Giuseppe Conte - Regisseur eines neuen Humanismus

Italiens Premier Giuseppe Conte hat eine erstaunliche Wandlung vollzogen. Nun muss er beweisen, dass er eine neue Regierung bilden kann.
Kaum ein Italiener kannte seinen Namen, als Giuseppe Conte vor knapp 15 Monaten erstmals Premier wurde. Und nicht wenige bezichtigten ihn der grenzenlosen Selbstüberschätzung. Wie konnte sich ein völlig unerfahrener Politikneuling und Professor für Privatrecht zutrauen, als parteiloser Regierungschef einer Populistentruppe die Geschicke einer der größten Industrienationen Europas zu führen? Er erklärte sich damals zum „Anwalt des Volkes“. Aber lange galt Conte als blasser Statist im Hintergrund, als Marionette seiner beiden polternden Vizepremiers. Die Entscheidungen trafen Lega-Führer Matteo Salvini und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio.
Nicht einmal eineinhalb Jahre später steht Giuseppe Conte nun kurz davor, ein zweites Mal Premier zu werden – unter neuen Vorzeichen. Der 55-Jährige hat eine erstaunliche Wandlung vorgeführt. Vom großen Unbekannten ist er zum beliebtesten Politiker Italiens geworden, der Sicherheit auf internationalem Parkett bewiesen hat und nun sogar von US-Präsident Donald Trump Unterstützung via Twitter bekommt. Aus dem Statisten ist der Regisseur geworden, der Italien aus der politischen Krise führen soll.
Ein Bündnis der schieren Verzweiflung
Am Donnerstagmorgen erteilte ihm Staatspräsident Sergio Mattarella zum zweiten Mal ein Regierungsmandat. Salvini hatte die bisherige Koalition aufgekündigt, nun versuchen es die Fünf Sterne und die Sozialdemokraten der PD miteinander. Conte nahm den Auftrag unter Vorbehalt an. Er wird in den kommenden Tagen seine Ministerriege zusammenstellen und mit der PD ein Programm ausarbeiten. Danach stimmt die Fünf-Sterne-Basis ab. Und schließlich muss auch das Parlament der neuen Regierung das Vertrauen aussprechen.
„Nur Mut Conte, es wird hart“, titelte die Zeitung „La Repubblica“ am Donnerstag. Viele Beobachter im In- und Ausland sehen ein Bündnis der schieren Verzweiflung, einzig geboren, um zu verhindern, dass der Rechtspopulist Salvini bei Neuwahlen die Regierungsmacht übernimmt.
Conte versuchte solche Bedenken zu entkräften, als er nach der Beauftragung durch Mattarella vor die Journalisten trat. „Es wird keine Regierung gegen jemanden geben“, sagte er. Er wolle für die Bürger und für eine Modernisierung Italiens arbeiten, wolle eine Regierung „im Zeichen des Neuen“. Die Phase der Unsicherheit will er so schnell wie möglich beenden, mit einer soliden Haushaltsplanung und Wachstum, und indem Italien wieder zu einem Protagonisten in der EU wird. „Ein neuer Humanismus“, das sei der Horizont für das Land, versprach Conte.
Conte wählt stets Mitte-Links
Die Menschlichkeit war während seiner ersten Amtszeit allerdings häufiger auf der Strecke geblieben. Der rechtsextreme Innenminister Salvini dominierte alles, hetzte auf Facebook gegen Migranten, gab die Parole „Schluss mit dem schönen Leben“ aus, schloss Italiens Häfen. Conte nahm das bis fast zum Schluss widerspruchslos hin, unterzeichnete die Einfahrtsverbote für Flüchtlingsretter und stimmte Salvinis Gesetzen zu, die sie mit hohen Geldstrafen bedrohten.
Nun wird er, wenn alles klappt, eine linke Regierung leiten. Mit dem Richtungs- und Farbwechsel hat er offenbar genauso wenig ein Problem wie die Fünf Sterne, die sich als postideologische Antiestablishmentbewegung verstehen. Der aus Apulien stammende Conte, Juraprofessor der Universität Florenz, hat nach eigener Aussage stets Mitte-Links gewählt, nie Fünf Sterne. Trotzdem sagte er nicht Nein, als ihn Di Maio nach der Parlamentswahl 2018 fragte, ob er Regierungschef der Koalition mit der rechten Lega werden wolle.
Anfangs fiel der parteilose Premier vorwiegend durch makellose Anzüge und Eitelkeit auf. Es stellte sich heraus, dass er seinen Lebenslauf mit Aufenthalten in den USA geschönt hatte, die von dortigen Universitäten dementiert wurden. Zwischen seinen lautstarken und häufig streitenden Stellvertretern Di Maio und Salvini war ihm die Rolle des Schlichters und Vermittlers zugedacht. Conte war selten im Fernsehen, gab wenig Interviews. Eine Zeitung nannte ihn „Premier ohne Eigenschaften“, er galt als schwach.
Höhepunkt von Conte - seine Rücktrittsrede
Aber dann begann seine Transformation. Conte legte sich im Lauf der Monate ein staatsmännisches Profil zu, emanzipierte sich. Bei Treffen mit internationalen Staatschefs machte er eine unerwartet respektable Figur.
Im Haushaltsstreit mit Brüssel galt er als vernünftiger Dialogpartner, der die Pöbeleien seiner beiden Vize auszubügeln versuchte. Ein Defizitverfahren gegen Italien wendete er ab. Beim Weltwirtschaftsforum in Davos stand er mit Kanzlerin Angela Merkel am Tresen und erklärte ihr die Wirrungen der italienischen Politik. Sogar Papst Franziskus äußerte sich positiv: „Er ist ein intelligenter Mann, ein Professor. Er weiß, worüber er redet.“ Langsam begann er auch gegen Salvini aufzumucken.
Höhepunkt in Contes bisheriger kurzer Politikkarriere war seine Rücktrittsrede vor dem Parlament. Wie er den neben ihm sitzenden Macho Salvini wie einen Schuljungen abkanzelte, ihm eine „obsessive Beschäftigung mit dem Thema Immigration“ vorwarf, ihm die parlamentarische Demokratie erklärte, das hatte allein auf Facebook 1,2 Millionen Zuschauer und im Fernsehen Rekordeinschaltquoten.
Nun wird Conte geradezu ein Meisterstück abverlangt. Er muss zwei politische Lager zusammenhalten, die nicht sehr viel verbindet. Salvini wird aus der Opposition querschießen. Es wird hart werden.