Die Groko-Köpfe

Die Koalitionsverhandler in Berlin haben sich viel vorgenommen.
Morgens, gegen 9 Uhr im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale in Berlin. CSU-Chef Horst Seehofer hält die Arme hinter dem Rücken. Er sagt, die Verhandlungen über eine neue Bundesregierung seien seit dem SPD-Parteitag nicht einfacher geworden. Wenige Minuten später sagt Kanzlerin Angela Merkel (CDU), es gehe darum, einen Aufbruch „nicht nur für Europa, sondern auch für Deutschland“ zu erreichen. Schließlich tritt SPD-Chef Martin Schulz auf und erklärt, warum gerade doch der Aufbruch für Europa besonders wichtig sei.
Vor die Öffentlichkeit sind die drei Parteichefs zum offiziellen Beginn der Koalitionsverhandlungen also getrennt getreten. Danach haben sie sich zusammengesetzt – und nicht zuletzt über den Zeitplan geredet. Und der ist ehrgeizig. Das Zieldatum für das Ende der Verhandlungen ist bereits der Sonntag in der kommenden Woche, also der 4. Februar. Wenn nötig, gebe es auch noch zwei Tage drauf, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Michael Grosse-Brömer. Die Karnevalisten unter den Verhandlern wollen auf jeden Fall vor Weiberfastnacht fertig sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat neulich bemerkt, die Karnevalsverbände müssten sich darauf einstellen, ihre Umzugswagen kurzfristig umzubauen.
17 inhaltliche Arbeitsgruppen sowie eine, die sich mit der künftigen Arbeitsweise der Koalition befasst, sollen bis spätestens Freitagmittag ihre Ergebnisse vorlegen. In Bereichen, die in den Sondierungen einigermaßen unstrittig waren, geht es um Details. In einigen Punkten ist aber auch ein sehr hartes Ringen zu erwarten.
Dabei geht es insbesondere um die Gesundheits-, die Arbeits- und die Flüchtlingspolitik. Der Grund: Der SPD-Parteitag hat die Verhandler der eigenen Partei damit beauftragt, Nachforderungen durchzusetzen. Die Parteibasis verlangt Maßnahmen gegen die Zwei-Klassen-Medizin, ein Signal gegen die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen und eine Härtefallregelung beim Familiennachzug für Flüchtlinge. Mit ganz leeren Händen dürfen die Verhandler der Sozialdemokraten nicht nach Hause gehen: Sonst dürfte es schwierig werden, den Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag zu gewinnen.
Die eine oder andere strittige Frage werden die drei Parteichefs am Ende untereinander klären müssen. Und zusätzlich steht noch die Frage im Raum, wer in der künftigen Regierung eigentlich, welche Rolle übernimmt. Angela Merkel will Kanzlerin werden, klar. Aber was ist mit Schulz und Seehofer? Schulz habe intern in seiner Partei klar gemacht, dass er ins Kabinett wolle, berichtete der „Spiegel“. Unklar wäre in dem Fall auch, nach welchem Posten er greift: dem des Außen- oder dem des Finanzministers. Auch Seehofer soll es ins Kabinett ziehen.
Die Strippenzieher
Andrea Nahles: Mit einer fulminanten Rede für die große Koalition hat Andrea Nahles auf dem SPD-Parteitag in Bonn gerade erst bewiesen: Sie ist zurzeit die starke Frau der SPD. Die Fraktionschefin ist zudem aus zwei ganz praktischen Gründen eine der zentralen Figuren in den Verhandlungen: Erstens ist sie bekannt dafür, dass sie gleichermaßen mit Detailkenntnis wie mit Blick für das Ganze brillieren kann – nicht selten besser als Martin Schulz, wie manche seiner Kritiker finden. Zweitens hat die 47-Jährige seit ihrer Zeit als Arbeitsministerin auch beste Drähte in die Union. Dort schätzen viele Nahles’ Verlässlichkeit – auch in schwierigen Situationen. (pet)
Peter Altmaier: Der leutselige Saarländer übernimmt seit langem viele Koordinierungsaufgaben für Angela Merkel. Aus seinen Jobs als Fraktionsgeschäftsführer und Kanzleramtsminister kennt Peter Altmaier viele Protagonisten in Bund und Ländern ganz gut, über die Parteigrenzen hinweg. Vergangenes Jahr hat Altmaier außerdem das Unions-Wahlprogramm mitgeschrieben. Mittlerweile überwacht der Jurist als geschäftsführender Finanzminister auch noch den Etat für eine mögliche künftige Regierung, weil Wolfgang Schäuble den Posten des Bundestagspräsidenten übernahm. Wegen seiner Merkel-Nähe wird der 59-Jährige in Teilen des eigenen Lagers misstrauisch beäugt. (vat)
