Gespaltenes Europa und falsche Fritten

Schröder und Chirac gegen Bush und Blair: Die Irak-Invasion unter Federführung der USA hatte außenpolitische Verwerfungen zwischen der US-Regierung und seinen Verbündeten in Europa zur Folge.
Politik geht durch den Magen, zumindest im Jahr der US-Invasion im Irak. Wer 2003 in der Caféteria im US-Repräsentantenhaus Hunger auf ein paar Pommes hatte, im Englischen „French Fries“, musste sich umstellen: „Freedom Fries“ hieß es da. Die Idee dafür, die fix als skurrile Nachricht um die Welt ging, hatte der Republikaner-Abgeordnete Robert Ney, der für die Hausverwaltung samt Kantinen mitverantwortlich war. Offensichtlich hatte er sich über Frankreichs Weigerung geärgert, mit den USA in den Krieg zu ziehen.
Einige Fast-Food-Restaurants zogen nach und bestraften French Toasts in einem Akt kollektiver Kulinarik-Sanktion gleich noch mit: Die in Deutschland als „Arme Ritter“ bekannten Teile mutierten zu „Freedom Toasts“.
Solche kulinarischen Petitessen verschleiern natürlich, wie ernst nicht nur dieser Krieg war, der am 20. März 2003 mit der Invasion unter Federführung der USA in den Irak begann, sondern auch die außenpolitischen Verwerfungen zwischen der Regierung von US-Präsident George W. Bush und seinen Verbündeten in Europa: Neben Frankreich verweigerte Deutschland - in der Ära Rot-Grün von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) - als zweites europäisches Schwergewicht die kriegerische Solidarität. Der Kanzler hatte beim Wahlkampf im niedersächsischen Goslar seinen berühmten Satz gesagt: „Rechnet nicht damit, dass Deutschland einer den Krieg legitimierenden Resolution zustimmt, rechnet nicht damit.“
Er konnte sich der Zustimmung gewiss sein. Knapp 70 Prozent der Deutschen meinten laut Forsa, die Bundesregierung solle im UN-Sicherheitsrat unbedingt mit Nein stimmen. Schon Tage vor dem US-Angriff fanden in vielen Städten Deutschlands Friedensdemonstrationen statt.
Angela Merkels Irrtum
Um auf Kulinarik zurückzukommen: Konservativ-patriotische US-Republikaner wie Ney hätten dann schon besser auch Schröders damals heißgeliebte Currywurst umbenennen oder stattdessen nur noch Angela Merkels Kartoffelsuppe anbieten müssen. Denn die damalige Fraktionschefin der Union im Bundestag und spätere Bundeskanzlerin sah den SPD-Kanzler auf einem „Irrweg“. Mit seiner Ankündigung, auf keinen Fall eine UN-Resolution zu unterstützen, habe er den Krieg „wahrscheinlicher gemacht“. Der Druck auf Diktator Saddam Hussein sei gesunken, behauptete sie. Eine Einschätzung, die Merkel heutzutage als Fehler erachtet.
Aber Merkel war damit nicht allein, im Gegenteil. Die Pläne der USA unter Präsident George W. Bush und seiner neokonservativen Kamarilla aus Leuten wie Vizepräsident Dick Cheney und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld spaltete Europa und andere Kontinente nach dieser Lesart in eine „Koalition der Willigen“, zu der Großbritannien, Spanien, Polen und Tschechien gehörten, aber auch eine Vielzahl von Kleinstaaten wie Moldawien und Mikronesien, und den Skeptikern, angeführt von Frankreich und Deutschland. Rumsfeld, um spitze Bemerkungen selten verlegen, nannte die Achse Paris-Berlin das „alte Europa“, während das „neue Europa“ in Osteuropa zu finden sei.
Noch vor der entscheidenden Sitzung des Sicherheitsrates am 5. Februar 2003 erhöhten die USA und Großbritannien den Druck auf Deutschland und Frankreich. Rhetorisch war Eiszeit, und das nachdem Deutschland im Nachgang der 9/11-Anschläge anderthalb Jahre zuvor noch volle Solidarität versichert hatte. Aber keinen Blankoscheck für alles, was danach kommen könnte.
Vor allem Tony Blair, der Premierminister in London, tat sich als Washingtons bester Verbündeter hervor, was ihm den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Bushs Pudel“ einbrachte, auch wenn er immer wieder versuchte, ein UN-Mandat herzustellen. Um die 46 000 Soldaten schickte die britische Regierung im Folgenden in den Irak. Das politische Lebenswerk Blairs ist schwer beschädigt, seit bekannt ist, dass der Krieg auf der Grundlage von Falschinformationen über Massenvernichtungswaffen begründet wurde – und er zu unkritisch seinen US-Freunden in die Tragödie folgte. Das räumt er heute auch ein, will allerdings nicht ganz ablassen von seiner fragwürdigen Entscheidung: „Die Welt war und ist ein besserer Ort ohne Saddam Hussein“, sagte er noch 2016 in einem Interview.
Der These kann man womöglich zustimmen – aber zu welchem Preis „ein besserer Ort“? Der Irak als zerfallener Staat, die Konflikte in der gesamten Region, das Erstarken des Islamismus, der „Islamische Staat“: Gestärkt wurde nur das deutsch-französische Verhältnis. Präsident Jacques Chirac und Schröder kamen sich politisch und persönlich näher. Als Chirac im September 2019 starb, würdigte ihn der Ex-Kanzler als „Freund“, dem klar gewesen sei, dass Europa nur funktionieren könne, „wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind“. Schröder mag dabei an die schwierigen Monate vor der Invasion des Iraks gedacht haben.