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Glückwünsche und Gewalt zum Frauentag in den Balkanländern

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Von: Thomas Roser

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Auch im kroatischen Zagreb kann die progressive Welt nur durch Polizeischutz überleben.
Auch im kroatischen Zagreb kann die progressive Welt nur durch Polizeischutz überleben. © AFP

Feiern zum Frauentag haben Tradition in ex-sozialistischen Staaten des zerfallenen Jugoslawien – Missachtung aber auch

Ihre Bitte um Schutz blieb ungehört. Zwei Mal im letzten Jahr hatte die 47-jährige Sanja M. in der ostserbischen Provinzstadt Pirot vergeblich bei den zuständigen Justizbehörden um die Inhaftierung ihres gewalttätigen Ex-Partners ersucht. Trotz eines gerichtlichen Kontaktverbots war ihr der 55-jährige Miroslav M. am Wochenende auf den Markt gefolgt: An einem Obststand erschoss der Geldwechsler sein Opfer aus nächster Nähe per Kopfschuss.

„Sanja flehte um Hilfe, aber sie schützten sie nicht“, kommentierte der Belgrader „Kurir“ bitter deren Ermordung, die einer öffentlichen Hinrichtung mit Ansage glich. „Dringend – stoppt den Femizid!“, titelte zu Wochenbeginn die Zeitung „Blic“, die darauf hinwies, dass die Zahl der Morde an Frauen in den ersten 64 Tagen des Jahres um 350 Prozent gestiegen sei.

Allein in Pirot sei die Anzahl der Anzeigen wegen Familiengewalt im letzten Jahr auf 180 gestiegen, so in einer Erklärung vier lokale Frauenorganisationen, die über den mangelnden Schutz der Opfer und den Mangel an einer wirksamen Sanktionierung der Täter klagten: „Es ist unfassbar, dass jemand mit Kontaktverbot unbehelligt mit einer Pistole durch die Stadt spazieren kann.“

„Es gibt keine Ausreden und Rechtfertigungen mehr“

Blumen, Glückwünsche und Geschenke: Wie in allen ex-sozialistischen Staaten wird der Internationale Tag der Frau in den Ländern des früheren Jugoslawien traditionell ausgiebig gefeiert – und gewürdigt. Doch die Feiertagsreden von Politiker:innen und Würdenträger:innen werden nicht nur in Serbien von Femiziden und zunehmender Gewalt gegen Frauen überschattet.

In Kosovo löste im Dezember die Ermordung einer hochschwangeren 35-jährigen vor der Universitätsklinik in Pristina durch ihren Ehemann erneut empörte Frauen-Proteste und Demonstrationen gegen Femizid, Familiengewalt und den mangelhaften Schutz durch die zuständigen Institutionen aus: Erst fünf Tage zuvor war eine 63-jährige Lehrerin von ihrem 70-jährigen Mann ermordet worden.

„Es gibt keine Ausreden und Rechtfertigungen mehr. Die Femizide und kriminelle Welle gegen Frauen müssen stoppen“, so Kosovos fassungslose Präsidentin Vjosa Osmani in einer Erklärung. Die Ermordung von Frauen sei „keine Privatsache, sondern eine politische Frage, das Ergebnis von struktureller Gewalt und der Unterdrückung von Frauen“, klagt das „Kollektiv für feministisches Denken“ in Pristina.

Die Femizide hätten verhindert werden können

In Kroatien berichtet die Zagreber Frauenhilfsorganisation „BaBe“, dass die Zahl der Hilfegesuche von Frauen, die zum Opfer von Gewalt geworden sind, im letzten Jahr um ein Viertel gestiegen sei: „Leider bemerken wir bei unserer direkten Arbeit mit den Opfern eine zunehmende Brutalisierung der Gewalt an Frauen. Und auch die Femizidfälle sind am Steigen.“

Viele der Femizidopfer könnten noch am Leben sein, wenn die Behörden auf die Anzeichen von Gewalt rechtzeitig und angemessen reagiert hätten, klagt die kroatische Feministin und frühere Parlamentsabgeordnete Rada Boric. Beunruhigend findet sie auch die steigende Zahl von Frauen, die von ihren Söhnen oft aus Habsucht misshandelt und ermordet würden: „Seit 30 Jahren ermutigen wir Frauen, die Gewalt ihrer Partner anzuzeigen. Aber es fällt einer Mutter sehr schwer, den eigenen Sohn wegen Misshandlung anzuzeigen.“

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