viele Tories fürchten, dass sie ohne den Populisten bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl keine Chance haben werden und ihren Sitz im Unterhaus verlieren.

Boris Johnson hat trotz Kritik noch immer parteiinternen Rückhalt

Der Unmut über Johnson kommt von Vertreter:innen verschiedener parteiinterner Strömungen: Von Abgeordneten, die für den Brexit waren oder gegen den EU-Austritt, von altgedienten Parlamentsmitgliedern und solchen, die erst 2019 ins Unterhaus einzogen, von Konservativen aus allen Regionen des Landes. Dennoch wollten einige Rebellen dazu aufrufen, die Misstrauensbriefe bei Komiteechef Graham Brady zurückzuziehen, berichtete der „Guardian“. Denn aktuell genieße Johnson auch wegen fehlender Alternativen noch immer viel Unterstützung. Scheitert ein Misstrauensvotum, darf erst in einem Jahr neu abgestimmt werden.

Deshalb wollten einige Kritiker:innen den 23. Juni abwarten, schrieb der „Guardian“. Dann stehen Nachwahlen in zwei Wahlkreisen an – erwartet wird, dass die Konservativen beide verlieren. In diesem Fall, so die Hoffnung der Johnson-Gegner:innen, würde der Premier so sehr an Rückhalt verlieren, dass ein Misstrauensvotum tatsächlich Erfolg haben dürfte. (jso mit dpa)

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