Götterdämmerung im Élysée

In dieser Woche dürfte sich in Frankreich das Schicksal der hart umkämpften Rentenreform entscheiden. Präsident Macron hat schlechte Karten. Eine Analyse.
Auch im Präsidentenpalast in Paris ändern sich die Zeiten radikal. 2017 war Emmanuel Macron ein junger Strahlemann, der seine Landsleute im Handstreich für sich einnahm, indem er ihnen eine „Révolution“ (Buchtitel) versprach. Mit einer flammenden Europa-Rede umgarnte er an der Sorbonne-Universität auch Kanzlerin Angela Merkel, die sich sonst nicht so schnell ein X für ein U vormachen lässt.
Sechs Jahre und eine Amtszeit später hat der Tausendsassa im Élysée-Palast mit seiner zentralen Rentenreform fast die ganze Nation gegen sich aufgebracht. Macron ist unpopulär wie nie und steht vor einem programmatischen Scherbenhaufen. Gewiss, die Stellung des Staatschefs ist in Frankreich nahezu unanfechtbar; doch der „Macronismus“, dieser ambitionierte Reformkurs der radikalen Mitte, ist zu einem blutleeren Konzept verkommen.
Bezeichnend ist, dass sich Emmanuel Macron dessen nicht einmal bewusst zu sein scheint. In Peking redete er in der letzten Woche in dem grandiosen KP-Dekor so lange drauflos, bis der chinesische Präsident Xi Jinping ernsthafte Anzeichen von Langeweile, wenn nicht Ärger zeigte.
Ist das noch Selbstverliebtheit oder schon politischer Autismus? Der französische Präsident scheint jedenfalls, obwohl er das hinter seinem Schauspieltalent verbirgt, kaum mehr fähig oder willens, auf andere zu hören oder gar auf sie einzugehen. Ende März hatte er seine vielleicht letzte Chance, bei einem wohl inszenierten TV-Auftritt das Blatt zu wenden. Doch statt die Lage zu beruhigen, zündete er mit einem hölzernen, autoritären Tonfall den Funken in der breiten Widerstandsfront. Fast täglich kommt es seither zu Gewaltexzessen mit Verletzten aufseiten der Polizei wie auch der Demonstrierenden.
Frankreich ist in Aufruhr, revolutionäre Reflexe brechen auf. Und während die Appelle des Präsidentenlagers ungehört verhallen und Macron im Élysée zunehmend isoliert wirkt, beherrschen die Reformgegner:innen mit ihren Massendemos die Nachrichten. Das verstärkt den Eindruck, Frankreich sei vom Staatschef abgesehen geschlossen gegen die Reform.
In Wahrheit hält laut Umfragen etwa ein Drittel Macron die Stange, doch von dieser schweigenden Minderheit hört man nichts. Auch das ein Zeichen, dass sich selbst die Anhänger des Präsidenten von ihm abwenden. Dass die Götterdämmerung im Élysée im Gang ist.
In der Sache bleiben die Fronten verhärtet: Macron beharrt auf seiner Reform, die Opposition von links bis rechts außen auf einem Rückzug. Einen Ausweg bietet wohl nur noch der Verfassungsrat in Paris. Er muss am Freitag die Verfassungsmäßigkeit der Rentenreform absegnen. Was normalerweise eine Formsache ist, wird nun zu einem Politentscheid.
Eine Möglichkeit wäre, dass der „Conseil Constitutionnel“ unter Vorsitz des sozialistischen Ex-Premiers Laurent Fabius das höhere Rentenalter von 64 Jahren zwar durchwinkt, der Opposition aber zubilligt, Unterschriften für eine Volksabstimmung darüber zu sammeln. Das wäre wohl das Ende der Reform, dafür könnte Macron sein Gesicht wahren und behaupten, nicht er habe das Vorhaben gekippt, sondern das Gericht.
Selbst wenn der Verfassungsrat die Reform absegnen sollte, stünde Emmanuel Macron nicht viel besser da. Im Parlament hat er seit letztem Sommer keine Mehrheit mehr; er könnte deshalb nicht mehr vernünftig regieren - und die nächsten Präsidentschaftswahlen sind erst 2027. Würde Macron das vier geschlagene Jahre aushalten? Man erinnert sich in Paris an Charles de Gaulle: Frankreichs Landesvater hatte zwar den Mai 1968 ausgestanden, musste aber schon ein Jahr später, 1969, den Hut nehmen, weil er keine Basis mehr im Volk hatte.
Macrons Basis ist noch dünner. Seine Zukunft im Élysée ist düster. Aber vielleicht findet der Verfassungshof ja einen eleganten und intelligenten Ausweg. Zu wünschen wäre das nicht nur Frankreich: Ganz Europa braucht in diesen Kriegs- und Krisenzeiten alles andere als eine politische Krise in einem zentralen Land der Europäischen Union.