Markus Söder: Er ist der neue Fixpunkt der CSU: Markus Söder soll bald von Horst Seehofer das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen und im Herbst als Spitzenkandidat in die Landtagswahl ziehen. Schon während der Jamaika-Gespräche saß er unsichtbar mit am Tisch und drängelte Seehofer zum Aufgeben seiner Ämter. Der ursprüngliche Plan, Söder aus den Verhandlungen herauszuhalten, wurde fallengelassen. Für ihn hätte das einen Reiz gehabt: Er hätte sich von einem Scheitern der Koalitionsgespräche und auch von Kompromissen besser distanzieren können. Für eine Groko wäre dies ein Risikofaktor gewesen. Nun sitzt der 51-Jährige doch mit in der Runde. (vat)
Die Unberechenbaren
Michael Kretschmer: Einer der wenigen, die während der Groko-Sondierungen das Schweigen durchbrachen und öffentlich Kommentare abgaben, war Michael Kretschmer. Der CDU-Mann übernahm die Rolle des Skeptikers: Bei der Groko gehe es vor allem ums Geldausgeben, kritisierte er. Bei Kretschmer geht es unter anderem ums Profilschärfen: Seit Mitte Dezember ist der 42-jährige Wirtschaftsingenieur Ministerpräsident in Sachsen. Sein Vorgänger Stanislaw Tillich hatte überraschend an ihn übergeben. Kretschmer bleiben nun noch anderthalb Jahre, um sich bis zur Landtagswahl in Sachsen bekannter zu machen. Bei der Bundestagswahl hat die CDU dort dramatischer als anderswo an die AfD verloren. (vat)
Alexander Dobrindt: In den Jamaika-Sondierungsgesprächen fiel der neue Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten als Mr. No auf: Alexander Dobrindt konterkarierte Kompromisssignale und Optimismus mit inhaltlicher Unbeweglichkeit und harschen Angriffen vor allem auf die Grünen. Nach der Forderung nach einer „konservativen Revolution“ hat er sich auch gegen die SPD mit Hohn und Spott in Stellung gebracht. In dieser Woche fuhr der 47-Jährige seine Angriffe zurück. In seiner eigenen Partei halten Dobrindt viele für undurchsichtig und unberechenbar. Der bisherige Vertraute Seehofers muss sich im veränderten Machtgefüge seiner Partei neu orientieren. (vat)
Sigmar Gabriel: Bei den Sondierungen saß Sigmar Gabriel nicht mit am Tisch, weil Parteichef Schulz vor allem die Führungsgremien der Partei ein-bezog. Gabriel ist seit seinem Rückzug vom Vorsitz „nur“ noch Außenminister – aber mit hervorragenden Umfragewerten. Der 58-Jährige verhandelt nun über den Bereich Außen, Entwicklung, Verteidigung und Menschenrechte. Gabriel weiß nicht, ob er seinen Traumjob behalten kann. In der SPD sind viele nicht gut auf ihn zu sprechen. Der studierte Lehrer war als SPD-Chef nicht immer ein geschickter Pädagoge. Und Schulz hat eigene Ambitionen. Stellt Gabriel ihm in den Verhandlungen ein Bein? Wohl nicht. Aber etwas Unberechenbarkeit bleibt. (pet)
Die Männer fürs Detail
Joachim Herrmann: Über die besonders umstrittene Flüchtlingspolitik verhandelt für die CSU der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Das macht die Sache zunächst etwas einfacher: Der 61-jährige Franke gilt als deutlich entspannterer Verhandlungspartner als manche seiner Parteifreunde. Unwidersprochen ist bisher die Darstellung des „Spiegel“, dass sich CDU und SPD mit Herrmann zurückzogen, als die Groko-Sondierungen stockten und Scharfmacher wie den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer lieber außen vor ließen. Ein Kompromiss wurde irgendwann gefunden. Allerdings hatte der Jurist Herrmann da nicht das letzte Wort für seine Partei. So dürfte es auch diesmal wieder sein. (vat)
Achim Post: Für SPD-Chef Martin Schulz kommt es ganz entscheidend auf die Europa-Frage an. Und der Mann, der die für ihn ganz wesentlich mitverhandelt, heißt Achim Post. Dass der 58-Jährige davon viel versteht, daran gibt es keinen Zweifel: Der Soziologe hat für die SPD im Europäischen Parlament gearbeitet, ist Generalsekretär der Sozialdemokra-tischen Partei Europas und als Vize-Fraktionsvorsitzender im Bundestag für das Thema zuständig. Der nüchterne Westfale mit trockenem Humor verliert sein Ziel auch in verworrenen Situationen nicht aus den Augen. Als Chef der NRW-Landesgruppe im Bundestag ist er ein echter innerparteilicher Machtfaktor. (pet)
Jens Spahn: Der 37-jährige Bankkaufmann und Politikwissenschaftler passt in mehrere Kategorien: Jens Spahn ist ein Strippenzieher, der versucht, die Sehnsüchte der Konservativen in seiner Partei zu bedienen und sich als Gegenmodell zu der moderaten Angela Merkel zu installieren. Dadurch ist er ein Stück weit unberechenbar für seine Chefin. Unterstützt wird Spahn vom Wirtschaftsflügel seiner Partei. Gut gebrauchen kann Merkel den Münsterländer als Fachmann: Viele Jahre hat Spahn sich der Gesundheitspolitik gewidmet. Zuletzt hat er als Finanz-Staatssekretär sein Themenspektrum erweitert. Denkbar ist, dass die Aussicht auf ein Ministeramt in einer großen Koalition Spahns Parteidisziplin befördert. (vat)