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Streit um Glyphosat-Verbot: In diesem Nachbarland ist das Pflanzengift mit toxischer Wirkung wieder im Einsatz

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In Luxemburg wurde das nationale Verbot von Glyphosat wieder aufgehoben. Ein Grund: In der EU ist der Wirkstoff noch mindestens bis zum Jahresende zugelassen. Toxikologen fordern das Aus.

Dieser Text liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Europa.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Europe.Table am 14. April 2023.

Nachdem der luxemburgische Verwaltungsgerichtshof das nationale Verbot des Unkrautvernichters Glyphosat gekippt hat, gewinnt die Debatte um den umstrittenen Wirkstoff auch auf EU-Ebene wieder an Fahrt. Zumal die Reduktion chemischer Pflanzenschutzmittel im Rahmen der Pestizide-Verordnung zu den derzeit umstrittensten Zielen der europäischen Umwelt- und Agrarpolitik gehört.

Als erstes EU-Mitglied hatte Luxemburg im Januar 2021 ein nationales Glyphosat-Verbot beschlossen. Der Chemiekonzern und Glyphosat-Hersteller Bayer hatte dagegen geklagt und nun auch in zweiter Instanz recht bekommen. Solange der Wirkstoff auf EU-Ebene erlaubt sei, gebe es keinen Grund für einen nationalen Alleingang, hieß es in der Begründung des Gerichts. Demnach stelle Glyphosat „kein unannehmbares Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier“ dar.

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Glyphosat-Verbot: Toxische Wirkung auf das Nervensystem

Norbert Fraeyman, Toxikologe von der Universität Gent, sieht das anders. Die Frage nach der Schädlichkeit des Wirkstoffs werde zu sehr auf die Karzinogenität beschränkt. Glyphosat sei zwar krebserregend, aber der Faktor tatsächlich um ein Vielfaches geringer als beispielsweise beim Rauchen und in etwa auf derselben Stufe mit Fleischkonsum. Viel wichtiger, aber kaum beachtet seien die negativen Auswirkungen auf das Mikrobiom und damit auf das zentrale Nervensystem. Das habe nicht nur gesundheitliche Folgen für die Menschen, sondern bedrohe auch zahlreiche Insekten- und Vogelarten.

Im Jahr 2015 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft und damit eine hitzige Debatte losgetreten. Dennoch ist es heute das am meisten verwendete Herbizid weltweit und genau das sei das Hauptproblem, so Fraeyman. Denn infolge der übermäßigen Verwendung hätten inzwischen zahlreiche Unkräuter Resistenzen gegen den Wirkstoff entwickelt, was in der Landwirtschaft zu einem immer noch stärkeren Einsatz führe.

Die Umwelt-Bewegung „Extinction Rebellion“ protestiert vor dem Eingang des Chemiekonzerns Bayer Monsanto gegen das Artensterben.
Die Umwelt-Bewegung „Extinction Rebellion“ protestiert vor dem Eingang des Chemiekonzerns Bayer Monsanto gegen das Artensterben. © Fabian Sommer/dpa

„Glyphosat muss im Agrarbereich verboten werden“, fordert der Wissenschaftler. „Und zwar nicht nur, weil es karzinogen ist, sondern aufgrund seines extrem hohen toxischen Gesamtprofils und des Aufwands, der nötig wäre, um die Folgen einzudämmen.“

EU-weite Zulassung noch bis 15.12.2023

2017 stand ein EU-weites Glyphosat-Verbot erstmals auf der Agenda in Brüssel. Eine entsprechende Bürgerinitiative erreichte über eine Million Unterschriften. Doch einige Organisationen, darunter die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), kamen zu der Einschätzung, der Wirkstoff sei unbedenklich. So wurde die Zulassung, auch mit Zustimmung der Bundesregierung, für weitere fünf Jahre erteilt.

Im Dezember 2022 verlängerte die EU-Kommission nach langem Hin und Her mit den Mitgliedsstaaten die Genehmigung nochmals um ein Jahr bis Mitte Dezember. Der offizielle Grund: Das Prüfungsverfahren für eine erneute Zulassung durch die EFSA war noch nicht abgeschlossen. Mit einem entsprechenden Ergebnis wird im Juli gerechnet, mit einer Abstimmung im Herbst.

Ob es dann zu einem EU-weiten Verbot von Glyphosat komme, sei zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu beurteilen, sagt die Europaabgeordnete Sarah Wiener (Grüne). Noch sei unter den Mitgliedsstaaten keine mehrheitliche Tendenz absehbar. „Wenn das Verbot in diesem Jahr nicht kommt, dann auf jeden Fall später“. Die Forschung sei eindeutig, Risiko und Schäden für Artenvielfalt und Gesundheit seien untragbar geworden, sagt die Agrarpolitikerin und fordert von der Kommission, das Vorsorgeprinzip zu beachten.

Bauernverband: EU habe „strengstes System der Welt“

„Europa hat das strengste Zulassungssystem für Pflanzenschutzmittel der Welt“, hält der Industrieverband Agrar dagegen. In Europa zugelassene Pflanzenschutzmittel seien sicher und würden zur Ertrags- und Qualitätssicherung auch dringend benötigt.
Trotzdem sei die Landwirtschaft bereit, den Einsatz noch weiter zu reduzieren, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. Das könne jedoch nur über technische und freiwillige Lösungen funktionieren, keinesfalls über Verbote, die immer zu Konsequenzen im Anbau führten.

„In diesem Fall bietet sich als Alternative nur an, wieder verstärkt den Pflug einzusetzen. Dies benötigt wiederum viel mehr Energie und führt damit zu einer deutlichen Erhöhung des CO₂-Ausstoßes. Das Verbot dieses Wirkstoffes ist vor dem Hintergrund des Klimawandels also kontraproduktiv“, so Krüsken.

Bundesregierung will Glyphosat Ende 2023 verbieten

Die Bundesregierung will dennoch an ihren Verbotsplänen festhalten und Glyphosat gemäß Koalitionsvertrag bis Ende 2023 vom Markt nehmen. „Sollte auf EU-Ebene die Genehmigung verlängert werden, prüfen wir weitere Schritte für ein nationales Anwendungsverbot“, so eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums.

Schon jetzt gelten in Deutschland seit der Novellierung der Pflanzenschutzverordnung im Herbst 2021 strenge Regeln zur Anwendung von Glyphosat. So darf das Herbizid in der Landwirtschaft nur eingesetzt werden, wenn andere Maßnahmen nicht durchgeführt werden können. In Garten- oder Parkanlagen ist die Anwendung bereits verboten.

(Timo Landenberger)

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